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Alice: Madness Returns

Neues aus der Anstalt

Wer hätte gedacht, dass sich ein Spiel vor dem Hintergrund eines zum Albtraum gewordenen Wunderlandes - loooose nach Lewis Carroll (und ich bin mir nicht einmal sicher, ob das genug O's sind) - dermaßen uninspiriert und fantasielos anfühlen könnte? Dabei ist es nicht einmal so, dass im Nachfolger des mittlerweile elf Jahre alten PC-Hits keine Kreativität steckte.

Einzelne Ortschaften, Gegner und vor allem Charakter-Desings dieses Spicy-Horse-Titels sehen so düster und teilweise dreckig-abstoßend aus, dass es einem unter der Haut kribbelt, man sich nur noch waschen möchte. Und das ist in diesem Kontext zur Abwechslung mal genau so, wie es sein sollte. Nein, es ist in erster Linie der Ablauf dieser geradezu bemerkenswert eintönigen Mischung aus 3D-Jump'n'Run und Slasher, der das Erlebnis zu einer extrem einschläfernden Angelegenheit macht.

Alice' Wahnsinn ist zurück, eine Tatsache, auf die euch der Namenszusatz des Spiels zweifelsohne schon vorbereitet hatte. Dieses Mal dreht sich alles darum, wie es eigentlich zu dem schicksalhaften Brand kam, in dem vor Jahren ihre gesamte Familie umkam und der dafür sorgte, dass sie ihre Jugend in einer Irrenanstalt zubringen musste. Vehikel dafür ist der Wechsel der Titelfigur zwischen einem viktorianischen London, wie Tim Burton es am Volkstrauertag inszeniert hätte, und eben dem Wunderland.

Letzteres findet natürlich nur im Kopf des Mädchens statt. Es ist ein Ort, an den sich Alice' Geist während ihrer unzähligen Blackouts flüchtet. 95 Prozent - vielleicht mehr - des Spiels erlebt ihr in der fragmentierten Scheinrealität. Die Passagen in London dienen nur als Überbrückung und wirken ein wenig zusammengeschustert. Eigentlich kann Alice mit nichts und niemandem interagieren, sie folgt nur dem einzigen Weg bis zum nächsten Ort, an dem sie ohnmächtig werden kann, und findet ab und an mal ein Objekt, das ihr auf Druck der Quadrat-Taste einen geschriebenen Kommentar entlockt.

Alice' Geschichte wird dabei durch animierte Comic-Sequenzen untermalt, während Erinnerungsfragmente die Lücken dazwischen füllen. Dabei handelt es sich um kurze bis sehr kurze Dialogpassagen, meist nur einen Satz lang, die allüberall im Wunderland "versteckt" sind. "Versteckt" in Anführungszeichen deshalb, weil das Spiel all seine Geheimnisse direkt am Revers spazieren trägt, euch bei der Hand nimmt und euch mit seiner ganz bestimmten Bildsprache direkt darauf polt, die Goodies auf Anhieb zu entdecken. Oder zumindest unverhohlen die Mittel aufzuzeigen, die zum Erreichen dieser nötig sind. Das machen andere, bessere Spiele auch, aber nicht in dem Ausmaß, wie es hier der Erkundung dieser ingesamt angemessen strange wirkenden Umgebungen beinahe komplett den Spaß raubt.

In Alice: Madness Returns erkennt man schon aus der Ferne das Schlüsselloch, durch das sich unsere gestörte Protagonistin dank Verkleinerungsfähigkeit in einen mit Sammelgegenständen ausgestatteten Nebenraum quetscht oder entdeckt wie von selbst den Hebel, den es auf eine am Anfang des jeweiligen Spielabschnittes etablierte Art zu betätigen gilt - mal per Beschuss, mal durch die Interaktionstaste, mal durch Beschweren einer Bodenplatte.

Ähnliches gilt für die unsichtbaren Plattformen: Wann immer diese gründlichen Spielern einen Weg abseits des vom Spiel vorgegebenen Pfads durch die lange, aber lineare Geschichte bieten könnten, platziert Spicy Horse in deren Nähe eine der heilsamen Blütenknospen. Der Trick der Designer: Will der Spieler sich von einer der Wunderblumen aufpäppeln lassen, muss er sich verkleinern. Und in Alice' Mini-Form werden unsichtbare Wegweiser an Wänden oder eben Plattformen und Stege offenbart. Versteckte Wege findet ihr demnach also nicht nur beinahe automatisch, die Geister-Graffittis zeigen euch meistens sogar, was am anderen Ende des Umweges zu finden ist. Der Entwickler kann es einfach nicht lassen und telegrafiert dem Spieler an jeder Ecke, 'hier solltest du noch einmal genauer nachsehen'.

Das nimmt solche Ausmaße an, dass ihr euch in den zur Überlänge neigenden Leveln häufig zweimal überlegt, ob ihr den zusätzlichen Weg überhaupt einschlagen sollt. Seht ihr, es ist nämlich so, dass die zahlreichen Sammelgegenstände, die euch am Ende eines der abseitigen, "geheimen" Sackgassen erwarten, andere als attraktiv sind.

Alexander Bohn-Elias Avatar
Alexander Bohn-Elias: Alex schreibt seit über 20 Jahren über Spiele und war von Beginn an bei Eurogamer.de dabei. Er mag Highsmith-Romane, seinen Amiga 1200 und Tier-Dokus ohne Vögel.

Informationen zu unserer Test-Philosophie findest du unter "So testen wir".

In diesem artikel

Alice: Madness Returns

PS3, Xbox 360, PC

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