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Binary Domain - Test

Warum haben sie den französischen Killerroboter mit einem Akzent ausgestattet? Weil sie es konnten!

Ich hab letztens noch überlegt, ob ich zu hart zu Syndicate war. Gedanken in der Richtung von "Hm, es ist wenigstens ein authentischer Cyberpunk-Ansatz. Ja, es hat seine Mängel, die Spielbalance ist komplett über die Landfläche verteilt, die Story ist ein wenig öde, aber hey, wer weiß, vielleicht kann man mit einem Shooter in der Genre einfach nicht mehr machen..." Ein paar Tage später und ich kann sagen: Danke, SEGA und Yakuza Studio, dass ihr diese Gedanken in die "Erledigt"-Ecke packt. Binary Domain zeigt, dass weit mehr geht und es trotzdem ein actiongeladener Shooter sein kann.

Der Fokus ist jedoch nicht in allen Aspekten vergleichbar. Binary Domain ist zum einen ein squadbasierter Ansatz (wie es vielleicht Syndicate auch jenseits des Koop hätte sein sollen), es ist Third-Person und bei weitem nicht so gewalthaltig. Letzteres führt zum Szenario. Syndicate kam, wie auch sein Original-Spiel, aus der düsteren Neuromancer-Shadowrun-Ecke, Binary Domain ist ganz klar japanischen Ursprungs. AD Police, Bubblegum Crisis, Cyber City Oedo oder Silent Moebius, die ganzen entsprechenden Anime-Cyber-Serien der 80er und 90er scheinen hier irgendwo ein wenig drinzustecken. Diese griffen wiederum bis zu einem gewissen Grad die Gedanken des Klassikers Blade Runner auf und - neben coolen Shootouts und Mädels in Kampfanzügen - stellen die Frage, wann eine KI menschlich genug sein kann.

In diesem Fall sind es Roboter. Ursprünglich wurden die menschenähnlichen, aber klar als Maschinen zu identifizierbaren Geräte gebaut und mit immer mehr Intelligenz ausgestattet, um der Menschheit das Überleben zu sichern. In einer recht vage angedeuteten Klima-Katastrophe werden große Teile der Welt überflutet, die meisten Städte verwandelten sich in Venedigs und statt weiter hinten im Land neuzubauen - gerade für Japan mit seinem bergigen Hinterland schwierig -, setzte man Hightech-Urbanes einfach obendrauf. Gewaltige Säulen tragen die schöne neue Welt, unten die Slum-Reste und alles wird mehr oder weniger von maschineller Arbeitskraft am Leben erhalten.

Die Grenze, die bei der Robotik gezogen wird, ist die, dass die Maschinen nicht wie Menschen aussehen dürfen, ein Verbrechen, das mit internationalen Strafmaßnahmen geahndet wird. Und plötzlich tauchen Roboter auf, die natürlich wie Menschen aussehen. Nur, dass sie selbst nicht einmal wissen, was sie eigentlich sind und scheinbar schon seit Jahrzehnten unerkannt zwischen den Menschen leben. Wer hat sie gebaut, warum und was ist die Gefahr, wenn es eine gibt? Diese Fragen sind der Pseudo-SciFi-philosophische Hintergrund von Binary Domain - ein weiter Steinwurf von Deus Ex' sehr realen Transhumanismus-Gedanken entfernt und einigen sicher aus der Battlestar-Galactica-Neuauflage nicht unvertraut - und nicht allein gemessen an der Grundlage "für einen Shooter" baut es diesen zu einer wirklich interessanten Handlung aus.

Binary Domain - Trailer

Ein anderer interessanter Aspekt ist die Idee, dass Japan 2080 in selbst gewähltem, vollständigem Isolationismus lebt, eine riesige Flut-Verteidigungs-Schutzmauer inklusive. Wer nicht Japaner ist, kommt nicht rein. Oder muss sich wirklich Mühe geben. Wie euer Team. Als der Klischee-Amerikaner in einer multinationalen Elite-Eingreiftruppe für eben solche Roboterzwischenfälle werdet ihr hineingeschickt, da Japan in dieser Zukunft eben nicht mit der UNO zusammenspielt. Von der Flutmauer durch die Slums der überschwemmten Altstadt hinauf, arbeitet ihr euch in die schöne neue Welt an der Spitze des Elfenbeinturms vor, zum Herz einer Verschwörung, und erlebt dabei eine interessante und vor allem lebendig dargestellte Zukunftsvision. Große Teile des Weges legt ihr natürlich mit dem Blick über die Schulter auf ein Fadenkreuz zurück, aber das Spiel nimmt sich auch immer wieder kurze Atempausen und zeigt euch, wo, mit wem und auch gegen wen ihr kämpft. Ein guter Vergleich wäre wohl Metro 2033, das sich ebenfalls diese Zeit gönnt und wie auch Binary Domain massiv davon profitiert.

Das Team selbst ist ein wandelndes Klischee, wie man es von einem japanischen Spiel erwarten würde. Zwei Quoten-Amis, einer davon schwarz und bullig, der kühle Engländer, die noch kühlere Engländerin, eine chinesische Scharfschützin und - ohne Frage das Highlight der Runde - ein französischer Kampfroboter, der wie eine Kreuzung aus C3PO und dem Terminator rüberkommt. Mit Akzent. Überraschend an dieser Runde ist, dass man sie immer mehr mag, je länger das Spiel dauert. Die Dialoge sind wirklich nett geschrieben, glaubwürdig, durchaus gutes Action-Film-Niveau. Genau richtig, ich bin wirklich überrascht. Jede Figur hat ihre kleinen Eigenheiten - oder großen im Falle des französelnden Roboters -, es gibt einen gewissen Grad an Interaktion, indem sie euch von Zeit zu Zeit Fragen innerhalb der Diskussion stellen und ihr habt zwei oder drei verschiedene Antworten. Nichts zu elaboriertes, sicher nicht ganz Mass Effect, aber innerhalb dieses Rahmens wiederum genau richtig. Nicht zu viel, um die nächste Ballerei hinauszuzögern, nicht zu kurz, als dass die Begleiter nur als Kanonenfutter mit herumlaufen würden.

Das System des Vertrauens dagegen ist ein klein wenig zu zögerlich implementiert. Stimmt ihr in Gesprächen zu, schießt ihr selbstlos an vorderster Front die Roboter weg oder eben nicht gerade den eigenen Leuten in den Rücken, dann mögen sie euch ein klein wenig mehr. Was ihr davon habt? Das wiederum lässt sich ein wenig zu schwer feststellen. Seid ihr richtig nett zu jemandem, werden zum Ende hin die Gespräche freundlicher und vor allem reagieren die Kollegen dann schneller und effektiver auf eure Befehle. Ja, klappt, mehr oder weniger, vor allem der erste Teil, das mit den Befehlen scheint jetzt nicht so den Unterschied zu machen. Ihr müsst schon Dauerfeuer auf eure Kollegen packen und sie konstant beleidigen, damit sie auch nur ein wenig aufsässig werden.

Binary Domain - Zwischensequenz

Das Beleidigen könnt ihr übrigens ganz persönlich erledigen. So wie auch die Befehle für die Squad-Manöver nimmt das Spiel diese auf Wunsch per Headset entgegen und stellt sich dabei sogar ziemlich kompetent an. Ihr habt eine relativ lange Liste von 30 oder so Kommandos, die ihr euch am besten notiert, es gibt ein kleines Lernprogramm, das die Erkennung auf eure Stimme anpasst und ja, es funktioniert weit häufiger als dass ihr euch wiederholen müsst. Ein interessanter Ansatz für mehr Immersion und auch wenn wirklich komplexe Manöver, die mehrere Leute beinhalten, nicht angedacht sind, macht es einfach mehr Spaß, "Retreat", "Fire" oder "Rush" zu brüllen, statt einen Knopf zu drücken. Von F***, S**** und DAMNNN!!! mal abgesehen. Oder auch auf Deutsch. "Fick dich" oder "Rückzug", Binary Domain kennt sie alle, nur hatte ich den Eindruck, dass die Erkennung der Namen in der Englischen Einstellung besser funktioniert. Vielleicht ist die deutsche Erkennung der Meinung, das man die Namen nicht Englisch aussprechen sollte, obwohl sie es sind. Auf Deutsch funktioniert es, aber ihr müsst ein wenig mehr üben.

Lasst mich an dieser Stelle noch kurz die Ironie erwähnen, dass wir hier eine Story in einem Spiel haben, die versucht, etwas über Roboter zu erzählen, die wie Menschen denken und aussehen, während die Spielmechanik versucht, euch die KI-Gefährten als menschlicher zu verkaufen, indem ihr zu ihnen sprechen sollt, um euch vergessen zu lassen, dass es keine Menschen sind. Irgendwo lässt sich bestimmt aus diesem Umstand ein philosophischer Diskurs ziehen.

Spielt ihr es dagegen nur per Pad, sind eure Möglichkeiten beschränkt, weil man offensichtlich keine lange Liste zu durchscrollen in die Gefechte packe wollte. Ihr müsst mit vier Basiskommandos zurechtkommen, was dank der wirklich brauchbaren Freund-KI auch funktioniert. Von Zeit zu Zeit, insbesondere wenn es nicht so viele verschiedene Deckungsmöglichkeiten gibt, rennen sie euch gern mal vor die Flinte, aber sonst sind sie mehr als nur Kugelschwämme.

Die Zusammensetzung des Teams variiert immer wieder mal, wobei euch das Spiel in der Regel die Wahl lässt, mit wem ihr losziehen wollt. Dabei besteht ein wenig die Gefahr, dass man auf eine kleine Gruppe fixiert bleibt. Erst einmal hat man sich bei dieser beliebt gemacht, sie gehorchen also besser und außerdem hat man ihre Waffen und Nanos schon aufgebessert. Jeder Robo-Kill bringt Geld und jede Figur hat eine Hauptwaffe, die ihr in überall verteilten Automaten aufbessert. Diese Aktion ist so kostspielig, dass man sich ein wenig festlegen muss, um wirklich Vorteile für zumindest ein paar der Leute herauszuholen. Es macht Sinn, nehme ich an, es soll ja nicht zu einfach sein, eine tolle Knarre zu kriegen, aber ich hätte ein System bevorzugt, das mir zumindest diese erspielten Vorteile gibt, egal mit wem ich grad unterwegs bin.

"Binary Domain zeigt durch abplatzende Panzerung, fliegende Schrapnell und gute Animationen auf drastische Weise die schiere Wucht der Einschläge und es ist unglaublich befriedigend, diese Blechbüchsen zu Klump zu schrotten."

Ganz davon abgesehen, wen ihr ins Team beruft, das Ballern auf Roboter ist einfach klasse. Hätte nicht gedacht, dass ich das sagen würde, im Gegenteil, ich hätte sogar erwartet, dass es das wäre, was ich hier hassen würde. Aber Binary Domain zeigt durch abplatzende Panzerung, fliegende Schrapnell und gute Animationen auf drastische Weise die schiere Wucht der Einschläge und es ist unglaublich befriedigend, diese Blechbüchsen zu Klump zu schrotten. Praktisch jede Waffe hat ein eigenes, aber immer kräftiges Feedback und dreht ihr den Sound ein wenig auf, habt ihr eine infernalische Kulisse, die die donnernden Gefechte wunderbar räumlich werden lässt. Sei es ein kleiner Standard-Roboter oder ein monströses, waffenstarrendes Riesen-Trike aus der Hölle, Metall zu zerkleinern hat noch nie so viel Spaß gemacht.

Die Gefechte selbst funktionieren dabei nach den üblichen Gears-Mustern, nur dass die Zahl der Wiederbelebungen auf die Zahl der Heilpäckchen begrenzt wurde. Im Normalfall kein Problem, kann es bei den Bossen schon mal schnell zu Engpässen kommen, zumal die gegnerische KI auch nicht zögert. Sie sind Roboter und sie haben keine Angst, auch mal schnell nach vorne zu stürmen und zu flankieren. Selten nur hocken sie gänzlich statisch immer hinter der gleichen Deckung, eine Lektion, die sich die Feinde aus Deus Ex hier gern abschauen dürfen. Ganz einfach ist das Spiel also nicht, aber letztlich würde ich Profis wieder raten, gleich auf Hart einzusteigen, um das Meiste aus den etwa zwölf Stunden zu holen. Selbst wenn man sich über die Ecken und Kanten der Kämpfe dann ein wenig mehr ärgert.

Es lässt sich nämlich nicht leugnen, dass es sich einfach nicht so rund spielt wie zum Beispiel ein Gears oder gar ein Vanquish. Ihr bleibt ganz gelegentlich mal hängen, die Kamera bewegt sich nicht so zügig, es sind Kleinigkeiten, die mit ein wenig Politur alle ausmerzbar gewesen wären. Dann wäre es auf einer Stufe mit den ganz Großen gewesen.

Gleiches gilt auch für die Technik selbst. Um noch einmal auf den Vergleich mit Syndicate zurückzukommen, bietet Binary Domain die weit besseren Umgebungen, wenn es um die Abwechslung geht. Es hat auch seine Auswahl an Korridoren, aber sie sind mehr kurze Verbindungspunkte zwischen meist interessanten Szenen und Gefechten. Was ihm jedoch fehlt, ist eine technisch so hochwertige Engine, wie Syndicate sie hat (es aber leider viel zu selten zeigt). Es wirkt immer wieder schlicht ein klein wenig billig. Es stört nur insoweit, als dass ich bei diesem Spiel so gerne die gleiche Sorgfalt in der Visualisierung gesehen hätte, wie sie der Rest des Spiels zu bieten hat. Aber leider ist da nichts, für das der Gott der Grafikwunder Binary Domain in den Himmel lassen würde.

Binary Domain - Multiplayer-Trailer

Nach einer dermaßen überraschend guten Solo-Kampagne ging ich, gerade mit dem Gedanken an die ganzen Squad-Mechaniken, praktisch davon aus, dass es einen umfangreichen Koop-Modus geben muss. Aber weit gefehlt. Außer einem lauen Horde-Modus auf ein paar mageren Karten ist hier nichts zu finden. Ein paar Versus-Modi sind da, Team-Deathmatch, Capture-the-McGuffin und ein paar mehr, aber sie alle sind praktisch unbenutzbar. Die Zahl der Spiele hält sich in Grenzen, was es aber umso faszinierender scheinen lässt, da die Server damit schon völlig überfordert scheinen. Ständig poppten Spieler raus und rein, Verbindungen gingen regelmäßig ganz verloren und die lieblosen Karten luden auch nicht gerade zum längeren Verweilen ein. Binary Domain ist ganz klar eine Einzelspieler-Erfahrung. Die Ressourcen, die an den Alibi-Multiplayer verschwendet wurden, hätte lieber in die letzte Politur der Kampagne fließen sollen.

Und möglicherweise würde dann unten eine noch höhere Note stehen. Ganz persönlich und nur gedanklich für mich tut sie das vielleicht sogar. Binary Domain kam (fast) aus dem Nichts und mit einer fast schon intelligenten Handlung, interessanten Umgebungen, guten und stellenweise sogar ansatzweise innovativen Spielmechaniken sowie donnernden Kämpfen punktet es auf der ganzen Linie. Ich hätte nie gedacht, dass auf Roboter schießen so befriedigend sein kann, aber hey, wenn man es nur richtig macht, ist das absolut möglich, wie es aussieht.

Sicher, weder das Loyalitätssystem noch die Sprachkommandos werden in dieser Form allzu bleibende Spuren in der Art hinterlassen, wie wir Videospiele betrachten. Auch die Story, so schön sie mit den Klischees spielt, so sympathisch die Charaktere rüberkommen, viele der Versatzstücke sind alles andere als frisch. Aber nichtsdestotrotz, Binary Domain ist ein wundervolles Spiel, das sich eben aus all den genau richtigen Bausteinen das zusammensucht, was es braucht, um eine eigene Spielerfahrung zu bieten. Und sobald SEGA für den Nachfolger den angetackerten, lieblosen Multiplayer gleich ganz über Bord wirft - oder von Grund auf überarbeitet - und stattdessen der Kampagne noch die letzte Politur gibt, dann wird das ein Franchise, das ich gerne alle paar Jahre wieder besuchen würde.

Oh, ein letzter Rat an euch: Ignoriert das hässliche Cover. Ich nehme an, dass der Künstler sein Bestes gab. Leider reichte es nicht. Binary Domain ist weit besser, als es auf den ersten Blick im Laden den Anschein hat.

8 / 10

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Martin Woger Avatar
Martin Woger: Chefredakteur seit 2011, Gamer seit 1984, Mensch seit 1975, mag PC-Engines und alles sonst, was nicht FIFA oder RTS heißt.

Informationen zu unserer Test-Philosophie findest du unter "So testen wir".

In diesem artikel

Binary Domain

PS3, Xbox 360, PC

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