XDefiant macht viel mehr Spaß, als ich gedacht hätte
Warum bin ich überrascht?
Es war schon schwer auszuhalten, wie pseudocool damals, vor drei Jahren, XDefiant angekündigt wurde. Mark Rubin und Jason Schroeder stellten den Titel vor laufenden Kameras als Crossover aus schnellen Feuergefechten mit einem “Punk-Rock-Moshpit” vor. Ich bin ziemlich sicher, dass erst nach diesem Ereignis die Benutzung des Wortes “cringe” statistisch gesehen weltweit durch die Decke ging.
Nachdem man lange nichts von dieser Party diverser prominenter Ubisoft-Marken gehört hatte, war ich schon geneigt, XDefiant als fixe Idee abzuschreiben, die sich auf dem Weg vom Dann ins Jetzt irgendwie verflüchtigte. Jetzt ist das Spiel seit einer Weile hier – und ich seit über 20 Stunden drin. Es ist lange her, dass ich mit einem schnellen Shooter so viel Spaß hatte wie hier. Hätte Ubisoft nicht schon Brawlhalla im Aufgebot, ich würde XDefiant wohl als das Smash Bros. der Franzosen bezeichnen.
Ungezählte Möglichkeiten
Wieso? Nun, hier treffen in Gefechten, die das Tempo im Vergleich zu Rainbow Six Siege gewaltig anziehen, alle möglichen Fraktionen aus unterschiedlichsten Ubisoft Spieleserien aufeinander. Ein möglicherweise endlos erweiterbarer Cast bekannter Bewegungen, hier nur lose thematisch miteinander verbunden, in hochgradig wettbewerbstauglichen Spielmodi.
Die Time-to-kill ist verschwindend gering, das Lauftempo bei gezückter Pistole rasend schnell und seichte Hero-Shooter-Elemente sorgen für interessante Variablen in den Kämpfen. Jede Fraktion bringt einen ihrer beiden aktiven Skills mit in die Runde, sowie einen Ultra und ein Passive, etwa Brandmunition, wenn wir von den Cleanern aus The Division sprechen oder schnellere Heilung für nahe Mitspieler, wenn man als Libertad aus FC6 unterwegs ist.
Die aktiven Fähigkeiten reichen von einer magnetischen Barriere, die Kugeln abfängt, über Heil-Gadgets die entweder stationär oder in Nähe des aktiverenden Spielenden operieren bis hin zu Feuer speienden Drohnen, die eine Schneise der Verwüstung schlagen und Gegner markierende Scanner oder Unsichtbarkeit. Es sind Dinge, die von Situation zu Situation entscheidend sein können und deren Einsatz mehrheitlich extrem spaßig ist.
Gleichzeitig sind die Heldenelemente nicht so tiefgreifend, die Figuren nicht so unterschiedlich, dass man nicht ständig je nach Situation, Teamzusammensetzung und Modus zwischen ihnen hin- und herwechseln würde. Hier baut Ubisoft geschickt Berührungsängste ab, die verhindern würden, dass man sich auf eine Fraktion einschießt. Stattdessen probiert gerne ständig herum, was einem liegt und was gerade nützlich ist.
XDefiant - was man macht und womit
In Sachen Trefferfeedback und Gunplay fühlt sich das Spiel ebenfalls sehr befriedigend an, eine gewisse Verwandtschaft zu Siege ist da schon zu erkennen, auch wenn es hier eine gute Ecke leichter zugeht. Und das Movement, mit seinen langen Slides und schnellen Sprüngen ging mir schnell in Fleisch und Blut über. Zugegebenermaßen gibt’s recht viel Bunny-Hopping aktuell, aber das gehört zu dieser Sorte Arena-Erlebnis irgendwo auch dazu.
Die meisten Spielmodi drehen sich um das Erobern und Halten von Bereichen, variieren das Thema aber gekonnt mit der Zahl der zu erobernden Zonen und der Art, wie Punkte verdient werden. Capture the Flag ist seit Neuestem ebenfalls dabei und die Kill-Confirmed-Variante “Kopfgeldkoryphäe” hat mit ihrem Boost für den führenden Markensammler einen interessanten Twist parat.
Die Rehabilitation des Wortes 'Eskorte'
Fast am liebsten mag ich aber den Eskortenmodus, in dem man einen Roboter durch einen Level geleiten muss, der sich nur dann bewegt, wenn man sich in einem engen Radius um ihn herum befindet. Kämpft euch innerhalb des Zeitlimits zum Ziel durch und dann sind die Gegner dran, es schneller zu machen oder das Match zu verlieren. Wirklich spannend, wenn man bei 99,8 Prozent derjenige ist, der den Bot kurz vor Ablauf des Timers über die Ziellinie bugsiert.
In meinem Fall verliefen die Partien mehrheitlich recht ausgeglichen, sodass es fast immer eine enge Kiste war. Ich habe tatsächlich sehr viel Spaß und bleibe regelmäßig länger an XDefiant hängen, als ich je gedacht hätte. Auch die Monetarisierung scheint mir gelungen. Neue Fraktionen spielt man über das Absolvieren von Herausforderungen frei, was zwar lange dauert, aber tatsächlich gut machbar ist.
Bitte die Server verbessern, Ubisoft!
Dennoch ist der Titel nicht frei von Kritik. Insbesondere führt die Server-Tickrate noch regelmäßig zu schwer frustrierenden Toden, bei denen man sich längst hinter Deckung wähnte, aber immer noch getroffen wird. Dies ist meiner Meinung nach das größte und wichtigste Problem, das Ubisoft San Francisco beheben muss. Aktuell schmälern einzig die schnellen Respawns diesen Frust, denn wenn XDefiant eines kann, dann euch schnell wieder in Richtung Action zu stupsen.
Weiterhin darf das Matchmaking gerne noch etwas schneller vonstattengehen. Außerdem muss man sagen, dass lange nicht alle Skills schon an einem Ort sind, an dem sie so sinnvoll sind, wie zum Beispiel der Kugeln fangende Magnetschild der Phantoms aus Ghost Recon. Gerade wenn man 10+ Stunden Grind hinter sich hat, um DedSec freizuschalten, ist deren Hijack-Fertigkeit viel zu situationsbezogen, um sich als große Hilfe zu erweisen. Auch der Stacheldraht der GSK ist zu leicht zu umgehen. Allgemein kommt es einem oft so vor, als würden vereinzelte Skills nicht allzu gut zu der kurzen Time-to-kill passen. Aber das sind Balance-Fragen, derer sich die Entwickler sicher noch annehmen werden.
Alles in allem aber habe ich eine Menge Freude mit XDefiant, einem Shooter, der sich in seinen besten Momenten geradezu überraschend robust und bissig anfühlt, dabei aber beinahe kumpelhaft gefällig rüberkommt. Nichts daran ist “Punk Rock” – ein Spiel mit Hand und Fuß ist es allemal.