Yakuza 5 - Test
Besser spät als nie.
Drei lange Jahre hat es gedauert, bis das PlayStation-3-exklusive Yakuza 5 nun endlich zu uns in den Westen kam. Während dieser Zeit sind in Japan bereits zwei weitere Teile auf der PS4 erschienen und die nächsten beiden stehen schon in den Startlöchern. Eine ziemlich späte Veröffentlichung und sicherlich auch so etwas wie ein kleines Wunder. Entsprechend glücklich bin ich über die herausragende Qualität des Spiels. Yakuza 5 ist nicht nur der bis dato beste Ableger der seit mittlerweile zehn Jahren bestehenden Reihe, sondern gehört definitiv zu den großartigsten Spielen der vergangenen Konsolengeneration und ich hoffe sehr, dass ihr eure PS3 noch nicht verkauft habt.
Insgesamt übernimmt man im Verlauf der spannenden Handlung fünf vollkommen unterschiedliche Charaktere, deren Schicksale alle mit einem bevorstehenden Krieg der zwei größten Yakuza-Familien Japans verbunden sind. Nicht nur die Anzahl von fünf Protagonisten ist beeindruckend, ihr folgt diesen auch durch fünf komplett unterschiedliche Städte, über sämtliche Regionen Japans verteilt. Genau wie in den Vorgängern dürft ihr keine riesigen Gebiete durchstreifen. Stattdessen seid ihr bis auf einige für Hauptmissionen reservierte Zusatzareale an kleinere Distrikte gebunden. Ein paar Straßen und Gassen. Das war es.
Mag sich im ersten Moment nicht wirklich nach spielerischer Freiheit anhören, doch was den fünf Städten an reiner Größe fehlt, gleichen sie mit ihrem Inhalt wieder aus. Kein Zentimeter gleicht dem nächsten. Hinter jeder Ecke warten neue Geschäfte oder Möglichkeiten für diverse Minispiele, viele davon eingebettet in die japanische Kultur. Nur in einem Yakuza steigt ihr hinter den Tresen einer Ramen-Bar und erfüllt auf die Anfragen Dutzender Kunden, um ihre Nudeln auf die gewünschte Härte zu kochen. Oder ihr stolziert in eine der Sega-Arcade-Hallen und spielt dort eine Runde Virtua Fighter 2. Anschließend geht ihr rüber zur Ufo-Maschine und versucht verzweifelt, eine Hatsune-Miku-Figur zu ergattern, bevor es zum Fotoautomaten geht, in dem ihr einen 40-jährigen Ex-Yakuza vor Herzchenhintergrund wie ein Schulmädchen posen lasst.
Yakuza 5 ist durch und durch japanisch. Ihr werdet kein anderes Spiel finden, das euch so gut in einer anderen Kultur leben lässt. Obwohl innerhalb der Handlung und Gefechte einige unfassbar bekloppte Dinge passieren, sind die Städte selbst an Realismus nicht zu überbieten. Als jemand, der ein Jahr in diesem Land gelebt hat, kann ich das sehr gut bezeugen. Jedes Viertel ist seiner Vorlage perfekt nachempfunden. Mehrfach konnte ich auf bestimmte Gebäude, Flüsse oder Straßenecken zeigen und laut mitdenken: „Hier bin ich gewesen! Genau in diesem Geschäft habe ich mir damals einen grünen Tee gekauft!".
Selbst wem die Handlung egal ist und wer sich stattdessen für die spielerischen Aspekte wenig interessiert, der kann Yakuza 5 alleine als Japan-Simulator genießen. Es gibt keine bessere Alternative zu einer teuren Reise ins ferne Nippon und da die Geschichte während des damaligen Veröffentlichungszeitraums im Dezember 2012 spielt, erlebt ihr gleichzeitig noch eine zur aktuellen Jahreszeit passende Atmosphäre. Einige Gebiete sind von Schnee bedeckt, zu den Minispielen gehört sogar eine First-Person-Schneeballschlacht und einer der Charaktere kann seine Feinde auch als Weihnachtsmann verkloppen. Nichts ist festlicher, als mit Mantel und Wollmütze bekleidet fiese Gangster auf einen Schneemann zu werfen.
Einen Großteil der Spielzeit verbringt ihr wie immer in den zahlreichen Auseinandersetzungen. Fast so wie in einem typischen J-RPG trefft ihr auf Zufallsbegegnungen. Rennt in das Blickfeld von feindlichen Yakuza-Truppen oder am Straßenrand hockenden Punks und schon stürmen die übermütigen Idioten auf euch zu. Weicht ihr ihnen nicht aus, beginnt sofort die aufregende Prügelei. Sehr gelungen sind dabei die Reaktionen normaler Passanten. Schnell bilden sich um euch herum kleinere Mengen, die den Protagonisten anfeuern. Nähert euch ihnen zu sehr oder werft einen der Punks vor ihre Füße und schon rückt die Reihe panisch ein paar Schritte zurück. Obwohl es vollkommen übertrieben ist, wie viele Leute euch mitten auf der Straße das Fressbrett polieren wollen, fühlen sich die Gefechte durch solche Details sehr organisch in der Welt an. Ebenso reagieren kleinere Schergen, wenn euer Charakter einen der stärkeren Feinde besiegt. Schockiert fallen sie zu Boden und kriechen mit entsetztem Blick holprig zur anderen Seite der Arena. Manche ergreifen sogar die Flucht. Durch das Einflößen von Angst spürt man, wie sich die Machtverhältnisse im Kampf ändern. Da man diesen Zustand selbst hervorgerufen hat, fühlt man sich wie eine unaufhaltsame Backpfeifenmaschine.
Das eigentliche Kampfsystem mag nicht die Tiefe eines typischen Platinum-Games-Titels besitzen, jedoch ist es weitaus komplexer als jeder westliche Brawler. Zwar könnt ihr auf dem leichten Schwierigkeitsgrad mit einem stark hochgestuften Charakter fast alle Kämpfe durch stupides Knöpfchendrücken gewinnen, jedoch schafft ihr größere Herausforderung nur mit dem richtigen Verständnis aller Mechaniken. Zudem fühlt es sich selbst in regulären Kämpfen besser an, wenn man Angriffe kontert, ihnen im letzten Moment ausweicht oder den Block geschickt einsetzt. Das Beste an den Gefechten sind aber weiterhin die brutalen Heat-Moves.
Für jede erfolgreiche Aktion füllt sich unterhalb eurer Lebensenergie eine blaue Leiste. Ab einer bestimmten Menge dürft ihr dann kontextsensitive Superattacken ausführen. Insgesamt existieren 125 dieser Angriffe und sie decken sämtliche vorstellbare Situationen ab. Oft reicht bloß der Besitz einer bestimmten Waffe, manchmal müsst einen Feind greifen und neben seinem am Boden liegenden Partner stehen. Zu meinen absoluten Favoriten gehört Kiryus Zigarettenmanöver. Mit ihm dürft ihr jederzeit im Kampf eine Fluppe anzünden. Sobald der nächste Fiesling auf euch zurennt, spuckt ihr ihm den Glühstängel ins Auge und hämmert seinen Schädel anschließend auf den Asphalt. Viele der Attacken sehen unheimlich brutal aus, sind in ihren Animation jedoch dermaßen übertrieben, dass es sich mehr wie Cartoon-Gewalt anfühlt. Außerdem gibt es viele Heat-Manöver, die eindeutig dazu gedacht sind, euch zum Lachen zu bringen. Spätestens wenn man mit dem Sekundenkleber die Köpfe zweier Yakuza aneinanderpappt und ihnen für mehrere Sekunden beim Hampeln zusieht, sollte wenigstens ein kleines Lächeln auf eurem Gesicht entstehen.
Ich war beim Spielen wieder einmal sehr erstaunt, wie der Titel seine durchaus ernste Handlung mit solchen Slapstick-Momenten kombiniert. Wahrscheinlich, da die Übergänge in allen Bereichen fließend geschehen und sie irgendwie auch zur japanischen Kultur passen. Beispielsweise arbeitet einer der Charaktere als Taxifahrer und ihr lernt in den optionalen Missionen die Persönlichkeiten und teils tragischen Hintergründe eurer Kollegen kennen. Nur um diese Informationen freizuschalten, erledigt ihr arcadige Straßenrennen, in denen ihr Heat für abgefahrene Spezialmanöver einsetzt. Nähert euch breiten Trucks und auf Knopfdruck fahrt ihr auf zwei Rädern zwischen den beiden Kolossen hindurch. Wer den Online-Shop für CDs freischaltet, kann sich passend zum überspitzten Gameplay "Let's Go Away" aus dem Daytona-USA-Soundtrack während der Fahrt anhören. Absolut großartig!
Gleichzeitig erledigt ihr in anderen Missionen ganz normale Taxiaufträge und kutschiert Kunden durch die kleine Stadt. Dabei müssen die Straßenregeln penibel beachtet werden. Vermeidet zu abrupte Tempowechsel, setzt rechtzeitig den Blinker, haltet bei roten Ampeln und achtet auf dämliche Fußgänger an Zebrastreifen. Sowohl die Taxifahrten als auch die Straßenrennen erledigt ihr direkt nacheinander und trotzdem passt es irgendwie ohne störende Dissonanz zusammen. Vielleicht liegt es daran, dass der Titel selbst in seiner Hauptgeschichte viel Menschlichkeit zeigt und überhaupt keinen Zynismus spüren lässt. Es passt einfach.
Allerdings braucht ihr deswegen nicht zu denken, dass Yakuza 5 nur aus Blödsinn besteht. Ja, vor allem in Nebenaufträgen liefert das Spiel abgedrehte Situationen, doch der Fokus liegt eindeutig auf der Charakterentwicklung. Selbst Neueinsteiger, die Figuren wie Kiryu oder Haruka nicht seit zehn Jahren begleitet haben, können ihre Probleme, Entscheidungen und Beziehungen zu anderen Personen wunderbar nachvollziehen. Überaus begeistert war ich von Saejimas Abschnitt, der als einziger Yakuza der Truppe seine Strafe freiwillig im Gefängnis absitzt. Die ersten Stunden erlebt ihr mit ihm sein Leben im Knast und seht zu, wie er sich an seine Zellenmitbewohner bindet. Am Ende dieses Kapitels habt ihr jeden aus der Truppe kennengelernt und versteht ihren Zusammenhalt. Das Spiel erzählt euch nicht nur von ihrer Freundschaft, ihr seid bei der Entwicklung aktiv dabei und baut deshalb selbst eine Bezug zu ihnen auf.
Obwohl alle fünf Geschichten schlussendlich zusammenlaufen und in einem Abschluss enden, sind es dennoch für sich stehende Handlungen mit unterschiedlichen Motiven und Erzählstrukturen. Selbst bei einer durchschnittlichen Länge von ungefähr 30-40 Stunden bleibt die Erfahrung frisch. Jede Stadt versprüht ihre ganz eigene Atmosphäre, jede Figur folgt einer anderen Entwicklung, jedes Kapitel bietet vollkommen neue Interaktionsmöglichkeiten mit der Welt und sogar die Kampfsysteme unterscheiden sich passend zur Persönlichkeit des Charakters. So besitzen alle Schläge des ehemaligen professionellen Baseballspielers Shinada schwungartige Bewegungen und der Umgang mit Waffen ermöglicht ihm ganz eigene Spezialmanöver. Gleichzeitig lehnt er aber den Einsatz von Baseballschlägern aus Respekt vor dem Sport ab. Dagegen überträgt sich das lockere Verhalten von Akiyama in seine flüssigen Tritte. Wirklich jede Animation aller Protagonisten dient zur Charakterisierung und hat durch die unterschiedlichen Kampfsysteme auch spielerische Auswirkungen.
Nur Haruka nimmt nicht an Kämpfen teil. Als 16-jähriges Popsternchen trägt sie ihre Gefechte in Form von Dance Battles aus. Jupp, statt anderen Mädchen ihre fiesen Mäuler zu stopfen, tanzt ihr sie in Grund und Boden. Aber keine Angst. Harukas Geschichte mag zuerst durch das fröhliche Setting unpassend wirken, jedoch bedient sich ihre Konfrontation mit rivalisierenden Idolen an einigen dunklen Thematiken.
Yakuza 5 ist bis zum Rand gefüllt mit authentischen Umgebungen, faszinierenden Charakteren und mitreißenden Handlungen. Zusammen in einen Raum eingesperrt, könnte ich euch mehrere Tage von all den interessanten Dingen des Spiels erzählen. Aber bevor ich noch mehr verrate, holt es euch einfach selbst, um die Welt in Ruhe zu entdecken. Wer einfach nur der Handlung folgen möchte, ist bereits über 30 Stunden beschäftigt. Doch taucht ihr tief ein und erledigt jede der interessanten Nebenaufgaben, erreicht ihr schnell das Doppelte. Nichts davon fühlte sich für mich wie unnötiges Füllmaterial an. Selbst die kleinsten optionalen Aufträge überraschten mich mit ausgefallenen Situationen.
Für sich genommen sind einzelne Mechaniken weit von der Perfektion entfernt. Das Taxi fährt sich tatsächlich wie ein Klotzrennwagen aus Daytona, manche Bossgegner setzen unfaire Attacken ein und auch technisch zeigt der Titel selbst für ein drei Jahre altes Last-Gen-Spiel seine Budget-Restriktionen. Und trotzdem, all die Stärken fügen sich zu einer unvergleichlichen Erfahrung zusammen, für die man seine PlayStation 3 unbedingt noch einmal an den Fernseher anschließend sollte.