Call of Juarez: The Cartel
How the West was lost
Ich bin nun wirklich nicht der Typ, der gleich auf die Grafik eines Spiels eindrischt. Loben tue ich sie gerne, wenn es verdient ist, aber wenn mal wieder eine Textur klemmt, kann ich das gerne verzeihen. Aber Call of Juarez: The Cartel ist nicht fertig. Wenn ich den Eindruck bekomme, dass ich eine Beta-Version oder eine Presse-Preview spiele, vor mir liegt aber die Verkaufspackung, dann geht das zu weit.
Das größte Kuriosum an diesem Debakel ist das Interface. Es wirkt wie aus einem anderen Spiel. Die Schriftarten, Untertitel-Blöcke, der Zielmarker, alles, was nicht in der 3D-Engine passiert, scheint entweder schnell aufgeklebt worden zu sein, damit es in der Präsentations-Version noch drin ist, oder stammt aus 1988. So oder so gehört es augenscheinlich nicht zu dem, was dahinter als Spiel passiert. Auch nach Stunden hat man sich nicht an diese völlige Inkompatibilität nicht genau identifizierbarer Stile gewöhnt.
Die 3D-Engine dagegen hat ihre ganz eigenen Probleme und das Spiel wird nicht müde, sie gut sichtbar ins Bild zu rücken. Schwache Animationen, lächerliche Charaktermodelle, teilweise extreme Textur-Pop-Ups und andere übliche Kennzeichen von einer entweder schwachen Engine oder der mangelnden Beherrschung dieser finden sich zuhauf. Dazu kommt schiere Lieblosigkeit in Form einiger Texturen, die offenbar für Handy-Bildschirme gerendert wurden. Solche überpräsenten Treppen wie hier an den Kanten habe ich seit dem letzten Escher-Bild nicht mehr zu Gesicht bekommen. Es gibt Momente, in denen das Standbild der Landschaft hübsch wirkt und auch das Farbschema zum Beispiel auf einem sonnengefluteten Highway gut funktioniert. Nicht alles ist hässlich, aber der Gesamteindruck stimmt hinten und vorne nicht.
Und inhaltlich kann man da nahtlos ansetzen. Call of Juarez war einmal eine nette Western-Serie. Nicht so episch und offen wie Red Dead Redemption, ohne die freieren Momente von Gun, sondern eine Art kleines Western-Call-of-Duty vom Aufbau her. Dieses Wild-West-Flair fingen der erste Teil und sein folgendes Prequel Bound in Blood sehr gut ein und es war letztlich der Grund, warum man die beiden spielte. Gute und auch bessere Shooter gab es jede Menge, aber keine mit Western-Ambiente. Alleinstellungsmerkmal gefunden, alles super. Es ist völlig unklar, warum Techland jetzt der Meinung war, diesen stärksten Punkt in den Wind zu schießen und einen Gangkrieg in der vage selben Ecke der Welt anzusiedeln, nur halt 100 Jahre später.
Dieser Twist funktionierte in Young Guns 2 Anfang der 90er, weil es nur als kleiner Rahmen genutzt wurde und die eigentliche Handlung ein Western blieb. Hier ist der einzige Verbindungspunkt, dass eine der drei Figuren ein Nachfahre eines der Helden aus den Vorgängern ist. Und selbst das kommt nicht zum Tragen. An keinem Punkt der schwachen, sich zehn Stunden wie Kaugummi ziehenden Handlung um einen kleinen, extrem langweiligen Gang-Drogenkrieg mit durch die Bank auf allen Seiten abstoßenden Teilnehmern, allen voran das eigene Trio. Die Charaktere sind klischeeüberfrachtete Parodien von Stereotypen weitab jeder Realität aus den 90ern. Auch nur einen der Drei zu mögen, macht das Spiel zu einer fast unlösbaren Aufgabe.
Wir haben zuerst den harten Super-Marshall, vernarbter als Marcus Fenix, turbo-tough, aber mit dem Herz am rechten Fleck. Mehr oder weniger. Dann ist da der Latin-Lover-Smooth-Cop, dreckig hinter den Bestechungsohren, aber jeden Satz mit einem spanischen Ghetto-Slang-Wort unbestimmter Bedeutung abschließend. Abgerundet wird es mit der Ex-Gang-Jetzt-Cop ultra-hart Super-ebenfalls-Latin-Frau, die zornig auf sich und den Rest der Welt ist und alles hasst. Rein sprachlich werden hier Freude belanglos herumgeworfener Schimpfwörter und Kraftausdrücke so viel im endlosen Reservoir von The Cartel schöpfen können, dass sie spätestens nach drei Kapiteln gar nicht mehr hinhören. Es hat nicht mal einen Parodie-Charme, hier bleibt einem nur noch die Fremdscham als letztes Exil.