BioShock 2
Vaterfreuden
Auf die Gefahr hin, abgedroschen zu wirken: Bei manchen Spielen weiß man in den ersten Minuten, dass sie etwas ganz Besonderes sind. Einige dieser Spiele sind so taff und kompromisslos, euch mitten in der Nacht über dem Atlantik aus einem zerberstenden Flugzeug zu schütteln wie den letzten Groschen aus einem Sparschwein. Dann waterboarden sie euch im eiskalten Marineblau, während ein Triebwerkspropeller des Fliegers sich direkt neben euch ungebremst in die Tiefe schraubt.
Und schließlich, wenn ihr mit letzter Kraft und reichlich Restwasser in den Lungen den rettenden seepockenbewachsenen Boden erreicht, der so überraschend wie willkommen vor euch aufgetaucht ist wie der gigantische Leuchtturm, der da mitten aus dem Meer ragt – dann sagt diese Sorte Spiel euch: Der Alptraum hat gerade erst begonnen!
BioShock 2 ist kein solches Spiel, braucht es doch etwas länger als das Seriendebüt, um seinen Reiz zu entfalten. Es fängt in der uns vorliegenden, sieben Level langen Fassung einfach an, zielstrebig, ohne Umschweife. Und lässt euch vor einer Vita-Kammer irgendwo in Rapture kurzerhand in den schweren Anzug eines Big Daddy schlüpfen, der gerade eben noch mit dem Gesicht nach unten in einer Pfütze lag. Wie zum Beweis, dass man nun einer dieser brutalen Stahlkolosse ist, erhascht man noch kurz einen Blick auf das Spiegelbild in der Lache unter einem, bevor man auch schon mitten im Spiel steht.
Das ist alles, was der Titel an Exposition braucht. Und wie könnte man es den Entwicklern auch verdenken? „Wer Teil 1 nicht gespielt hat, setzt keinen Fuß in den zweiten Teil und der Rest weiß eigentlich alles, was er wissen muss“, scheint sich 2K Marin gesagt zu haben, als es die wunderbar abgründige Unterwasserwelt von Irrational Games übernommen hat. Sobald man die ersten schwer klackernden Schritte tut, ist man einfach froh, wieder hier zu sein und weiß den atmosphärisch nahtlosen Übergang vom ersten zum zweiten Teil zu schätzen.
Anstatt wie im ersten Teil seine Mission vornehmlich im Überleben zu sehen, rückt BioShock 2 gleich zu Anfang damit heraus, dass ihr eine Rolle im Rapture nach Ryan zu spielen habt. Hier herrscht nämlich mittlerweile eine gewisse Psychologin namens Sofia Lamb, deren Ansichten denen des Visionärs und Gründers von Rapture, Andrew Ryan, zwar diametral entgegen stehen. Lamb verfügt aber über ein mindestens genauso gefährliches Sendungsbewusstsein. Tenenbaum bittet euch, die Little Sisters zu retten, für die Lamb offenbar einen eigenen Plan hat – und außerdem gibt es da noch das geheimnisvolle Mädchen Eleanor, das dort eine Schlüsselrolle zu spielen scheint und schon bald zu euch Kontakt aufnimmt.
Rein atmosphärisch und erzählerisch ist man in Nullkommanichts wieder dort, in der leckgeschlagenen Dystopie, fühlt sich ganz schnell zuhause und will unbedingt wissen, wie es weitergeht. In Sachen Stimmung wird hier erneut schlicht Einzigartiges geboten. Das ist zu gleichen Teilen den Schöpfern des Vorgängers zu verdanken, wie denen des zweiten Teils. Immerhin kann 2K Marin auf einer unvergleichlichen Welt aufbauen. Aber auch das ist etwas, das man erstmal richtig machen muss. Sie schaffen es und das kann man ihnen nicht hoch genug anrechnen.
Was hingegen ein bisschen befremdlich wirkt, ist die eingangs recht schwachbrüstige Bewaffnung: Ihr habt nur eine Nahkampfwaffe und keinerlei zusätzliche Fähigkeiten. Natürlich ist es verständlich, dass die Entwickler dem Spiel die gleiche metroidartige Struktur geben wollten, in der man sich nach und nach die genetischen Upgrades verdient, mit denen man sich über immer neue Hindernisse hinweg in den nächsten Bereiche vorkämpft.
Kurzgeschlossene Türöffner werden z.B. mit dem Elektrizitätsplasmid überladen, zugefrorene Schotts mit einem Feuerball geschmolzen. Diese Wehrlosigkeit mag aber irgendwie nicht so recht zu einem Big Daddy passen. Abgesehen von dem riesenhaften Bohrer unten rechts, der Vignettierung der Sicht durch die Helmränder und den lauteren (und exzellenten) Soundeffekten beim Rennen, Springen und Einstecken seid ihr zu Anfang genauso ein Opfer wie der zunächst so ahnungslose Passagier des unglückseligen Fluges aus dem ersten Teil. Das wird auch dadurch unterstrichen, dass euch die Splicer keinerlei Furcht entgegen bringen und euch regelrecht die Hölle heiß machen. Allerdings habe ich auch nicht die Vollversion gespielt – und ich habe eine leise Ahnung, dass es für diesen Umstand im weiteren Storyverlauf noch eine schlüssige Erklärung geben könnte.