Arcania: Gothic 4
Die Rückkehr des Namenlosen
Generell fehlt es dem Spiel an Höhepunkten. An Dramatik. Es fehlen Charaktere wie in NIER, denen man ihre Seelenpein abnimmt. Viele Gespräche und damit auch die Quest-Aufgaben dümpeln stattdessen auf dem Niveau eines Erotikfilms. Zwar fragt keiner, weshalb euer Held eine Maske trägt oder Stroh auf dem Boden liegt, doch Tiefgang nehmen die Konversationen selten auf. Ihr plagt euch bereits auf der ersten Tutorial-Insel mit Hohlbirnen wie eurer Verlobten, die euch nach eurem Heiratsantrag eröffnet, doch bitte im nächstgelegenen Kriegsgebiet die Flitterwochen verbringen zu wollen.
„Du bist schwanger!", entgegnet euer Dreitagebart-Frauenschwarm daraufhin, übrigens toll vertont von Gerrit Schmidt-Foß, der deutschen Stimme von Leonardo DiCaprio. Sie: „Eben. Und bevor ich kugelrund bin, will ich einmal ein echtes Abenteuer erleben und von dieser öden Insel runter." Als Nächstes will die Dame vermutlich in den Gaza-Streifen zum Sonnenbaden. Doch lange braucht ihr euch darüber nicht den Kopf zerbrechen, denn ihr reist alleine.
Der Inhalt der meisten Dialoge besteht aus Geschwätz. Oft sogar unfreiwillig komisch formuliert, weil die Gesprächspartner wie Handpuppen in einem Kasperletheater wirken - wie Nichtspieler-Charaktere, die man nur an einem Ort platziert hat, um dem Spieler seine nächste Aufgabe zu geben. Und so ist es ja auch. Zu wenig erfahrt ihr über Hinter- oder Beweggründe, die Geschichte der Insel und ihre Fraktionen. Arcania schafft es nicht, die Illusion einer lebendigen Spielwelt aufrechtzuhalten.
Entscheidungen etwa trefft ihr über die Multiple-Choice-Antworten fast nie. Warum? Ihr arbeitet einfach eine Gesprächszeile nach der anderen ab, bis es nichts Neues mehr gibt. Gilden wie in Risen existieren nicht, der Weg bis zum Endkampf bleibt linear. Verschenktes Potential. Auch durch Rätsel hätte man die seichte Rollenspielwelt auflockern können. Doch eure Mitbürger schicken euch nur schnurstracks von A nach B nach C nach D, um Gegner auszuschalten und vermisste Gegenstände zu suchen. Die Strecken sind dabei überschaubar, denn die Insel teilt sich in kleinere Gebiete, die ihr nacheinander abarbeitet.
Weshalb solltet ihr Arcania überhaupt spielen? Nun, ihr würdet solche Dialogzeilen verpassen wie „Du bist ja total irre. Stirb, du krankes Schwein!" Aber Spaß beiseite: Als Vollwert-Rollenspiel versagt Arcania, es ist eher ein Action-Adventure mit Simpelaufträgen, das (in erster Linie am PC) mit einer schönen Landschaft berauscht. Musikalisch gibt es nichts zu meckern. Die Orchester-Klänge passen zur gezeigten Mittelalter-Welt. Das vermutlich letzte Spiel, bei dem der verstorbene Spellbound-Chef Armin Gessert (Giana Sisters) im Abspann steht, hätte trotzdem Besseres verdient.
Wer Gothic will, ist bei Arcania falsch. Spellbound hat mit einem großen Rotstift das Fähigkeitensystem zusammengestrichen, die Spielwelt eingezäunt und die Charaktere zu Hülsen degradiert. Das gestaltet das Spiel vor allem leichter, aber auch langweiliger. Der exzentrische Oldie hat sich zum Fließband-Abenteuer gewandelt. Ein Abenteuer, das auf älteren PCs und Xbox 360 auch noch ruckelt.
Es fällt schwer, nicht einfach nur einen Mangel nach dem anderen aufzuzählen – Spiele wie Dragon Age: Origins, The Witcher oder Oblivion wirken einfach erwachsener, ausgereifter. Und selbst wer von Gothic nicht genug bekommt, den bedient Risen besser. Ich bin offensichtlich ein pervertierter Penner, denn mir bereitet es trotzdem Freude, in Arcania Blumen zu pflücken, wie eine Biene von Questgeber zu Questgeber zu schwirren und mein Inventar wie einen Honigtopf zu füllen. Arcania verfügt also auch über gute Aspekte. Doch wer Gothic 4 auf die Packung druckt, sollte kein Mittelalter-Gelegenheitsspiel abliefern. Das ist unwürdig. Alle Hoffnung ruht nun auf Two Worlds 2.
Xbox 360:
PC:
Arcania: Gothic 4 ist für PC und Xbox 360 erhältlich. Eine Version für PlayStation 3 soll im März 2011 erscheinen.