Arcania: Gothic 4
Die Rückkehr des Namenlosen
Auf dem vierten Schwierigkeitsgrad lohnt es sich, ab und zu auch einmal zu zaubern, Fernwaffen und Abwehrtechniken zu nutzen. Trotzdem bleibt euer Held selbst hier eine Ein-Mann-Armee, die fast alle Scharmützel mit Linksklick besteht und der kaum etwas schaden kann. Ein Plausch mit einem Brückenwärter namens Pip, der euch eure Reisepläne ausreden möchte, wirkt daher doppelt witzig. Pip: „Nun, ich würde nur mit einer kleinen Armee nach Süden gehen." Held: „Ich bin eine kleine Armee." Pip: „Großmaul."
Arcania besitzt einen großen Vorteil gegenüber Gothic 3: Es erscheint ohne spielentscheidende Programmfehler. Trotzdem wirft euch die Technik Knüppel zwischen die Beine. Für Menschen, die zu Kopfschmerzen und Übelkeit neigen, ist das Spiel ein Debakel. Auf der Xbox 360 flackert und ruckelt es sich einen hungrigen Leitwolf. Besonders in Auflösungen über 720p (Stellt eure Konsole vor dem Spielstart unbedingt um!). Es sieht zwar stimmungsvoll aus, wenn sich das Gras sanft im Wind wiegt und sich im Hintergrund eine Burg aus den Felsen schält, doch Kameraschwenks oder generell Bewegung quittiert Arcania mit störrischen Einbrüchen der Bildrate. Hinzu kommt Kantenflimmern.
Selbst die an sich sehenswerten, aber zu rasanten Tag-, Nacht- und Wetterwechsel enden durch sich ruckartig ändernde Schattenwürfe und Lichteinfälle in einem grotesken Schauspiel. Die Konsolen-Fassung von Risen macht da mehr Freude – erst Recht, wenn man die grafisch überholte US-Version sein Eigen nennt, die in Deutschland nicht erschienen ist.
Immerhin passt Spellbound für Konsolenspieler das Menüsystem an. Inventar, Karte, Logbuch und Co. lassen sich per Start-Knopf und Analog-Stick auswählen. Das Inventar ist übrigens größer als eine Damenhandtasche: Ihr dürft tatsächlich alles mitschleppen, was ihr findet. Also sehr, sehr viel!
Die Wiesen, Wälder und Höhlen nach Kohleflözen, Dämonenkäppchen, Sonnenbeeren oder knospenden Ogerblättern zu durchstöbern, lässt sogar Gothic-Flair aufkommen. Es gibt Dutzende Pflanzen- und Pilze-Arten zu finden, zwischendurch erlegt man Wildschweine oder wehrt sich gegen Goblins. Bei Händlern einzukaufen, lohnt sich nicht. Angelegtes Rüstzeug und mitgeschleppte Sachen stehen sich (nur auf Xbox 360) sogar schön gegenüber. Auch sortieren dürft ihr eure Schätze. Fein!
Dafür bestraft man die Spieler mit derart kleinen Beschreibungstexten, dass man selbst mit einem Fernglas kaum etwas erkennt. Bei niedriger Auflösung am Röhrenfernseher hingegen zeigt Arcania nur die nötigsten Informationen an, der Rest fällt unter den Tisch. Konsequent, aber unbefriedigend. Tränke lassen sich mit Rezepten übrigens direkt aus dem Inventar heraus brauen. Weshalb man trotzdem noch Alchemie-Tische, Kochtöpfe oder Schleifsteine nutzen kann, wissen nur die Entwickler; es bringt nichts und erinnert Veteranen nur daran, dass früher in Gothic (oder Risen) alles besser war.
Auf dem PC läuft das Spiel speziell nach dem bereits veröffentlichten ersten Patch zwei Klassen flüssiger und sieht auch deutlich besser aus. Allein die Rauch- und Lichteffekte wirken unendlich viel realer. Wer auf Gamerscore verzichten kann und sich nicht an daran stört, das Spiel online aktivieren zu müssen, sollte sich also hier betätigen. Auf einem AMD Phenom II X6 1055T 2,8 Gigaherz Prozessor, GeForce GTX 460 und mit vier Gigabyte Arbeitsspeicher geht das Abenteuer auch in 1.680 x 1.050 und maximalen Details gut von der Hand. Leichte Ruckler sind jedoch selbst hier vorhanden. Doch immerhin sind am PC dank Maus überhaupt erst schnelle Kameraschwenks möglich.
Auf beiden Systemen kommt man sich vor wie Agent Orange, der den Herbst bringt: Blätter lösen sich an Bäumen und Büschen auf, sobald ihr euch nähert. Das lässt sich zwar deaktivieren, doch dann klebt euch oft Laubwerk im Sichtfeld. Ebenfalls wie von Zauberhand verschwinden bei Gesprächen die Helme eures Helden. Nein, so entsteht keine glaubhafte Spielwelt. Und die ist für ein Rollenspiel wichtig.
In Arcania räumt ihr Truhen in fremden Häusern aus, während der Besitzer daneben steht. Die meisten Charaktere scheinen miteinander verwandt zu sein, denn sie ähneln sich auffallend. Besonders die Frauen scheinen alle aus einem Klonexperiment zu stammen, schieben alle übergroße Brüste vor sich her, gestikulieren gleich und besitzen die Gesichtsform Mensch gewordener Fleischwanzen. Immerhin stimmen die Proportionen: Gothic-Schrumpfköpfe gehören der Vergangenheit an.