Zwischen Abenteuer und Eckkneipe - Das Games-Shopping der 80er und 90er
Damals gab es noch was zu erleben - oder: Alter Mann erzählt von vor dem Krieg.
Was ich in der Weihnachtszeit vermisse ... Shopping! Sicher, einkaufen ist kein Problem, Shoppen sowieso nicht, es gibt alles überall und meist frei nach Haus. Bei Spielen muss ich nicht mal das die Tür aufmachen, Download liefert immer. Nein, was ich meine, ist die Erfahrung des Nerd-Shopping-Abenteuers - welches grenzwertige Coverartwork wird heute meinen Blick fangen und versuchen, mir die Geldbörse zu öffnen? - bis hin zu etwas, das sein Äquivalent in dem Schwerstalkoholiker-Stammgast an der Bar sucht: Man sollte wohl nicht hier sein, aber man kennt deinen Namen, deine Probleme und man versteht dich - oder zumindest wird man toleriert.
Ein wenig extrem gesprochen vielleicht, aber wer schon mal in einem Game-Verleih in der Kreide stand und man auf die Worte "Nur ein Game noch ..." ein "Erst, wenn bezahlt wurde." zurückbekam und sich daraufhin sagen hörte "Ach komm schon, morgen ist der Erste", nun, dann ist der Vergleich weniger abwegig, als man zunächst denken mag. Aber nein, es waren nicht alles nur suchtartige Anzeichen mit Entzugserscheinungen, das meiste, wenn man in den 80er und 90ern vor die Tür ging, um seinem Hobby nachzujagen, war eine so fundamental grundlegend andere Erfahrung, dass es für jemanden, der vielleicht erst 20 ist, kaum vorstellbar sein dürfte, in was für barbarischen Zeiten man lebte. Und sie waren legendär. Zumindest für uns.
Hier sind die prägendsten meiner eigenen Shopping-Erfahrungen. Manches singuläre Momente, anderes wird durch Epochen und bestimmte Läden geprägt, ich habe einfach mal alles zu Papier gebracht, was mir wirklich im Gedächtnis blieb, denn wenn es da nach 30 Jahren noch festhängt, dann war es wohl mehr als "nur mal eben ein Spiel kaufen".
Zwischen Staubsauger und Ahnungslosigkeit: Kaufhäuser und andere vergessene Orte
Karstadt und Kaufhof kennt man heute noch. Gerade so. Spiele jedoch, selbst Videospiele, gibt es da schon seit Jahren nicht mehr, zumindest nicht in den Filialen hier in Berlin. Aber in der Zeit vor Media-Pro-Saturn-Markt war das ganz anders. Sie hatten Computer, sie hatten Computer-Komponenten, vom C64-Joystick bis zum PC-Farbmonitor gab es alles. Spielkonsolen waren etwas verloren zwischen den Spielsachen, aber sie waren vertreten und nicht zu knapp.
Und natürlich gab es Spiele. Noch und nöcher. Vom Grabbeltisch mit Spectrum-Tapes bis zu den großen Origin-Boxen war alles da und was man bekam, das ist nur schwer mit dem Angebot besagter Märkte zu vergleichen. Es war ein fast willkürlicher Auszug von einem halben Jahrzehnt PC- und Homecomputing - vor allem Letzteres -, repräsentiert durch 100 bis 500 Titel. Viele davon waren große Namen, die die Zeitschriften-Cover geziert haben, aber vieles hat man auch schlicht zum ersten Mal gesehen, gehört und angefasst.
Man muss sich halt vor Augen führen, dass es schlicht das Internet nicht gab. Praktisch nicht im Eigenheim und schon gar nicht zum Mitnehmen. Man konnte nicht nachgucken, ob Starflight oder Red Storm Rising einem mehr liegen könnte. Beides klingt nett, die Screens sehen gut aus, von beide Titeln hat man schon mal irgendwo gelesen, wurden hier und da gelobt ... Okay, volles Risiko: Starflight! Nie bereut. Im Gegensatz zu dem einen oder anderen Kauf, der nicht so gut endete.
Dazu kam ja schließlich auch, dass die Boxen selbst alles andere als definiert waren. Von Kassetten-Größe bis Schuhkarton war da jedes Format dabei, ganz im Gegensatz zu dem Elend, das die DVD-Hülle später auslösen sollte. Jedes Spiel war eine Collector's Edition, zumindest von der Verpackung her. All diese Boxen in einem Regal notdürftig angeordnet, das ist unendlich mal mehr sexy als diese definierten Standard-Regale der puren Langeweile.
Ja, ich vermisse ein wenig dieser Abenteuerlust in der gar nicht so kleinen Ecke voller unerschwinglicher Hardware und gerade so erschwinglichem Spieleglück, eingeklemmt zwischen Haushaltsgeräten und Bürobedarf und gefüllt mit Träumen. Und das Beste: Im Gegensatz zu dem was jetzt kommt, gab es die für relativ lange Zeit fast überall, denn jedes Städtchen hatte zumindest ein Kaufhaus.
Games-Shops: Der Weg ist nicht das Ziel, aber wichtiger Teil der Quest
Hier geht es jetzt schon mal mit dem Faktor Berlin los. Genauso sicher auch Hamburg oder München, aber eben nicht so sehr die Orte, die man nach zwei Tagen komplett erkundet hat, sollte man es drauf anlegen. Aber in Berlin... Einen guten Teil meiner Stadtkenntnis habe ich mir auf der Suche nach Spiele- und Computerläden angeeignet. Man kannte eine Adresse aus dem Inserat einer Zeitschrift. Man hatte einen Stadtplan. Das ist nicht Google Maps, für alle, bei denen man das dazusagen muss. Man muss sich seine Route raussuchen, welche Bahnverbindungen man nimmt, welche Busse und oft bin ich freiwillig kilometerweit gelaufen, um zu gucken, was es auf dem Weg noch gibt. Ich habe ein paar wundervolle Läden dabei entdeckt. Manchmal einen Hi-Fi-Second-Hand-Laden, einmal sogar ein Spielzeuggeschäft, das 1989 Massen an AD&D-Sachen rausramschte. Das war wie auf einen Schatz zu stoßen! Für den man immer noch bezahlen musste und dann kein Geld mehr für das hatte, weshalb die Quest begann, aber das war nicht nur okay, das waren Highlights.
Vor allem, wenn ein magischer Pop-up-Store auftauchte. Ich hatte nur zwei Mal das Glück, über einen solchen zu stolpern. Das sind die Läden, von denen man nicht weiß, dass es sie gibt, die man nicht gesucht hatte, in die man reinstolpert, sich in einer anderen Dimension fühlt und wenn man sie verlassen hat, ahnt man bereits, dass man sie nie wiedersehen würde. Der erste war ein Rollenspielladen in der Nähe des Pantheons in Rom, zu einer Zeit als man in Deutschland schon glücklich war, irgendwo wenigstens ein Schwarze-Auge-Abenteuer zu kaufen.
Eine große Auswahl an allen möglichen Systemen und Brettspielen, die meisten sogar in Englisch zu sehen, war ein außerweltliches Erlebnis für einen nerdigen 13-Jährigen. Und es sollte sich lohnen, Star Fleet Battles brachte mir mehr Englisch bei, als die gesamten Stunden in der achten Klasse. Aber schon ein Jahr später war an gleicher Stelle ein Café. Ahnte ich bei diesem Laden noch nicht direkt, dass er ein magischer Pop-up wäre, bei dem zweiten war es mir sofort klar.
Hinter dem Rathaus Neukölln, nur eine Straße weiter, fand ich mich plötzlich in einen Laden wieder, der sich auf japanische Importspiele spezialisiert hatte. Dazu gehörten Massen an PC-Engine-Titeln. Kein Ladenschild, scheinbar improvisierte Einrichtung, aber ein paar echte Highlights. Ich war geistesgegenwärtig genug, mir doch mein erstes Castlevania X zu holen, aber ich hätte anderes nicht aufschieben sollen: Nur wenige Tage später stand ich vor einer geschlossenen Tür, dahinter weder Regale noch Spiele, als wäre nie etwas dort gewesen. Nur mein Castlevania erinnerte daran, dass es dort einen Laden gab, den "Shop with no name" ...
Das Problem heute ist, dass es nur noch so wenige Orte gibt, an die man überhaupt fahren würde und dazwischen auf den Nerd nicht viel wartet. Zu viel ging auf die eine oder andere Weise online, es gibt keinen sinnvollen Grund mehr, einen Laden zu betreiben, wenn jeder online nach Schnäppchen suchen kann. Dort wird man auch einfacher gefunden, als in der Hoffnung zu leben, dass der richtige Nerd gerade vorbeischlendert. Und wenn die Dichte der Shops so drastisch gesunken ist, dann hat der Weg entlang genormter Einkaufcentern einfach nicht mehr den gleichen Reiz. Aber manchmal war sie auch gar nicht nötig. Man hatte eh ein klares Ziel.
DISC 1: Ich hab gestern geträumt, ich ging in einen Laden ... WIE? DEN GIBT ES WIRKLICH?!
Disc 1, DISC 1, ich weiß nicht mehr genau wie der Laden hieß, aber er illustriert perfekt die Wild-West-Zeit der frühesten 90er, wo alles möglich war, weil es ehrlich gesagt noch niemanden wirklich interessierte. Disc 1 war wie eine Videothek, nur für Computerspiele. Dass man Module leihen konnte, war noch nicht verbreitetet, wie es in den USA schon lange der Fall war, aber viele Videotheken hatten hier und da auch schon Nintendo- oder SEGA im Angebot. Computerspiele für PC, Amiga und ST jedoch, das gab es praktisch nicht. Disc 1 änderte das auf einen Schlag und vor allem für uns paar PC-Spieler dieser Zeit war das eine Offenbarung.
Während auf dem Amiga die Raubkopierszene blühte und praktisch jeder Amiga-Besitzer ein paar große Diskettenboxen hatte und auch neue Sachen leicht verfügbar waren, sah es in den PC-8086 und 268-Tagen noch ganz anders aus. Sie waren in Europa als Spiele-Maschinen einfach nicht etabliert, weil viel zu teuer. Bis dahin lief es so, dass man sich gemeinschaftlich ein Spiel kaufte und - wenn der Kopierschutz mit Bord-Mitteln zu umgehen war - dieses Spiel teilte. Wenn nicht, dann reichte man es alle paar Tage hin und her.
In den weiteren Kreis ging es über Kleinanzeigen, aber natürlich nicht so simpel. Man hatte ein paar Originale und suchte sich jemanden, der tauschen wollte. Original gegen Original. Das machte man dann ein paar Mal und wenn es gut lief und man auch mal telefoniert hatte, dann fragte irgendwann einer "Und, was hast du noch so?". Aber selbst das war dann natürlich nicht in der Nähe der Kopieraktionen auf industriellem Niveau der Heimcomputerszene.
Disc 1 beendete diesen Tanz von einem Tag auf den anderen. Alle neueren Spiele standen da, viele ältere auch, es ging mit drei Mark für einen Tag los und bis auf sechs für die aktuellen Hits hoch. Handbücher, Code-Scheiben und was noch in der Packung lag, war sauber in einer einfachen Datenbank erfasst und auch der Zustand vermerkt. Und ja, im Laufe der Jahre kann ich sagen, dass die meisten Kunden durchaus respektvoll mit den Dingen umgingen, selbst wenn man klar merkte, welche Seiten und Items häufiger unter einem Kopierer landeten und welche einfach in der Packung blieben. Die Original-Boxen selbst waren Teil des Reizes, denn die blieben im Regal im Laden, wo man sie sich in Ruhe angucken konnte. Was wir taten. Stundenlang.
Wir waren Teil der Familie. Man brachte neue Zeitschriften mit, die religiös studiert wurden. Pakete mit neuen Games auszupacken, war wie Weihnachten einmal die Woche, zumal man ja auch wusste, dass man das Geld hatte, sie mindestens für ein oder zwei Tage spielen zu können. Es gab irgendwann einen Arcade-Automaten und einen Flipper und natürlich viele Stunden Fachsimpelei über dies und das. Und der Umsatz lief gut genug. Für ein paar Jahre, bis dann der Wilde Westen Mitte der 90er endete, der Verleih reguliert und für CDs und Computerspiele, für die keine Verleihrechte seitens der Hersteller angedacht waren, beendet wurde. Da ein weiterer Laden für den Verkauf in einer Zeit, als es diese im Übermaß gab, wenig Sinn gemacht hätte, war dann auch Disc 1 irgendwann Geschichte.
Aber es gab einmal einen Laden, der von sich aus die Code-Scheiben des Kopierschutzes sauber auftrennte, weil sich jeder im klaren war, dass es sonst der Kunde tun würde und das dann nicht so sorgfältig.
Läden, die nicht Gamestop hießen oder "Hier installiert der Kunde noch selbst"
Läden, die nicht Gamestop heißen und aktuelle Spiele verkaufen, sind allgemein rar geworden, aber es gibt sie noch. Und vielleicht gibt es noch Läden wie die erste Media-Point-Filiale in Berlin. Dieser sollte sich im Laufe der 90er zu einer kleinen Kette entwickeln, aber der große, nachhaltige Durchbruch blieb aus und so verschwanden die letzten Filialen Anfang der 2000er. Die meisten waren auch etwas lieblos, unpersönlich bis unfreundlich geführt, waren wohl auch nicht profitabel und wahrscheinlich will ich gar nicht wissen, was den Angestellten bezahlt wurde. Falls es viel war, dann hätten sie sich allerdings mehr Mühe geben können. Aber egal, hier geht es um die Anfänge und den ersten Laden irgendwo in der Gegend von ich würde sagen Ullsteinstraße? Könnte sein.
Nachdem man ein wenig ins Quatschen kam und klar war, dass ich nicht nur die Zeit des Angestellten vergeudete, sondern regelmäßig bei Einkäufen genug Geld da ließ, fragte ich etwas, was damals ungewöhnlich und heute undenkbar war: "Kann ich das mal installieren?" Und ja, ich durfte. Die Packung öffnen, den Schwung Disketten, später die CD entnehmen und am kleinen PC in der Ecke in aller Seelenruhe das Game installieren und anspielen.
Selbst bei Videospielen war das nicht so verbreitet, heute gibt es das nicht und Punkt. Amazon, die sonst ALLES zurücknehmen, verweigern geöffnete Spiele. Dort jedoch konnte ich in Ruhe Elder Scrolls: Arena installieren, Ultima Underworld 2 und andere Dinge, die ich manchmal kaufte und die manchmal ins Regal zurückgingen. Unnötig zu sagen, dass ich auch in diesem Laden einiges an Zeit zubrachte, ein Stapel Disketten will halt erst mal installiert sein und so entstand auch hier ein reger sozialer Austausch über das Hobby.
Neutopia: Es war unser Utopia
Neutopia schließlich war die ultimative Endstufe des Gaming-Ladens. Viel Platz, große Fenster, freundliche Atmosphäre und es gab alles. Oder zumindest fast, denn was dieser Laden immer ausließ, das waren Computerspiele. Aber sonst waren zu etwa gleichen Teilen Video-, Rollen- und Brettspiele. Es gab Tische für Spiel-Sessions, immer waren drei aktuelle Systeme angeschlossen und man konnte fast jedes Spiel in Ruhe testen und an hohen Feiertagen wurde sogar mal der Neo-Geo-Stick herausgerückt. Es war ein Laden, in dem Spieler aller Gattungen zusammenfanden und Stunden verbringen konnten. Was sie oft auch taten. Natürlich ließen sie auch nicht zu knapp Geld dort. Aber das war es wert, denn nicht nur, dass man schöne Dinge im Gegenzug dafür bekam, man unterstützte ja auch den sozialen Hub, der dieser Laden definitiv auch war.
Es passierten dort aber auch Dinge, die wieder in den Wilden Westen der 90er zurückführten. Einige kann ich gar nicht erzählen, andere ... Doom 2 ist eine der surrealsten Raubkopier-Geschichten meines Lebens und da das mittlerweile alles verjährt und meine letzte Raubkopie lange zurückliegt ... Okay. Eines Tages hing am schwarzen Brett unseres Gymnasiums plötzlich ein Zettel: "Verkaufe Doom 2. 25 Mark, 5 leere 3,5"-Disketten selbst mitbringen. Fragt in Klasse 11a nach Soundso." Und nein, das war NICHT normal. Es war einmalig. Noch dazu war Doom 2 zu dem Zeitpunkt nicht auf dem Markt. Erste große Pause: Geld sammeln, einer flitzte los Disketten kaufen. Zweite große Pause: Klasse 11a suchen, Geld und Disketten übergeben. Folgetag, erste große Pause (der Zettel hing immer noch am schwarzen Brett): Disketten abholen.
Nach Schulschluss: Inhaltsverifizierung bei Neutopia im abgeschlossenen Hinterzimmer und eine Installation später: "Gentlemen, we have Doom 2!" Nun, ID-Software entging nicht viel, da jeder im Raum ein paar Wochen später am Releasetag auch sofort das Spiel kaufte, weil das Epos jeder im Original haben wollte. Aber es illustriert auch, dass ein Ladengeschäft ein Ort sozialer Interaktion sein konnte, wo alle für so etwas zusammenkamen. Was genau aus Soundso in Klasse 11a wurde, ist übrigens nicht bekannt. Es gab wohl eine Sitzung mit der Schulleitung, aber da er später noch in den Gängen gesehen wurde, gab es dafür, dass er raubkopierte Gewaltspiele an Minderjährige in einer öffentlichen Einrichtung verkaufte, wohl nur einen Klapps auf die Finger. Hoffe ich wenigstens.
Ein anderes Kapitel war der Ratenzettel. Jeder Mensch, der in seinem Leben mal ein Gehalt deutlich unter Bundesdurchschnitt nach Hause brachte, dürfte mit dem Konzept der Ratenzahlung vertraut sein. Dafür braucht es Gehaltsnachweise, es gibt eine Schufa-Auskunft und so weiter. Ist nicht endlos kompliziert, aber durchaus Papierkram. Neutopia handhabte das viel einfacher: Wir konnten anschreiben. Irgendwann wussten sie, dass wir eh jede Münze am Ende bei ihnen umsetzten. Also warum das Risiko eingehen, hoffen, dass wir wirklich sparen und nicht woanders Versuchungen erliegen. Es gab ein kariertes Blatt, einen Namen oben drüber und vier Spalten: Datum, Item, Preis und Zahlungseingang.
Dazu noch die fortlaufende und natürlich negative Gesamtsumme und fertig war die Laube. Oder vielmehr, das plötzlich erschwingliche Turbo Duo. Sicher, niemand hatte 800 Mark. Aber jeden Monat mal 50 oder 100, kein Problem. Das war alles natürlich unter der Hand und im Vertrauen. Aber keiner nutzte dieses Vertrauen aus und so kamen wir zu ein paar Gaming-Erfahrungen, die wir sonst uns nie geleistet hätten. Das CD-i zum Beispiel. Das hätte ich mir sonst nie gekauft. Was vielleicht auch besser gewesen wäre. Aber jetzt, 20+ Jahre später? Teil der Experience.
Neutopia ging wie Disc 1 übrigens auch nicht den Weg des normalen, schleichenden Niedergangs, selbst wenn wir das zuerst dachten. Bis zu einem gewissen Punkt lief alles super, aber dann kamen immer weniger neue Titel rein, wichtige Releases vor allem bei Rollenspielen fehlten, das Inventar stagnierte, bis schließlich nach ein paar Monaten ganz Schluss war. Jahre später sollte ich erfahren - bei einem Bier in einer Metal-Kneipe - dass es eigentlich alles so super lief, dass man in eine andere Stadt expandieren wollte. Der Laden war gemietet, das Inventar eingeräumt, alles war bereit. Leider hatte der Typ, den man für die Geschäftsführung des zweiten Ladens angestellt hatte, einen anderen Plan: Der ließ in einer Nacht-und-Nebel-Aktion alles abholen, sich das Geld direkt ausbezahlen und tauchte mit einem fast sechsstelligen Betrag unter. Hatte er wohl auch nicht zum ersten Mal gemacht, sodass, als er kurze Zeit später geschnappt wurde, die Schlange der Gläubiger lang und das vorhandene Kapital knapp war. Das war natürlich ein heftiger Schlag, der auch den ersten Laden auf die Bretter schickte. Aber Ende gut, alles gut - relativ zumindest. Alle ursprünglichen Inhaber gingen ihrer Wege, machten ihr Ding, sind am Leben und, soweit man das als Außenstehender sagen kann, glücklich. Und sie sind sich heute relativ sicher, dass so das unausweichliche Ende des langsamen Todes durch den Internethandel einfach nur ein paar Jahre vorweggenommen wurde.
Das große Abenteuer oder "Wollt'er auch ne Wurst?"
Und dann gab es da noch die echten "Abenteuer-Episoden", die man mit Freunden erlebte. Als wohlerzogene Kinder des gehobenen Mittelstandes waren manche Ecken der Stadt natürlich schon etwas wilder und wenn unsere Eltern gewusst hätten, wo wir uns überall herumtreiben ... Ich denke, meine Generation ist ein Lebendbeispiel, dass man Kinder auch einfach mal von der Leine lassen muss. Die Suche nach Games, Musik und Videos trieb uns schon mit 14 und 15 durch die ganze Stadt, auch in so "verrufene" Gegenden wie die Schwedenstraße im Wedding, wo es bereits seit den 80ern Power Soft gab, die vor allem mit Computergames handelten, aber später mir auch mein erstes Gameboy-Final-Fantasy beschwerten. Der "Kotti" war damals auch schon Drogenschwerpunkt, aber eben auch die erste U-Bahn nahe Modern Graphics, was dann eine der Quest war, die man in den frühen 90ern für Anime antreten musste. Das Motto war "don't go alone", außerdem machten Quests mit Freunden mehr Spaß und keiner quatscht einen komisch an. Quatscht dich doch einer komisch an, dann freundlich nicken und des eigenen Weges weiterziehen. Klappte in hundert Prozent der Fälle, machte uns zu jungen, gesunden Nerds voller Selbstvertrauen, die die wahrscheinlich dümmsten Dinge überhaupt taten.
Mit das Seltsamste davon habe ich mir für das Finale aufgehoben. Ein Mann namens... ich würde sagen Bornheim? Ich weiß es nicht mehr genau. In all unserer pubertären, 15 Jahre gereiften Cleverness nannten wir ihn später "Bornschwein". Diesen Namen fanden wir in den ersten Tagen des Gameboys, 91, als es vieles nur als Import für unseren kleinen Liebling gab. Solche wurden in einer kleinen Anzeige in wahrscheinlich der Power Play zu fairen Preisen und sogar in Berlin angeboten. Keine Wartezeit, kurz anrufen, Termin vereinbaren - was jetzt eher ungewöhnlich schien, aber was auch immer - und als Trio zum Hermannplatz fahren, der damals wie heute einen eher zweifelhaften Ruf als Mischung aus Bausünde und dezentem Problemkiez genießt. Was wir fanden, war kein Laden, sondern ein Wohnhaus, aber die Klingel trug den Namen, also go. Wir wurden von einem prototypischen Arbeiterklassen-Berliner in seinen 50ern empfangen, komplett in Trainingshosen und Unterhemd. "Die Spiele? Na dann kommt mal rin." Und "rin" ging es, zwei Zimmer mit Bad, winziger Flur, 55 Quadratmeter privat sanierter Altbau, die fast als Musterwohnung der Gegend hätte herhalten können. Dort gab es sogar eine Art Ladenregal: Im Flur hinter einem kleinen Vorhang, der wahrscheinlich mal ein Tischdeckchen war, standen sauber aufgereiht ungefähr 30 oder 40 japanische Gameboy-Spiele.
"Na guck mal, ob was für euch dabei is, Preise stehen dran." Stimmt, säuberlich auf kleinen Preisstickern und allesamt nicht überteuert. "Könnt auch anspielen. Hab nen Gameboy da." Hatten wir auch, also wurden wir zur Couch gelotst, dem Herzstück eines Wohnzimmers, das an die Serie "Ein Herz und eine Seele" erinnerte und einen Blick zurück in den nicht so wilden Teil der 60er und 70er gewährte. "Ick mach mir ne Curry. Wollt'er auch ne Wurst?" Man kann nicht sagen, dass der Mann ein schlechter Gastgeber gewesen wäre, aber auch wenn seine Hausmann-Curry aus der Küche nicht schlecht roch, verzichteten wir dennoch artig. Was wir aber taten war fast 500 Mark dazulassen und einen kleinen Stapel Games mitzunehmen.
Es war ein einzigartiges Shopping-Erlebnis mit viel persönlichem Flair, das wir noch einmal wiederholen sollten. Dann jedoch sagte der gute Mann bei einem dritten Anruf, dass er "dit jetz nicht mehr macht" und das war es dann. Ich kam vor ein paar Jahren noch einmal an der Tür vorbei und das Namensschild gab es noch. Irgendwie freute ich mich darüber, dass Herr Bornheim wohl noch Teil der Stadt war und fragte mich, mit welchen unerwarteten Artikeln er heute handeln mochte. Und auch wenn damals jedem von uns die Frage auf den Nägeln brannte, wie diese Spiele in diese Wohnung kamen: Keiner traute sich, sie zu stellen. Zum einen, weil die Antwort wahrscheinlich denkbar unspektakulär gewesen wäre, zum anderen, weil sie vielleicht so unglaublich ausgefallen wäre, dass keiner von uns die Wohnung wieder verlassen hätte. Wie gesagt, wir waren 15 und so freundlich und bodenständig der Mann auftrat, es war wohl ganz gut, dass unsere Eltern nicht immer wussten, wo wir waren. Die Antwort hätte sie vielleicht beunruhigt und wir hätten auf ein paar echt gute Spiele verzichten müssen, eine legendäre Einkaufserfahrung inklusive.
Kurz gesagt: Das gibt es heute nicht mehr
All diese Momente werden verloren sein in der Zeit, so wie Tränen im Regen. Es gibt solche Orte noch, echte Spieleläden, aber nicht viele und vor allem noch seltener in diesem Land. In anderen Ländern sind Retro-Shop-Kulturen ausgeprägter, was wohl der aktuell beste Weg ist, um einen Laden gegen die Online-Konkurrenz am Laufen zu halten. Interessierte Kunden, die auch bereit sind, ein paar Euro extra auf den Tisch zu legen. Diese anonyme Konkurrenz aus dem Internet - die zweifelsfrei ihre Vorteile in Sachen Preise und problemlose Verfügbarkeit hat - kann weder das Abenteuer der Stadterkundung, noch die Magie des "Pop-up-Shops" noch das soziale Gaming-Äquivalent einer Eckkneipe erfüllen.
Vieles ist in der modernen Spielwelt schlicht besser, sei es die Auswahl an Games, die generell höhere Qualität, Verfügbarkeit und vieles mehr. Aber dass es praktisch nicht mehr die Möglichkeit gibt, derartige Erfahrungen zu sammeln ... Ich nehme an, dass ein paar Sachen vielleicht früher wirklich besser waren. Oder zumindest bin ich glücklich, dass ich sie erleben konnte. Oder ich liege damit auch falsch: Was denkt ihr, was waren eure Erfahrungen dieser Art und gibt es sie vielleicht doch noch?
Und: Ganz ausgestorben sind sie noch nicht. Rollenspieler finden bei Morgenwelt Zuflucht:
Und Videospieler schauen bei einem der Defcons vorbei:
Da das wohl mein letzter Artikel in diesem Jahr ist: Fröhliche Weihnachten, schöne Feiertage und guten Rutsch!