Xenonauts - Vorschau
Das andere 'andere XCOM'
Im Grunde lag die Lizenz viel zu lange Zeit brach. Ewig und drei Tage sah es nicht danach aus, als würden Strategie-Fans noch einmal in den Genuss eines neuen UFO - Enemy Unknown (im Rest der Welt "XCOM") kommen. Dann, im Frühjahr 2010, auf einmal die Ankündigung: Die Marke kehrt doch zurück - allerdings als First-Person-Shooter. Die Reaktion aufgebrachter Fans kann 2K nicht komplett überrascht haben, ist das Original doch eines der komplexesten und bis heute - nicht ohne Grund - beliebtesten Strategiespiele überhaupt. Wie sollte das Bild eines anspruchsvollen Taktik-Titels mit schneller Shooter-Action vereinbar sein?
Doch die Verehrer der Vorlage sitzen nicht nur in den Reihen der Kundschaft, sie sind teilweise mittlerweile selbst Entwickler. So auch das kleine Londoner Studio Goldhawk Interactive, das buchstäblich auf den Versen der Pressemeldung des 2K-Shooters mit Xenonauts eine Hommage an den großen Klassiker versprach, die dessen zentrale Werte in Ehren halten sollte. Die jüngste Ankündigung einer "echten" XCOM-Neuauflage durch Firaxis, das zu einem guten Teil aus ehemaligen Microprose-Mitarbeitern besteht, kann den idealistischen Briten, die den Titel zu weiten Teilen dezentral und in ihrer Freizeit entwickeln, nicht gefallen haben. Bei genauerem Hinsehen dürfte aber für beide Spiele mehr als genügend Platz am Markt sein, schlagen doch beide dezent unterschiedliche Richtungen ein.
Xenonauts befasst sich eher mit einer Modernisierung des Interfaces und leichten inhaltlichen Anpassungen. Zwar legte man das Szenario ans hintere Ende der 70er Jahre und verpasste den 2D-Sprites und Umgebungen einen etwas nüchtereren, düstereren Look, als ihn UFO damals hatte, doch ansonsten ist alles sehr vertraut. Ein wirklich schönes Spiel wird es wohl nicht werden, "funktional" ist hier das Zauberwort. Was aber ohnehin von viel größerem Interesse sein dürfte, ist, dass sich so gut wie jedes Element von Ufo hier in beinahe unveränderter Form wiederfindet. Wer den Vorgänger kennt, braucht schlimmstenfalls zehn Minuten, um sich zurechtzufinden - und die auch eher im verbesserten Geospace-Frontend. Auf dem Schlachtfeld klappen ohne große Umschweife direkt wieder alte Taktiken. Vom Reservieren der hier nach wie vor vorhandenen Zeiteinheiten (deren Berechnung euch der Cursor freundlicherweise abnimmt, wenn ihr ihn über den Zielbereich fahrt), bis hin zu den Sichtlinien ist alles beim Alten. Dreht ihr euch nach Betreten eines neuen Raumes eine Stufe nach links oder rechts, habt ihr den Raum weiterhin bis in die hinterste Ecke der gewählten Richtung im Blick.
Neben dem auf Anhieb reibungslosen Ablauf zu Felde fällt vor allem auf, mit wie viel weniger Schaltflächen Xenonauts auskommt. Die Barrage an Buttons an der Unterseite ist auf ein erträglicheres Maß geschrumpft worden, ohne dass man auch nur eine Funktion vermissen würde. Im Gegenteil, alles funktioniert noch immer, nur zeitgemäßer, schneller und übersichtlicher. Großartig vor allem auch, dass man im Ausrüstungsbildschirm des Truppentransporters in der Basis festlegen darf, in welcher Formation und Reihenfolge eure Soldaten oder schwere Waffenträger auf den Startschuss warten. Zusammen mit den zusätzlichen seitlichen Ausgängen des wuchtigen Helikopters ist der Einsatzbeginn hier deutlich krampfloser.
Ach so. Woher ich das weiß? Ähnlich dem Minecraft-Modell kann man Xenonauts bereits jetzt für knapp 15 Euro kaufen und erhält direkt Zugang zur aktuell lauffähigen Version, was neugierige Freunde des Originals sicher für keinen zu großen Obolus halten dürften. Immerhin bekommt man dafür ohne Aufpreis später auch die Vollversion. Einziger Haken: Man muss sich dafür den Desura-Client herunterladen, eine Vertriebsplattform, Steam funktional und optisch nicht … ähem … vollkommen unähnlich. Außerdem - falls das nicht klar sein sollte - muss natürlich ganz klar gesagt sein, dass der Titel in der seit Mitte März vorliegenden Alpha-Version 9.1 immer noch lange nicht fertig ist, was sich vor allem an den wiederholungsanfälligen Maps bemerkbar macht, die im alten Spiel trotz Baukasten-Charakter deutlich variabler waren. Goldhawk arbeitet dem Vernehmen nach aber fleißig an neuen Karten-Sets und Elementen und dem dazugehörigen Tool, das diese zu spannenden und schlüssigen Karten für eure UFO-Bergung zusammenstellt.
Immerhin haben sie einen der wichtigsten Faktoren schon ganz gut hinbekommen: Die zerstörbare Umgebung sorgte schon vor 16 Jahren dafür, dass eine "freie Schussbahn" nicht etwas war, das man entweder hatte oder nicht. Wenn nötig machte man sich einfach eine: Man sprengte, schoss und strahlte Löcher in Wände und Zäune und schaffte so Türen, wo nie jemand eine haben wollte. Das klappte sogar mit den konventionellen Waffen dieser frühen Version schon ganz ordentlich. Schön zu sehen, dass neben den intakten und zerstörten Aggregatszuständen nun noch "beschädigt" hinzukommt. Und wenn man einmal sieht, wie die Druckwelle einer nahe Explosion sämtliche Fenster einer Häuserfront scheppernd zum Zerbersten bringt, vermisst man auch die Totenkopf-Explosionen des Originals nicht mehr.
Insgesamt verfolgen die Entwickler weiter den so traditionsreichen Zyklus aus Basenbau, Abfangen und Bergen von UFOs sowie der Erforschung neuer Technologien. Dass man seinen Soldaten, die nach wie vor kräftig Erfahrungspunkte sammeln, dieses Mal in die individuelleren Gesichter blicken kann, ist ein netter Touch. So dürfte die Identifikation mit den Untergebenen mindestens genau so hoch ausfallen wie damals, als für einen eine Welt zusammenbrach, als Marine-Supermann Jungo Matsumara dem Hinterhalt eines widerwärtigen Chryssaliden zum Opfer fiel. Ich bin mir sicher, ihr habt die Szene noch genau so in furchtbarer, lebhafter Erinnerung wie ich.
Trotzdem traut sich Goldhawk auch, einige Elemente des Vorbilds zu verbessern. So war man offensichtlich mit dem etwas simplen Abfangen der UFOs wohl nicht zufrieden und erdachte ein anderes System: Auf einem stilisierten Radarbildschirm seht ihr Gruppen von je bis zu drei Fliegern auf Alien- und Xenonauten-Seite und gebt euren Piloten Anweisungen, wohin zu fliegen sei. Neben den Waffensystemen, mit denen ihr die Flugzeuge selbst bestückt, kontrolliert ihr außerdem noch eine Ausweichrolle oder ordnet den Gebrauch des Nachbrenners an, denn wenn ein fliehendes Invasionsschiff den Rand der Karte erreicht, setzt sich das intergalaktische Gesocks ins All ab.
"So dürfte die Identifikation mit den Untergebenen mindestens genau so hoch ausfallen wie damals, als für einen eine Welt zusammenbrach, als Marine-Supermann Jungo Matsumara dem Hinterhalt eines widerwärtigen Chryssaliden zum Opfer fiel."
Ich konnte bisher immer nur Gefechte von zweien meiner F17s gegen kleine und mittlere UFOs erleben, doch hier zeichnete sich schon ein unterhaltsames kleines Mini-Spiel ab: Aufteilen und darauf warten, dass sich Alf für einen der beiden tapferen Erdenverteidiger entscheidet, und ihm dann mit dem anderen Jäger in den Rücken fallen. Mit neuen Waffensystemen und immer größeren Schlachtschiffen dürften sich hier noch weitere interessante Taktiken ergeben. Eine Verbesserung, die sich auch wie eine anfühlt. Zudem erwähnt ein Bildschirm vor Einsatzbeginn schon Siegesbedingungen und sekundäre Ziele. Wie genau gerade Letztere aussehen werden, ist aktuell nicht bekannt, alleine, dass Goldhawk schon daran denkt, ist ein interessanter Zug.
Bleibt nur die Frage, wann das alles fertig werden soll? Goldhawk Interactive peilte nach eigener Aussage von Anfang dieses Jahres noch an, seine Hommage zeitnah zum 2K-Strategiespiel veröffentlichen zu wollen. Das wäre in diesem Herbst, was nach aktuellem Entwicklungsstand doch sehr optimistisch erscheint. Von den High-Level-Waffen, -Gegnern, -Einrichtungen und -Schiffen war schließlich noch nichts zu sehen und nach wie vor kommen einem die semi-zufällig generierten Karten ein wenig zu bekannt vor. Es sieht alles danach aus, als stünde den Briten für den Rest des Jahres eine gewaltige Kraftanstrengung bevor. Drücken wir ihnen die Daumen.
So oder so bekommen UFO-Fans in diesem Jahr voraussichtlich gleich zwei Spiele, die ihrer Aufmerksamkeit vollauf wert sind. Darin, dass hieran zu einem guten Teil auch das Ego-XCOM "Schuld" ist - ein Spiel, dem ich weiterhin nur das Beste wünsche -, liegt irgendwo auch eine köstliche Ironie.