Zehn Jahre Devolver Digital: "Wie wäre es, wenn wir uns unabhängig von Geschlecht, Hautfarbe, Rasse und Religion respektieren? Und G2A kann sich verpissen"
Im Gespräch mit Mitgründer Graeme Struthers.
"Am Anfang war es einfach, da wir nichts hatten", erinnert sich Graeme Struthers, einer der Gründer von Devolver Digital, im Gespräch mit Eurogamer.de an die Anfangszeit des Unternehmens. "Kein Geld, keine Investoren. Wir konnten bei Null anfangen. Keine Büros, keine echten Fixkosten, da wir an Devolver in unserer Freizeit arbeiteten und mit anderen Jobs unsere Rechnungen bezahlten. Die fünf Gründer kannten sich sehr gut und wir hatten dieses Vertrauen untereinander, das durch eine Freundschaft entsteht. Und die fantastischen Leute von Croteam (Serious Sam) unterstützten uns von Anfang an."
Mit nichts anzufangen, bedeute, dass einem alle Ideen zum Ausprobieren offen stehen. Schnelle Richtungswechsel sind ebenso möglich, wie das Nutzen von Chancen, die sich auf dem Weg ergeben. "Nachdem wir anfingen, ging alles ziemlich schnell und es scheint nicht aufzuhören", erzählt er. "Zehn Jahre sind wie im Flug vergangen."
Ob er damals erwartet hätte, mal in der heutigen Position zu sein? "Meinst du, in einer Bar in Downtown Soho zu sitzen und Cocktails zu trinken?", fragt er. "Denn da befinde ich mich gerade. Wenn du meintest, dass wir es in zehn Jahren so weit bringen würden, dann nein. Wir hätten uns nicht erträumt, dass es so gut läuft."
Dabei spricht er zugleich die Bedeutung von Steam an. Valves Plattform habe das Spielen am PC neu belebt und das Unternehmen erwies sich als Partner mit einem fairen Umsatzanteil, von dem Devolver jeden Monat Geld erhielt. "Das war eine enorme Veränderung gegenüber dem, was wir in unseren vorherigen Firmen erlebten", sagt er.
Von Anfang an stand fest, dass Devolver ein rein digitaler Publisher ist und die Gründer waren "zu 100 Prozent" überzeugt davon - der Erfolg gibt ihnen Recht. Das Ziel: Interessante und abwechslungsreiche Spiele aufspüren und eine Zielgruppe dafür zu finden. "Wir versuchten diesen Ansatz zuvor in der physischen Welt und hatten dort keinen Erfolg, daher dachten wir, dass der digitale Bereich unser Zuhause ist. Und wir haben vom ersten Tag an Farbe bekannt, indem wir unser Unternehmen Devolver Digital nannten."
Ganz ohne Retail blieb es bei Devolver nicht. Zum Unternehmen gehört Special Reserve Games, die limitierte Handelsversionen einzelner Titel veröffentlichen. Wieso der Sinneswandel? "Viele unserer Entwickler - wir eingeschlossen - sammeln physische Versionen von Spielen, Vinyl-Soundtracks, Pins und T-Shirts", erzählt er. "Uns ging es da wie der Zielgruppe, die sich für Sammlerausgaben in limitierter Auflage interessiert. Viele Fans sagten uns, dass sie sich das von uns wünschen. Daher betrachten wir es auch als Fan-Service. Und es läuft gut."
Für viele gilt Hotline Miami als einer der ersten großen Erfolge von Devolver, der das Studio auf die nächste Ebene hob. "Diese Frage hören wir oft", sagt Struthers. "Ich nehme an, dass es von außen so aussieht, dass wir durch Hotline auf dem Radar vieler Spieler landeten. Damals waren wir aufgeregt und wir wussten, dass Hotline verdammt brillant war. Ich denke aber, wir haben nicht damit gerechnet, dass es uns in Sachen Bekanntheit eine Stufe höher hebt."
Die Geschichte geht zurück auf Devolvers Nigel Lowrie, der die Idee hatte, eine Reihe von Indie-Entwicklern damit zu beauftragen, ihre eigene Version eines Serious-Sam-Spiels zu entwickeln. Daraus entstand zum Beispiel das JRPG Serious Sam: The Random Encounter von Vlambeer (Luftrausers, Nuclear Throne). Über sie kam Devolver kurz darauf in Kontakt mit Dennis Wedin und Jonatan Söderström, die an einem Spiel namens Cocaine Cowboys arbeiteten. "Sie dachten, dass es was für uns wäre", sagt Struthers. "Und das war es. Anschließend begaben wir uns auf einen wilden Ritt in Richtung der Veröffentlichung von Hotline Miami ..."
Struthers zeigt sich zugleich erfreut darüber, dass viele Indie-Entwickler aus den Anfangstagen von Devolver mit neuen Projekten zum Publisher zurückkehren. Dazu zählen unter anderem Free Lives (Broforce), Dodge Roll (Enter the Gungeon), Nerial (Reigns), Flying Wild Hogs (Shadow Warrior) und natürlich Croteam (Serious Sam). Auf der Suche nach neuen Partnern schaut sich das Team von Devolver zum einen auf Events um, auf andere Projekte werfen sie nach einer Empfehlung durch Freunde einen genaueren Blick.
"Wonach wir suchen? Die einfache Antwort darauf ist: Spiele, die wir spielen würden", erläutert er. "Als Gruppe hat Devolver verschiedene Geschmäcker. Und das ist toll, da wir so die meisten Genres abdecken, da einer von uns ein Fan ist ... Also, etwas das wir spielen möchten. Wenn wir überzeugt sind, dass die Entwickler das Spiel machen können, dann finden wir heraus, wo wir helfen können. Wenn das alles passt, sind wir dabei."
Immer im Blick hat das Team dabei den Markt der großen Publisher. Die Herausforderung für Devolver sei, den passenden Zeitraum für eine Veröffentlichung zu finden. "Wir möchten vermeiden, direkt neben einem Spiel wie Red Dead auf den Markt zu kommen, daher behalten wir die Welt der Triple-A-Spiele im Auge und bewegen uns um diese herum", erklärt Struthers." Dass wir klein sind, bedeutet, dass wir schnell und flexibel reagieren können."
Den Vorteil von Devolver sieht er darin, dass sie ihre Spiele direkt zu den Medien und den Fans bringen und dass die Entwickler über alles mögliche sprechen können. "Ich denke, dass das hilft, denn in der Welt der Triple-A-Spiele wirst du häufig von PR-Nachrichten überschwemmt", erzählt er. "Die Entwickler, mit denen wir arbeiten, und Devolver verstehen das Potenzial eines Spiels und wir alle arbeiten hart daran, es den Fans und Medien zu zeigen und mit ihnen zu kommunizieren."
Als kleines Unternehmen, das weltweit 16 Mitarbeiter umfasst, hat Devolver natürlich seine Kapazitätsgrenzen. "Wir sagten uns, dass wir kein riesiges Unternehmen sein möchten", sagt Struthers. "Dann würden wir viel Zeit mit der Leitung der Firma verbringen und weniger damit, was wir lieber tun. Nachdem wir das entschieden hatten, war uns bewusst, dass wir uns auf eine kleine Zahl von Projekten gleichzeitig beschränken. Wir schulden es den Entwicklern, die uns vertrauen, dass wir für sie alles geben und nicht zu viele Dinge gleichzeitig tun."
"Natürlich war es eine schlechte Entscheidung, Rockstar zu sagen, dass Red Dead zwar okay war, für uns jedoch nicht, aber hey ... Im Ernst, es gab eine Reihe von Spielen, mit denen wir gerne gearbeitet hätten, es aus den genannten Gründen aber nicht konnten", fügt er hinzu. "Das Tolle ist, dass es für sie ohne uns extrem gut lief, was bedeutet, dass wir der am wenigsten wichtige Faktor bei Indie-Spielen sind."
Was ihm Sorge bereitet, ist, dass "eine Menge Spieler kein echtes Verständnis davon hat, was hinter der Entwicklung eines Spiels steckt", sagt er. "Die Herausforderungen und die Anstrengungen, mit denen die Entwickler konfrontiert werden. Ich bin überzeugt, dass das an uns liegt. Es liegt an uns, diese Seite der Medaille besser zu erklären und zeigen, es gibt hier viel Raum für Verbesserungen. Ich bin überzeugt, je mehr die Fans sehen, wie komplex die Projekte sind, wie viel Arbeit und Engagement dahinter steckt und warum die Teams manche Entscheidungen treffen, desto besser ist es."
Er ist überzeugt, dass dies zu einer zivilisierteren Kommunikation führen und allen zugute kommen würde. Ein Ansatz dafür sind die "Behind the Schemes"-Videos von Devolver. Vor allem das jüngste zu My Friend Pedro habe viele Zuschauer angezogen, davon sind künftig mehr geplant. "Wir möchten, dass die Fans das Gefühl haben, für ihre Unterstützung respektiert zu werden", betont Struthers. "Und dass die Entwickler für ihre Kreativität respektiert werden."
Wie Struthers die Industrie besser machen würde, wenn er könnte? "Wie wäre es, wenn wir uns unabhängig von Geschlecht, Hautfarbe, Rasse und Religion respektieren? Und G2A kann sich verpissen", sagt er. "Lasst uns eine Industrie sein, die das Beste in puncto Werte, Gleichheit und Respekt repräsentiert. Wir sind eine Unterhaltungsindustrie: Jeder ist willkommen, jeder ist gleich."
Was das Thema Crunch anbelangt, versucht Devolver, für realistische Entwicklungszeitpläne zu sorgen und behält die Entwickler im Auge. "Wir möchten nicht, dass die Teams von sich aus Crunch auferlegen", führt er aus. "Bei jedem Projekt sind die letzten sechs Monate verdammt hart und wir möchten nicht, dass die Leute dann ausgebrannt sind. Es ist ein Lernprozess, der nie endet."
Wichtig ist für Devolver die Interaktion mit der Community, was auf vielen verschiedenen Wegen möglich sei. Dazu zählt das Unternehmen zum einen Plattformen wie Discord, YouTube und Twitter ("die nette Version"). Zum anderen nutzen sie Reddit und Events wie die PAX und EGX zur Interaktion mit den Fans. Die Unterstützung durch die Fans war und ist für das Unternehmen enorm wichtig. Struthers bezeichnet sie als die "echte Marketingkraft" von Devolver.
"Fans geben Entwicklern und Devolver eine Menge Selbstvertrauen, wenn du zum Beispiel in sozialen Medien solch eine Unterstützung für die Idee von Metal Wolf Chaos findest oder Fans ihren Freunden sagen, dass sie sich My Friend Pedro anschauen sollten", merkt er an. "All das ist eine große Motivation für uns. Und es ist toll, die Fans auf Events zu treffen. Es hilft uns dabei, neue Kraft zu sammeln."
Die Situation rund um Metal Wolf Chaos beschreibt er zugleich als eine der witzigsten und verrücktesten Sachen in zehn Jahren Devolver. Dabei ging es um einen Tweet des Unternehmens an From Software mit der Bitte, Metal Wolf Chaos zurückbringen zu können. "Es ging durch die Decke, landete auf vielen Webseiten und dann dachten wir uns: 'Okay, warum versuchen wir nicht, mit From Software Kontakt aufzunehmen?'", erzählt Struthers. "Das führte dazu, dass wir den Präsidenten von From auf der E3 2017 trafen und er sagte dann schnell 'okay'. In meinen wildesten Träumen hätte ich mir nicht ausgemalt, dass wir die Chance bekämen, mit From zu arbeiten."
Ein weiteres Aushängeschild von Devolver ist der fiktive Charakter Fork Parker, der das Unternehmen unter anderem auf Twitter repräsentiert. "Ich höre die Leute immer sagen, dass Fork fiktiv wäre", merkt Struthers an. "Für mich ist er sehr real und bereitet mir schlaflose Nächte, da ich nie weiß, was der alte Kerl als nächstes auf Twitter schreibt."
Und dann wären da ja noch die berüchtigten E3-Konferenzen, die das Unternehmen seit ein paar Jahren veranstaltet. "Wir haben uns 2016 die traditionellen E3-Pressekonferenzen der großen Publisher und Konsolenhersteller angeschaut, ihr Format, den von ihnen erzeugten Hype, diese Art von Selbstreferenzialität", erläutert er. "Wir dachten, es wäre witzig, wenn wir was für uns selbst machen und Devolver die Zielscheibe des ganzen Spotts ist. Zugleich könnten wir uns über unsere eigene Branche lustig machen."
"Als wir die erste Show machten, hatten wir keine Ahnung, ob sich das einer anschaut", sagt Struthers. "Als es durch die Decke ging, für viele Zuschauer, Kommentare und Berichterstattung sorgte, waren wir so überrascht wie jeder andere. Daraus resultierte mehr Druck für die zweite Show, die dann noch mehr Druck auf die dritte ausübte. Ich denke, bei der nächsten sollten wir einfach ein paar Powerpoint-Folien zeigen und eine Reihe von Alexa-gesteuerten Plattformern ankündigen."
Aus der Industrie habe das Team dazu eine Menge positives Feedback erhalten. Und einige "sehr berühmte Leute" hätten angedeutet, dass sie nächstes Jahr gerne dabei wären. Ob es dazu kommt? Abwarten. "Ich denke, jeder versteht, dass wir genauso über uns selbst lachen wie über unsere Industrie."
Wie die nächsten zehn Jahre bei Devolver Digital aussehen? "Die einfache Antwort wäre, dass wir weiterhin das tun möchten, was wir die letzten zehn Jahre gemacht haben", sagt Struthers. "Um ehrlich zu sein, hätten wir nicht mehr Spaß haben können."
"Mit den neuen Konsolen vor der Tür, Nintendos Erfolg mit der Switch und der überragenden Qualität der tollen Entwickler, mit denen wir arbeiten, scheint alles für eine ziemlich interessante Zeit zu sprechen", fügt er hinzu. "Und wir werden einen Tweet an Valve schicken und fragen, ob sie uns Half-Life 3 machen lassen. Wenn From Software uns vertrauen kann, warum dann nicht auch Gabe?"
"Und das Fork betrifft ... er sucht immer nach Möglichkeiten, sich mit seinen zwielichtigen Geschäftspraktiken noch weiter zu bereichern. Aber zum Glück scheint er zufrieden mit seinem Geldhaufen zu sein, daher sind wir in der Lage, die Dinge auf unsere Art weiterzuführen und den alten weißen Mann weiter seinen Unsinn tweeten zu lassen."