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Ys X Nordics im Test - Ihr werdet nicht glauben, wie hässlich diese mittlerweile 37 Jahre alte Serie aussieht!

Lasst euch nicht von blöden Headlines täuschen, das Spiel ist klasse!

Ys X: Nordics startet mit einem visuellen Trauma und endlosen Mengen an lahmer Exposition. Aber beißt euch durch die ersten zwei Stunden durch und auf der anderen Seite wartet ein durch und durch gelungenes und abwechslungsreiches Action-Adventure-RPG.

Das ist also das große X, von dem ich nie gedacht hätte, das Ys es je erreichen würde und es ist wirklich nicht gut. Ja, ich weiß, die heiligen alten J-RPG-Serien darf man ja nicht hart herannehmen, es ist ohnehin ein mittleres Wunder, dass sie noch existieren, und Budget gibt es da eh nicht. Und sicher, Grafik ist nicht alles, aber es gibt Grenzen und wenn der Vor-Vorgänger Ys 8 besser aussah, dann ist das kein gutes Zeichen. Klar, direkt von Dragon Age zu diesem Experiment in Minimalismus zu wechseln, ist schon ein Schleudertrauma in jeder Hinsicht, aber vor allem grafisch ist es einfach… Es sieht einfach billig aus!

Fast wie eine Anime-Style-Assett-Sammlung aus der billigeren Schublade. Entwicklergespräche gingen wahrscheinlich so: „Okay, Piratenschiff in gut kostet… Nein, das andere tut es auch, kostet ein Zehntel, man kann erkennen, was es ist, muss reichen.“ Lediglich die Charaktere haben zumindest noch ein wenig Charme, aber selbst hier gewinnt Ys 8. Einen nicht so kleinen Teil des Spiel verbringt ihr auf dem Wasser auf einem großen Segelschiff. Cool, ich liebe das. Eigentlich. Aber nicht nur, dass die Wellenbewegungen nicht existent sind und ihr effektiv über eine plane Ebene segelt, all das sieht aus, das glaubt ja kein Mensch. Sicher, Ys mit Assassin’s Creed zu vergleichen ist erst mal nicht fair, aber ich denke ich darf Assassin’s Creed 3 heranziehen. Das ist 12 Jahre alt. Und sein Schiffskampf ist auf der Xbox 360, einer Konsole, die so alt ist, dass ihr Onlinestore abgeschaltet wurde, ein Quantensprung mit dem, was sich Ys X hier traut.

Also ja, Grafik ist nicht alles. Völlig egal sogar, wenn der Spielspaß stimmt. Oder der Spielfluss. Oder irgendwas.

Das habe ich angefangen nach der ersten Stunde zu tippen, so tief saß der Schock, vor allem ob der Grafik. Und ja, die wird nie gut. Das alles hier ist praktisch ein PSP-Spiel, vielleicht PS3, praktisch ein Rückschritt selbst zum nicht gerade üppigen Teil 9. Aber als ich dann weiterspielte, weil ein Test nach zwei Stunden Rage-Playing nicht ganz fair wäre, musste ich erst grummelnd und dann doch immer mehr mit zumindest dezenter Begeisterung feststellen, dass ein Look von Vorvorgestern und endlose Expositionsdialoge nicht alles sind.

Ich will das nicht schönreden, alles, was Ys X zu erzählen hat, ließe sich dramaturgisch besser in einem Zehntel der Zeit erzählen und das einzig Gute ist, dass man alles überspringen kann. Vielleicht nicht sollte, weil hier stecken ein paar gute Charakterstorys drin, aber an sie ranzukommen war mir dann meist doch zu schmerzhaft. Also konzentrierte ich mich auf den Spielfluss und en Spielspaß. Und da war dann doch einiges zu holen. Richtig viel sogar.

Ys X: Nordics - Screenshots Test

Ys Gimmick ist dieses Mal, dass ihr nicht nur mit einem NPC-Begleiter kämpft, der nebenher agiert und mit dem ihr jederzeit die Plätze tauschen könnt – was möglich ist – sondern unisono kämpft. Haltet R2 gedrückt und besagter NPC springt euch nicht nur zur Seite, sondern gibt euch einen fast perfekten Block. Dazu könnt ihr sehr schnell attackieren und vor allem Duo-Specials auslösen, die es in sich habt. Was ihr dafür opfert, ist die schnelle Beweglichkeit, die ihr als einzelner Held habt und dessen individuelle Specials.

Das Konzept funktioniert mit ein wenig Übung erstaunlich gut. Manchmal sogar zu gut, da die Block-Fertigkeit als Duo bei einigen der Bosse vielen Gegnern nicht nur deren Angriffe wirkungslos werden lässt, es lädt auch noch euren Schadens-Multiplikator auf. Ihr seid ganz schön mächtig, wenn ihr das erst mal konsequent nutzt. Im Gegenzug solltet ihr euch nicht zu sehr darauf verlassen, denn früher oder später bekommt ihr es mit einem richtigen Boss zu tun und die haben kein Problem damit diesen Block zu umgehen und euch in kürzester Zeit zu zerlegen.

Diese Bosse sind das absolute Highlight des Spiels. Bis zu ihnen dachte ich immer wieder, dass das alles nett, aber zu sehr ein Selbstläufer ist. Dann wurde in einem mehrphasigen Kampf der Boden mit mir gewischt und leichte Demut setzte ein. Nichts davon ist auf Souls-Niveau und ihr könnt relativ leicht ein wenig grinden und eure Ausrüstung verbessern, um euch das Leben einfacher zu machen. Aber die Muster zu lesen und die richtigen Antworten in Form von Specials zu haben, ist trotzdem der entscheidende Schlüssel. Zusammen mit der ausgezeichneten Beweglichkeit der Helden waren diese Kämpfe definitiv die richtige Würze in der Suppe.

Mit der Suppe meine ich natürlich den großen Ozean, das andere Gimmick von Ys X und hier kommt der Titel Nordics ins Spiel. Das Setting ist diesmal leicht Wikinger-angehaucht und recht schnell nach der ersten Stunde landet ihr auf eurem eigenen Schiff und dürft, nach einigen Start-Missionen, weitestgehend frei auf dem Wasser herumschippern. Es gibt kleine Seeschlachten, kleine Inseln, Händler, ein paar Schätze und mehr. Es ist der Versuch einer Open World und zu einem gewissen Grad ist dieser auch gelungen. Wie gesagt, vergleicht es nicht mit einem Assassin’s Creed, wo ihr nahtlos herumschippert, an Land springt und wieder zurück, Ys hat Ladebildschirme, sogar auf seinen kleinen Inseln. Wie gesagt, eine PSP-Version dieses Spiels würde mich nicht erstaunen.

Die Steuerung auf dem Ozean fühlt sich leider nie ganz ideal an. Es soll wohl Wind simulieren, dass man mal an Tempo verliert, aber dank magischer Segel geht es zumindest in Schüben etwas schneller voran. Das bessert sich mit der Zeit eh alles in Richtung Rennboot, wenn ihr einen langen Upgrade-Prozess durchlauft. Überhaupt ist der Progressionspfad wieder einmal etwas üppiger, wie es sich in Japan gehört. Ihr levelt die Helden, die Boni-Marker für die Helden, das Boot, die Waffen, Rüstungen und sonst auch alles. Wer auf graduelle Fortschritte steht, der wird hier an jeder Ecke fündig und man merkt sie auch direkt. Das ist wohl das Wichtigste daran und der Grund, das es motivierend bleibt: Ihr spürt, wie ihr besser werdet, kontinuierlich und in einem ziemlich idealen Tempo.

Und auch an weiteren Upgrades gibt es keinen Mangel. Nach und nach dürft ihr an Seilen über Abgründe schwingen, auf einer Art magischen Skateboard über Wasser cruisen, kurz unsichtbar sein und vieles mehr. Das meiste sogar, wann ihr wollt, aber Sinn macht es nur an manchen Stellen. Ys X 10 schafft es gleichzeitig euch im großen Freiheiten zu lassen, indem ihr viel Platz zum Wandern habt, aber im kleinen ist es dann fast immer komplett linear, wie ihr Hindernisse überwindet. Dank der Masse an Sachen, die ihr nach und nach könnt, wird es aber nicht langweilig, dass muss man Ys X lassen.

Überhaupt war es erstaunlich, wie gut einen Ys X bei Laune hält. Es gibt immer Nebenquests in der Gegend, irgendwas lässt sich immer einsammeln, bekämpfen, machen und mit den sich erweiternden Fähigkeiten kann ich nicht mal sagen, dass es langweilig wurde. Sicher, Masse ist nicht Klasse und an dieser mangelt es zahlreichen der Nebenquests. Ich weiß auch nicht, ob wirklich jedes Japan-Game ein Angelspiel braucht, an diesem Punkt mag es gesetzlich vorgeschrieben sein, aber ich nehme an, dass es bei einem Seefahrerspiel Sinn macht. Aber insgesamt war einfach der Flow da, all diese Dinge mit Freude zu erledigen. Den eigenen Kahn in eine schwimmende Killer-Festung zu verwandeln, neue Skills an Monster auszutesten und in all den Mechaniken wie auch der Welt ein wenig zu versinken. Ich hatte Assassin’s Creeds, die zwanzig Mal besser aussahen, aber wo ich diesen Flow nie so richtig fand. Selbst die Handlung wurde irgendwann ganz gut. Sicher, Lacrimosa of Dana wird nicht erreicht, dafür ist das hier zu bodenständig, aber wenn die ersten Stunden der schmerzhaften Exposition durch sind, entfaltet sich eine durchaus interessante Episode des Ys-Kosmos vor euch.

Ein Punkt muss bei Ys immer sein und hier ist es, wo mich Ys X: Nordics dann doch etwas hängenließ. Die Musik von Ys war immer etwas Besonderes, die rockigen Fantasy-Tunes hatten immer einen ganz eigenen Charme, aber hier klickt es für mich nur halb. Dem Szenario geschuldet sind jetzt viele „Wikinger“-Sound mit drin, die dem ganzen einen nordischen Touch mit Flöten, Schalmeien und so geben sollen. Aber für mich klingt das alles eher wie eine ganz ordentliche Fantasy-Festival-Rock-Truppe aus der dritten Reihe, die ein wenig Stimmung machen darf, bevor dann die guten Acts auf die Bühne kommen, deren Namen zumindest auf dem Plakat standen. Ist jetzt weder schlecht noch unpassend, aber hängengeblieben ist da rein gar nichts.

Nach der ersten Stunde oder zwei warf ich einen Blick auf die internationalen Wertungen, was das Feedback zu Ys X: Nordics denn bisher so war und wie viel Elend noch auf mich zukommt. Ich dachte, sie müssen alle verrückt sein. Dieses hässliche Entlein, das scheinbar angeschlagen auf halb acht im Kreis treibt, soll so gut sein? Okay, Zähne zusammenbeißen und weiterspielen, da muss noch was kommen. Und siehe da, mit jeder Stunde hatte ich mehr Spaß an Ys und fand zu der gleichen Spielfreude zurück, die mir Ys 8 etwas schneller gönnte. Sicher, die sehr primitive Optik lässt sich nicht wegdiskutieren, die kleinen, linearen Bereiche kommen auch aus anderen Zeiten und das Seefahrerfeeling könnte durch etwas authentischere See vertragen. Mal ne Welle wäre ja schon was.

Aber ja, nach vier oder fünf Stunden war ich komplett im Flow, folgte der langsam etwas weniger geschwätzigen und dann fokussierteren Story und konnte nicht länger leugnen, dass ich eine Menge Spaß habe. Richtig viel Spaß irgendwann sogar. Ein gelungenes, schnelles Kampfsystem, das sich mit vielen neuen Specials erweiterte, viele neue Möglichkeiten der Erkundung und Bewegung, es kam immer was dazu, was aufeinander auf- und den Spaß ausbaute. Einmal mehr zeigt sich, dass Technik wirklich nicht alles ist. Es mag auf keinem Screenshot so aussehen, ihr werdet es die erste Stunde sicher noch nicht merken, aber Ys X: Nordics ist ein wirklich gelungenes kleines großes Action-Adventure-RPG, das einem zig Stunden Freude bereiten kann. Ich muss den kompletten Niedergang von Ys wohl doch noch nicht fürchten. Aber trotzdem, Nihom, ernsthaft: Schaut euch wenigstens mal die Unreal Engine 3 oder sowas an. Könnte helfen.

Ys X: Nordics
PROCONTRA
  • Schnelles und spaßiges Kampfsystem mit einer Vielzahl an Fertigkeiten, die den Ablauf über die Spielzeit frisch halten.
  • Viel Abwechslung im Spielverlauf: Seefahrt, Entdeckungen, Schiffsschlachten, Dungeons und kleine Oberwelten
  • Viele Systeme sind gut verzahnt und ergeben eine sehr fließende Progression, die sich im Kampf und Erkundung wirklich nach Fortschritt anfühlt.
  • Generell ausgezeichneter Flow. Bewegungen, Mechnaniken, Ablauf, es passt einfach alles zusammen und spielt sich gut.
  • Grafisch gibt es kein deutlicheres Zeichen, dass Nihom Falcon sich endlich mal mit moderneren Engines befassen sollte. Ys X ist visuell ein hübsches PS3-Spiel, aber es ist ein PS3-Spiel.
  • Gerade in den ersten Stunden gibt es zu viel Exposition, die man sehr viel kürzer hätte fassen können und sollen. Später im Spiel wird es besser und die Story nimmt an Fahrt auf.
  • Für Ys-Verhältnisse schwacher Soundtrack.

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