XCOM - Enemy Unknown: Wo hört Streamlining auf, wo beginnt unnötige Runterdummung?
Das Skalpell im Klassiker: was an XCOM - Enemy Unknown anders ist.
Unseren letzten Artikeln zum Thema XCOM: Enemy Unknown konntet ihr entnehmen, wie Firaxis den UFO-Gedanken in der Spiele-Neuzeit weiterdenken will. Ihr last über den Basenbau, die umfassenden Taktikoptionen der rundenbasierten Gefechte und die Erforschung neuer Waffensysteme - und darüber, wie große Verehrer des Originals die Entwickler sind. Kurzum: Darüber, wie sehr doch dieses hier ein Spiel von Fans für Fans sein würde. Worüber wir aber erst jetzt, gut 20 Stunden mit einer fast fertigen PC-Vorschauversion später, sprechen können, das sind die nicht gerade knappen Unterschiede und die Aspekte der Vorlage, die aus verschiedenen Gründen der Schere zum Opfer fielen.
Und die sind bei Nachfolgern derart innig geliebter Titel immer ein kritisches Thema. Hier stehen nicht weniger die Jugenderinnerungen einer gefühlt halben Spielergeneration auf dem Spiel, und wenn das Projekt XCOM mit dieser Ausgabe danebengeht, kommt so schnell keine zweite Neuauflage daher, um es besser zu machen. Kommen wir also gleich um die Ecke mit den Dingen, die Spielern des Microprose-Titels entweder durch Abwesenheit oder durch ihre schiere Andersartigkeit ins Auge stechen.
Als Erstes wäre da natürlich die Tatsache, dass ihr nur noch eine Basis errichtet, anstatt wie im zuvor beliebig viele. Zudem wird sie auch noch einfach mittig auf einem der fünf Kontinente platziert, ein Abwägen, wie man die meisten Länder abdeckt, bleibt aus. Hier muss man allerdings sagen, dass es in UFO - Enemy Unknown kaum noch Verbesserungspotenzial gab, wenn man in Südosteuropa, auf Kuba und irgendwo im zentral südostasiatischen Bereich mit großer Radaranlage seine Wurzeln schlug. Stattdessen repräsentiert der neue Basenbau mit bisher gefühlt deutlich differenzierteren Einrichtungen und stetigen Neuentwicklungen eine neue strategische Ebene. Nicht nur gewährt jeder Gastgeber-Kontinent einen anderen Start-Bonus, auch aneinandergrenzende Anlagen gewähren teilweise noch Boni, die verschiedenen Kraftwerke zum Beispiel.
Wo man seine Basen damals wenn irgend möglich nach dem schlauchigsten Layout errichtete, um bei den unvermittelt nervigen Basen-Attacken leichtes Spiel zu haben, macht man sich hier infrastrukturell ganz andere, tiefer gehende Gedanken. Ob das allerdings heißt, dass es keine Missionen mehr gibt, in denen ihr eure "Ameisenfarm" verteidigen müsst, kann ich noch nicht definitiv beantworten. Es sieht bisher nicht danach aus. Einzig Pete Murray, der sich im Gespräch mit Kollege Benjamin eines Kommentars verwahrte, anstatt zu bestätigen, dass diese albtraumhaft schwierigen Einsätze aus dem Spiel geflogen sind, lässt in dieser Hinsicht hoffen - oder besser bangen. Bisher waren alle XCOM-Entwickler recht offenherzig, wenn es darum ging, Veränderungen zu kommentieren, etwa die nicht mehr zufallsgenerierten Karten oder die Tatsache, dass weder Decken noch Fußböden von Gebäuden zerstört werden können. Ich lehne mich mal aus dem Fenster und tippe, dass die Basis gegen Ende, im Rahmen eines Story-Einsatzes, noch eine Rolle spielt.
Der zurückgenommene Expansionismus der XCOM führt dazu, dass man anno 2012 seinen Einfluss von seinem Hauptquartier ausgehend mit selbst gebauten und nicht gerade günstigen Satelliten ausweitet. Über jedem der 16 die XCOM finanzierenden Ratsländer darf ein Erdtrabant kreisen. Um diesen UFO-Spähern aber auch eine schlagkräftige Faust an die Seite zu geben, müsst ihr natürlich Abfangjäger auf dem jeweiligen Kontinenten stationieren. Für interkontinentale Abfangmanöver reicht der Sprit der Flieger nämlich nicht. Dies sind gerade in den ersten Stunden, wenn der Paniklevel fast jeder Nation in den kritischen Bereich schnellt, nicht zu unterschätzende logistische Aufgaben. Immer wieder koordinieren die Aliens ihre Angriffe zeitgleich, sodass ihr euch entscheiden müsst, welcher Nation ihr zu Hilfe eilt. Sich die Mission mit der lohnendsten Vergütung für euer Einschreiten herauszusuchen - brauche ich Wissenschaftler, hochrangige Soldaten, Ingenieure oder Geld? - ist da noch euer geringstes Problem.
Einige Länder werdet ihr in jedem Fall enttäuschen, ihr Notstand steigt und sobald eine Nation am Ende eines Abrechnungsmonats im roten Bereich ist, stehen die Chancen nicht schlecht, dass sie sich aus dem Rat zurückziehen - und all ihre Unterstützung mitnehmen. Es ist eine prekäre Jonglage, irgendwo brennt's immer und die Beziehungen zu einigen Ländern sind manchmal einfach nicht mehr zu retten. Sobald ich mich daran gewöhnt hatte, nicht mehr routinemäßig in Gedanken meine Basen über den - übrigens fantastisch aussehenden - Geocape-Globus auszubreiten, bewunderte ich doch, wie mich Firaxis zwang, mir eine Langzeit-Strategie zuzulegen. Ich musste mir überlegen, ob ich es mir leisten konnte, jemanden im Stich zu lassen. Und darüber nachdenken, wie ich an die Mittel kommen sollte, immer einen Satelliten in der Hinterhand zu haben, dessen Start über ein Krisenland dessen Panik-Anzeige kurz vor Stichtag noch um ein, zwei Balken kürzen kann.
Einen Shop gibt es nun ebenfalls nicht mehr, zumindest keinen, in dem man einkaufen und mal eben einen Waffen- oder Forscherengpass beheben könnte. Ingenieure und wissenschaftliches Personal erhaltet ihr nun als Gegenleistung von euren Geldgebern oder durch die Errichtung entsprechender Anlagen. Wo ihr in UFO nach einer Weile fast all eure Ausrüstung von den Aliens erbeutet und euch mit dem Verkauf von überschüssigen Schwerem Plasma und dergleichen mehr Geld verdient hattet als ihr jemals ausgeben konntet, gibt es diese immer gleiche Routine aus Erbeuten, Verkaufen, Erbeuten hier nun nicht mehr. Waffen von erlegten Aliens zerstören sich selbst und hinterlassen nur Fragmente, auf die eure Forschungs- und Ingenieursabteilungen als Rohstoff angewiesen sind.
Doch auch alles andere wird weiterverwertet. Chryssalidenpanzer werden zu Rüstungen verarbeitet, Berserker-Enzyme zu Schlachtfeld-Stimulantien, die die Leistung eurer Soldaten steigern. Zwar gibt es eine Art Schwarzmarkt, auf dem ihr durch Verkäufe schnell zu gutem Geld kommt, ihr müsst aber immer abwägen, ob euch das, was ihr verkauft, nicht bei einem zukünftigen Forschungsvorhaben fehlt. Und davon gibt es viele, denn nicht nur eure wissenschaftlerische Leiterin Dr. Vahlen buhlt um eure Aufträge, sondern auch Dr. Shen, der die Entwicklungsabteilung und die Foundry leitet, in denen frische Ausrüstung gebaut und durch Upgrades weiter entwickelt wird.
In der Geoscape fällt dann auf, dass Firaxis auf das komplizierte, mehrstufige Zeitbeschleunigungssystem UFOs verzichtet hat. Im Grunde gibt es nur die maximale Stufe, die beinahe sekündlich einen Tag vorspult. Das ist insofern nur logisch, dass Firaxis den Tag- und Nachtwechsel nur noch aus atmosphärischen Gründen nützt. Zwar sind die Schauplätze rein optisch unterschiedlich ausgeleuchtet, eure Soldaten sehen aber auch ohne zusätzliche Lichtquellen immer optimal. Der Grund liegt auf der Hand: Schon ehedem nutzte man die kleineren Zeit-Intervalle nur, um den tödlichen Nachteinsätzen aus dem Weg zu gehen. Wem an seinen Soldaten gelegen war, der spielte nur bei Tag. Es ist einer der Änderungen, die ich zunächst mit zerknautschter Miene zur Kenntnis nahm, und dann gestehen musste: Die Nacht war im Original schon redundant und mit Fummelei verbunden. Es ist nur konsequent, dass die Entwickler sie jetzt zumindest optisch zurückbringen. Ein mutiger, aber letztlich guter Griff von Firaxis.
Bleibt noch das Gefecht. Wir schrieben ja bereits mehrfach über die Umstellung von den alten Zeiteinheiten auf das neue System mit zwei Aktionspunkten, die man für Fortbewegung und einen anschließenden Schuss oder eine Spezialfähigkeit einsetzen kann. In der Praxis spielt sich das extrem flott und auch mit dem Controller wirklich angenehm. Trotzdem hören die Änderungen im Vergleich zur Vorlage hier noch lange nicht auf. Die Soldaten suchen zum Beispiel automatisch angrenzende Deckung auf, die dann mit Angriffswert und Trefferchance des Aliens verrechnet wird. Durch den Wegfall der Blickrichtungs-Kontrolle - wie richtige Soldaten bewegen eure Einsatzkräfte jetzt den Kopf umher, um ihre Umgebung in Gänze im Blick zu haben - hält sich auch hier das Mikro-Management in Grenzen, ohne auf der taktischen Ebene mit Einschränkungen verbunden zu sein. Eure Gedanken gelten stattdessen der Suche nach Deckung entlang einer Route fürs Flankieren, das sogar einen optisch gekennzeichneten Malus auf das Alien / die Aliens wirkt.
Den gleichen Gedanken der Konzentration aufs Wesentliche hatte das Team wohl, als es das Inventar strich. Primär und Sekundärwaffe sowie Rüstung teilt ihr natürlich immer noch einzeln zu. Aber da zwar nachgeladen werden muss, die Munition jedoch nie ausgeht (und damit auch nicht immer im Laden nachgekauft werden muss), fällt auch hier eine gewisse Krämerei weg, die Fans vielleicht ans Herz gewachsen ist. Ich würde allerdings nicht behaupten, dass es meine Auffassung von Spaß war, auszutesten, wie voll ich einen Rucksack packen kann, bevor mein Soldat sich kaum noch bewegen konnte. Ein Slot ist jedenfalls beim Standard-Soldaten zu Beginn für die Handgranate reserviert. Schon bald müsst ihr euch aber überlegen, ob ihr stattdessen nicht andere leistungssteigernde Goodies, Medipacks, Rüstungsverstärker oder Betäubungs-Pistole mit euch führen wollt. Es ist ein interessanter Poker, in dessen Rahmen ihr auch eure unterschiedlichen Klassen angehörenden Soldaten - Heavy, Assault, Scharfschütze und Support sind mit eigenen Skilltrees im Programm, die der Taktikebene zusätzliche Dehnbarkeit verleihen, mehr dazu im Test - weiter spezialisieren könnt.
Das Einzige, was ich anfangs wirklich vermisste, war die Möglichkeit, mit der Primärwaffe frei zu zielen, um punktgenau frische Türen in vorher undurchdringliche Wände zu schießen. So wie XCOM wohl erscheinen wird, könnt ihr nur auf einen Feind schießen, wenn eine Sichtlinie besteht. Für gezielte Ab- beziehungsweise Einrissarbeiten musste man auf Handgranate und Raketenwerfer zurückgreifen. Wände und Deckung gehen zwar auch mit konventionellen Waffen zu Bruch, dann aber, weil euer Soldat eigentlich auf einen Alien anlegte und danebenschoss oder dazwischen liegende Deckung zuerst traf. Nach einer Weile wurde aber klar, warum das dieses Mal so sein musste. Die Level sind nämlich, der der geringeren Truppenstärke entsprechend, etwas kompakter angelegt als in UFO. Wer dann á la Team America mit einem Firing-Squad gleich zu Beginn die erste Hauswand einreißt, sieht schon mehr vom Level als er sollte. Ich konnte (bisher) mit dieser Lösung gut leben, es geht immer noch, erfordert halt nur etwas mehr Planung.
Wie gesagt: Das war das Einzige, was mich zu Beginn wirklich auch nur ansatzweise irritierte. Und dann fiel mir auf, dass ich deutlich seltener als im damals in die Situation kam, wirklich durch eine Wand gehen zu müssen. Nein, ich freue mich mittlerweile nicht trotz, sondern gerade wegen der Änderungen auf Firaxis Neu-Entwurf zum Thema Enemy Unknown, wird es doch bei aller Vorlagentreue erst dadurch zu einem frischen, ganz eigenen Erlebnis. Die Einbindung der Geschichte in den nahtlos integrierten Story-Missionen, die für ein Strategiespiel extrem gute Aufmachung und die fantastische Musik taten ihr Übriges, um meine Aufmerksamkeit für diese 20 Stunden voll und ganz gefangen zu nehmen.
In einem Genre, in dem Streamlining oft mit Runterdummung gleichgesetzt wird, hat Firaxis durch Konzentration auf Kernbereiche ein Spiel geschaffen, an dem kein Gramm Fett ist, und das doch ein wahrhaftiges Schwergewicht zu sein scheint. Komplex, schwierig und im Geiste voll der Idee der Gollop-Brüder verschrieben, greift hier alles wirklich außerordentlich schön ineinander. Einen Monat noch. Ab dann wird's ein kurzer Herbst.