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BioShock

Evolutionäres Shooter-Kunstwerk

2K Boston bastelte sechs Jahre an BioShock. Mehr als ein halbes Jahrzehnt. Eine sehr lange Zeit für ein Computerspiel. Eine Zeit, in der das Team vermutlich auch ein Wechselbad der Gefühle durchleben musste, denn lange war unklar, wer das Spiel überhaupt herausbringen würde. Ihr letztes Werk System Shock 2 war zwar spielerisch ein Meilenstein, kommerziell jedoch ein absoluter Flop. Nur wenige Publisher sind heutzutage bereit, unter diesen Prämissen ein Wagnis einzugehen. Take 2 erkannte aber das Potential des avantgardistischen Shooters und nahm ihn schließlich unter seine Fittiche. Eine Entscheidung, die hoffentlich nicht nur mit hübschen Auszeichnungen für die Vitrine belohnt wird, sondern auch mit guten Absatzzahlen.

Daher ist dieser Artikel Test und Plädoyer zugleich: BioShock ist genau das geworden, was wir uns alle erhofft hatten. Ein Spiel, an das wir uns noch in 20 Jahren erinnern werden. Jetzt ist es an uns Spielern, der Industrie zu zeigen, dass sich Mut und Risiko - die hinter einem solchen Projekt stecken - auch auszahlen.

Gerade in jüngster Vergangenheit wird diskutiert, ob Spiele nun eine Kunstform sind oder nicht. Einige Fragen bleiben dabei stets offen. Und BioShock ist die Antwort. Quasi die '42' unter den Videospielen. Ein Spiel, dessen künstlerischer Anspruch nicht nur darin besteht, glitzernde Effekte auf den Bildschirm zu zaubern, sondern eine in sich stimmige Welt zu schaffen, die den Spieler mit Haut und Haaren auffrisst. Die einen gefangen nimmt, wie ein gutes Buch, das man nicht mehr aus der Hand legen kann, weil es doch noch so viel zu erfahren gibt. Und bei dem man fast schon verärgert die letzte Seite zuschlägt. Verärgert darüber, dass Schluss ist. Vorbei. Obwohl man doch gerade erst Teil einer phantastischen Welt geworden ist.

BioShock schafft, was nur ganz wenige zuvor geschafft haben: Es stellt emotionale Bindungen her. Zwischen der Welt und ihren Bewohnern, dem Spieler und der Welt, den Bewohnern und den Spielern. Eine Dreiecksbeziehung, die BioShock zu einem Traum werden lässt, den man nicht zu Ende träumen möchte. Bei dem man sich zwingt, wieder einzuschlafen.

Beklemmendes Unterwasserutopia mit faszinierender Ausstrahlung: Rapture.

Das Geplänkel im Vorfeld, ob es sich bei BioShock nun um einen Shooter oder um ein Rollenspiel handeln würde – oder um das eine mit Elementen des anderen –, sind im Nachhinein betrachtet furchtbar unsinnig gewesen. Nebensächlichkeiten, mit denen man sich vielleicht aufgehalten hat, weil man die Zusammenhänge gar nicht erkennen konnte. Dass es sich um eine Geschichte handelt. Und dass man Teil dieser Geschichte wird.

Die Welt von Rapture gewinnt vornehmlich durch seine Bewohner an Gesicht. Durch die Widersacher, die einem trotz ihrer Bedrohlichkeit ans Herz wachsen. Nehmen wir die 'Little Sisters'. Wenn sie mit heller Stimme 'Oh, Mister Bubbles' seufzen, dann wirken sie einfach nur süß, geradezu verletzlich. Zusammen mit ihrer Gestik und wie sie durch die Gänge trippeln, reichen diese wenige Worte, um sie zu dem zu machen, was sie eigentlich sind: Unschuldige, kleine Mädchen. Aber wehe, sie drehen sich um. Wehe, man blickt in ihre glühenden und dennoch leeren Augen. 'Little Sisters' können niedlich sein, aber ebenso gefährlich.

In jeder Ecke könnte ein Big Daddy lauern. Auch in den malerischen Teegärten.

BioShock spielt mit Gefühlen: 'Little Sisters' jagen nach Adam, einer Substanz, aus der sich 'Plasmide' gewinnen lassen, die wiederum übermenschliche Fähigkeiten verleihen. Sie saugen es aus den Toten. Ohne ihre Beschützer, die 'Big Daddys', kann man es ihnen auch wieder entziehen.

Allerdings steht man vor einer Entscheidung moralischer Natur: Erledigt man eine 'Little Sister', erhält man ihren gesamten Vorrat an Adam. Befreit man sie und lässt sie gehen, so gibt es nur die Hälfte. Gut oder böse? Völlig unabhängig von negativen wie positiven Konsequenzen, sind es die eigenen Wertvorstellungen, die das Handeln bestimmen.

Selbst die 'Big Daddys' sind nicht per se böse. Sie folgen nur einem Auftrag. Sie müssen die 'Little Sisters' beschützen. Und dennoch: Wenn ihre blechernen Schritte den Boden unheilvoll vibrieren lassen, dann stellen sich die Nackenhaare auf. Das dumpfe Stampfen – unterbrochen von mechanischen Geräuschen – zerreißt die beklemmende Stille, die im fast menschenleeren Rapture vorherrscht. Und das ganz und gar nicht angenehm.