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Zelda: Breath of the Wild - Freiheit fängt dort an, wo Open World aufhört

Nintendo macht nicht alles neu, aber in dieser Zusammensetzung alles richtig.

Es kommt euch vielleicht nicht so vor, aber wir müssen über Breath of the Wild reden. Ich muss darüber reden, weil ich mich vielleicht noch nie so frei gefühlt habe in einem Videospiel. Wir, weil Nintendo dem Genre des Open-World mit dem neuen Zelda entweder einen großen Gefallen getan oder ihm einen tödlichen Treffer versetzt hat. Wir sollten darüber reden, warum dieses Spiel aktuell als eines der besten aller Zeiten gehandelt wird, ob es einem nun gefällt oder nicht. Worüber auch immer, reden müssen wir. Dieses Spiel lässt nichts Anderes zu, als sich unentwegt darüber auszutauschen, zumindest wenn man gerade keine Gelegenheit hat, es zu spielen.

Wie gesagt: Ich glaube nicht, dass ich mich schon mal so frei gefühlt habe in einem Videospiel, wie jetzt in Breath of the Wild. Obwohl die Branche seit weit über einem Jahrzehnt in ihren offenen Welten Weite und Zügellosigkeit predigt, wurden gerade Open-World-Titel immer klammernder und kontrollierender darin, wie der Spieler sie durchstreifen sollte. Brotkrumenspuren und Wegpunkte zu Missionsmarkern, an denen man eine Stelle oder ein Objekt untersuchen soll - nur, dass man nichts untersucht, der Charakter macht das, nimmt es einem ab. Er oder sie - nicht wir - sucht, findet und hat letzten Endes sogar Deutungshoheit über die Erkenntnisse, die er hier gewinnt. Offenheit und Freiheit? Ernsthaft? Was zu tun eigentlich?

Zerklüfteter als das hier war eine Open World nie. Die beiden Bäume, deren Wipfel sich unten andeuten, stehen da übrigens nicht einfach nur so.

Nein, wir haben das große Entdecken klassisch offener Welten schon längst ausgelagert. An Türme, die die Karte für uns mit Punkten von Interesse füllen, an Missionsbeschreibungen, die uns genau sagen, was zu tun ist, an geschickt gesetzte Lichtakzente, die uns den Weg weisen. Wir werden audiovisuell derart an der Hand geführt, dass wir kaum noch Augen für die Spielwelt um uns herum haben. Horizon ist eines der wenigen Spiele dieses Typus, die es noch ganz gut hinbekommen, den Spieler nicht wie einen Stier am Nasenring durch die Gegend zu ziehen, weil es einfach ein wahnsinniger Hingucker und seine Welt so toll gestaltet ist. Aber auch hier trainieren mir Symbole und bestimmte visuelle Signale ein "Lesen" der Umgebung an, ein Scannen nach bildsprachlichem Code, der mir signalisiert: "hier gibt es was".

Mein Lieblingsbeispiel in dieser Richtung sind schon immer die müderen Assassin's Creeds, in denen man vor lauter Tritten, Kistentreppen und Seilzügen irgendwann die Stadt nicht mehr sah, die man mit ihrer Hilfe unsicher machte. Dazwischen registrierte man einfach nichts. Es hätte auch jede andere Metropole zu längst vergangener Zeit sein können. Manche Spiele machen das besser, andere schlechter, aber alle machen es auf irgendeine Weise. Das ist fast so inhärent und standardisiert "wie linker Stick laufen, rechter Stick umschauen" und erleichtert nicht nur die Entwicklung, sondern auch den Einstieg für die Spieler in ein neues Erlebnis. Und jetzt kommt Zelda mit der vielleicht (weiß jemand was Genaues?) größten offenen Welt überhaupt und vergisst mal eben semesterweise etabliertes Regelwerk aus 15 Jahren Open-World-Schule.

Gute Frau, das ist nun mal ein Zustand, aus dem man bei Breath of the Wild einfach nicht rauskommt.

Eine Weltkarte und Türme, die sie füllen? Klar, gibt es, aber es werden lediglich Topographie und Ortsnamen ausgefüllt. Marker oder Symbole, die den Spieler steuern? Vorhanden. Aber nur der Zielpunkt am Ende einer Quest wird definiert, den Weg dort hin und selbst Etappenziele müsst ihr in aller Regel selbst entdecken. Ach, und wenn ihr schon dabei seid, klettert doch auf einen Gipfel und markiert mit dem Fernglas selbst Punkte von Interesse mit Stempeln oder Lichtsäulen auf eurer Map. Das Spiel wird den Teufel tun, euch das Ausfüllen seiner Karte abzunehmen und wird noch größer, mysteriöser und einladender dadurch. Ausgerechnet Nintendo, das den Spieler in den Eröffnungen der letzten beiden Wii-Zeldas so dermaßen ausufernd bemutterte, dass man fast aufhören wollte, bevor es überhaupt wirklich losging, schubst den Spieler in das kalte Wasser einer Welt unfassbarer Größe und grenzenloser Möglichkeiten.

Erstmal drin, stellt man schnell fest, dass auch die sich nicht von selbst bezwingt. Anders als gängige offene Welten denkt sie nicht in großen Konzepten wie "Deckungssystem", "Stealth", "Kampf" und "Crafting". Es gibt vergleichbare tragende Säulen in Zelda, aber das Spielerische fängt schon kleiner an, bei einer hylianischen Version der Naturgesetze. Hitze, Kälte und ihre Extreme: Feuer, das Holz verbrennt, und Eis, das Wasser gefriert. Wind, der einen durch die Gegend pustet, Elektrizität, die sich bei Unwettern als Blitz an Metallen entlädt. Dass Link interessante Werkzeuge erhält, die diese Regeln teilweise aussetzen, beugen oder mit ihnen interagieren, Ehrensache. Seit Metal Gear Solid 5 habe ich nicht mehr mit so großer Freude mit der spleenigen, aber auf ihre Weise schlüssigen Logik eines Spiels experimentiert und mich an den vielfältigen und oft unvorhergesehenen Resultaten erfreut. An einem Stein, der fast zufällig einen Abhang runterrollt und einen Gegner erschlägt, an einem Pfeil, den ich durch eine Fackel schoss und dadurch den Feind dahinter in Brand setzte, der stählerne Hammer, den ich während eines Gewitters inmitten meiner schlafenden Feinde fallenließ, um den Blitz herauszufordern, meinen Job für mich zu machen...

'Destroy Ganon' verlangt gleich die erste echte Quest von euch. Was für ein Teufeslkerl von einem Spiel.

Und es geht noch weiter: Wer sagt eigentlich, dass ein Berg in einem Videospiel immer eine unüberwindbare Wand sein muss? Jeder Baum, jeder Fels und jeder Steilhang in Breath of the Wild ist erklimmbar, so weit eure Ausdauer reicht. "Komme ich da hoch?" und "Was ist wohl dahinter?" sind Fragen, auf die dieses Spiel lustige Begegnungen, hübsche Panoramen und interessante spielerische Belohnungen erwidert. Ein Berg ist nicht länger, wo die Spielwelt aufhört, sondern eine Herausforderung in sich, die sich anzunehmen lohnt. Wenn man nach langer Klettertour unter Zuhilfenahme stärkender Ausdauertränke und adleräugig erspähter Ruhepunkte auf dem vermeintlichen Gipfel ankommt, nur um sich dann zur wirklichen Spitze weiter hochzukämpfen, fühlt man sich richtiggehend am Ende seiner Kräfte. Wie ein Abenteurer nach einem langen Tag. Und wenn oben tatsächlich ein Schrein, eine Truhe, ein aufschlussreicher Blick auf die unergründete Region dahinter oder immerhin ein zauberhafter Gleitflug ins Tal wartet, fühlt sich dieses in Schönheit gestorbene Hyrule lebendiger, anfassbarer und - ja - abenteuerlicher an, als jede andere Spielwelt in den vergangenen Jahren.

Es war keine Kartenmarkierung, die euch hier hochgetrieben hat, es war eure eigene Neugierde auf das, was oben - und dahinter - auf euch wartete. Was könnte Freiheit und Abenteuer glänzender auf den Punkt bringen als das?

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