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Cyberpunk 2077: Das große Interview

CD Projekt über Transhumanismus, Gender-Fluidität und darüber, was hinter den Mauern von Night City liegt

Auf der Gamescom bot sich mir das zweite Mal die Chance, CD Projekts atemberaubend beeindruckende Demo zu Cyberpunk 2077 zu sehen. Selbst im erneuten Durchgang machten die Tiefe, die Details und das Design der Neon-durchfluteten Night City schlichtweg sprachlos.

Allerdings kamen mit der zweiten Sichtung auch ein paar Fragen auf. Eine deutlich unterschiedliche Antwort in einem Dialog am Ende mündete enttäuschender Weise im selben Resultat wie auf der E3-Präsentation. Und allein die Tatsache, dass wir denselben "Vertical Slice" des Spiels noch einmal gezeigt bekamen, warf ebenfalls einige Fragen auf.

Zudem empfinden einige aus dem Kreis der Hardcore-Fans die Vorfreude auf das Spiel seit der E3 als ein wenig gedämpft, weil sie sich fragen, wie akkurat CD Projekt die diversen Klassen und Charakteroptionen des ursprünglichen Cyberpunk 2020 und des Pen-and-Paper-Spiels implementieren wird. Und wie geht das Studio mit Themen wie Transhumanismus um, die das Genre des Cyberpunk allgemein umtreiben? Ein kürzlicher, mittlerweile gelöschter Tweet des Entwicklers, der auf ein transphobisches Meme anspielte, war ebenfalls nicht gerade hilfreich.

Also setzte ich mich mit Philipp Weber zusammen, Senior Quest Designer für Cyberpunk 2077, wenige Minuten nach meinem zweiten Durchgang mit der Demo.


Hat Spaß gemacht, sich das noch mal anzuschauen. Auch wenn ich ein wenig enttäuscht über eine der Entscheidungen am Ende war. Ohne jetzt etwas zu spoilern, ich sage nur, wir hatten die Option, eine gewisse Gang zu bekämpfen und lehnten ab - die E3-Demo ging direkt auf Konfrontationskurs. Aber anstatt diesmal einfach nur abzuhauen, beleidigte dann eben die Gegenseite uns und es kam dennoch zu dem Kampf. Sind das die einzigen Optionen oder ist das nur der Demo geschuldet?

Weber: Die Demo ist eine Mission, die im Spiel vorkommen wird. Aber wir werden vermutlich Anpassungen daran vornehmen und dem Spieler mehr Wahlmöglichkeiten geben. Im fertigen Spiel wird man einfach gehen können. Als Quest Designer jedoch muss ich sagen: Wenn man kämpft, bekommt man einfach mehr Content zu sehen. Man bekommt diesen Bosskampf zum Beispiel. Geht man einfach … was kann ich anstelle dessen bieten, was interessant wäre? Spieler, die kämpfen wollen, bekommen den Endgegner. Ich schätze, aus erzählerischer Sicht … wenn er noch am Leben ist und eine relevante Person, könntest Du später noch mal wiederkommen, während er halt weg wäre, wenn du ihn jetzt erledigst.

Die eine Änderung im Vergleich zur E3 ist, dass man die Demo diesmal auch als männlicher V spielen kann. Ich fand interessant, dass man unabhängig des gewählten Geschlechts am Morgen immer neben einem Mann aufwacht.

Weber: Zumindest in dieser Demo wacht man morgens neben einem Mann auf, damit wir zeigen können, dass unterschiedliche Beziehungen Teil des Spiels sein werden und dass die Spieler wählen können, welche Art von Charakter sie spielen wollen.

Das schließt auch den Charakter-Editor ein, den wir am Anfang der Demo kurz sahen. Wie weit ist der? Ist die Version schon nah an dem, was man im fertigen Spiel sehen wird, oder müssen noch viele Optionen integriert werden?

Weber: Ich glaube, er spiegelt schon ganz gut wieder, was wir damit machen wollen. Aber er ist definitiv noch in der Entwicklung. Ich erwarte weitere Änderungen, einige davon recht interessant. Aber ich würde sagen, er spiegelt allgemein schon wieder, was wir im fertigen Spiel haben wollen.

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Ich frage, denn die Einstellung bezüglich des Geschlechts ist männlich oder weiblich. Wenn jemand einen Charakter erstellen wollte, der Gender Fluid ist, wie würdet ihr das darstellen?

Weber: Nun, im Charakter Editor kann man den gewählten Körper nicht "Mann" oder "Frau" nennen, sondern einfach "Körpertyp" titeln und dann ausgehend von männlicher oder weiblicher Physis wählen, wie man seine Figur zusammenstellt.

Ich habe mir dazu während der Demo keine Notizen gemacht, aber sind diese Auswahltypen nicht derzeit als "männlich" und "weiblich" betitelt?

Weber: Nein, aktuell sagen wir weder das eine noch das andere. Wir zeigen euch lediglich die bestehenden Auswahlmöglichkeiten. Du entscheidest dich für einen Körpertypus als Ausgangsoption und erschaffst auf dessen Grundlage deinen Charakter.

Vom Erscheinungsbild des Geschlechts abgesehen: Ist es möglich, aus verschiedenen Pronomen zu wählen?

Weber: Ehrlich gesagt weiß ich das zum aktuellen Zeitpunkt einfach noch nicht. Ich kann dir lediglich sagen, dass es in Cyberpunk 2020 so gehandhabt wird. Wie wir damit allerdings in Cyberpunk 2077 verfahren, muss sich zeigen. Es ist aber definitiv eines jener Details der Vorlage, derer wir uns gewahr sind.

Mir jedenfalls sind zahlreiche Fans bekannt, die solch eine Option außerordentlich begrüßen würden. Zumal der Name des Hauptcharakters ohnehin auf kein konkretes Geschlecht schließen lässt.

Weber: Ganz genau. Aus diesem Grund haben wir uns auch für den Namen "V" entschieden: Er kann sowohl einen Mann als auch eine Frau bezeichnen. Wir glauben, das ist eine gute Sache.

Auch für Personen, die sich als gender-fluid begreifen?

Weber: Jepp.

In der Pen-and-paper-Vorlage besteht für den Protagonisten zudem stets das Risiko, Cyberpsychose zu entwickeln - etwas, das auch in der Demo angedeutet wurde. Handelt es sich hierbei um eine Spielmechanik in 2077?

Weber: Es wird Teil der Welt und der Geschichte sein. Inwiefern es sich auch auf den Spieler auswirkt, kann ich allerdings noch nicht sagen. In Cyberpunk 2020 sorgt dieses System dafür, dass man als Folge von zu häufigem Cyberwear-Gebrauch [vergleichbar mit Augmentationen in der Deus-Ex-Reihe, Anm. d. Red.] eine Cyberpsychose entwickeln kann, was im Grunde gleichbedeutend mit einem Game over ist. In unserem Spiel wäre eine derart umgesetzte Mechanik aber natürlich viel zu frustrierend. Daher steht noch nicht fest, wie wir mit Cyberpsychose umgehen. Sie wird allerdings definitiv Teil des Spiels sein.

Habt ihr bereits eine Umsetzung vor Augen und wollt bislang nicht darüber sprechen, oder steht schlichtweg noch nicht fest, wie ihr diese Mechanik implementiert?

Weber: Wir haben bereits eine Vorstellung davon, spielen derzeit aber weiterhin mit vielen Ideen, wie wir sie möglichst interessant umsetzen können. Unser Ansatz kann noch einige Haken schlagen und verschiedene Abzweigungen nehmen.

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Da draußen gibt es zahlreiche futuristische Spiele mit dystopischen Zukunftsvisionen und großen Konzernen als Quasi-Bösewicht. Weit weniger beschäftigen sich allerdings mit Transhumanismus. Wo liegt der Fokus von Cyberpunk 2077?

Weber: Unser Spiel räumt beiden Aspekten gleich viel Platz ein. Unsere Cyberpunk-Interpretation beinhaltet Night City in seiner Gesamtheit, jenen Ort also, der auch Schauplatz für alles ist, was sich in Cyberpunk 2020 abspielt. Daher wollen wir natürlich alle Elemente der Vorlage abbilden. Jeder dieser Aspekte ist ein integraler Bestandteil von Cyberpunk, wir können also nicht einfach einen davon ignorieren.

Cyberpunk war schon immer ein politisches Genre, da er sich stets mit dem Ungleichgewicht zwischen einigen wenigen Menschen an der Spitze der Gesellschaft und einer großen, in Armut lebenden Mehrheit beschäftigt. Und du bist Teil dieser unterdrückten Mehrheit. Deshalb ist es von großer Bedeutung für uns, derartige Konzerne im Spiel abzubilden und aufzuzeigen, wie sie die Gesellschaft und die Zukunft gestalten.

Aber die für das Individuum relevanten Aspekte sind für uns natürlich ebenfalls wichtig. Wie menschlich bist du, wenn du deinen Körper durch technische Möglichkeiten erweiterst? Die Gang in unserer Demo veranschaulicht das ganz gut. Ihr einziges Ziel besteht darin, ihre gesamte Menschlichkeit abzustreifen und zu Maschinen zu werden. Wir wollen diese Themen nach Möglichkeit in jeder Quest zur Sprache bringen. Und als Spieler kannst du entscheiden, wie du damit umgehst: Du kannst sie bekämpfen oder dich mit ihrer Sache gemein machen.

Ein weiterer großer Bestandteil der Cyberpunk-Fantasie ist das Netrunning. Wie weit lasst ihr die Spieler damit im Spiel gehen?

Weber: Wir haben ein Klassensystem mit fließenden Übergängen. Du entscheidest, welche Skills du möchtest. Du musst dich zu Beginn nicht für den Netrunner entscheiden und kannst später diese Fähigkeiten aus dem Fähigkeitenbaum auswählen. Wenn du zusätzlich Tech-Skills möchtest, kannst du diese ebenfalls nutzen. Und wenn du dir denkst, 'ich möchte Cyberpunk als Netrunner spielen', und all deine Skillpunkte darin investierst, möchten wir Quests in einer Art und Weise designen, die dir ein Gefühl dafür geben, als Netrunner zu spielen. Es wird nicht einfach so sein, dass du eine Tür hackst, anstatt sie einzutreten. Wir versuchen, es interessant zu gestalten, damit der Netrunner wirklich andere Wege geht.

In der Vorlage setzt diese Klasse das Netz fast so ein wie Magie. Natürlich musst du erst mal Zugriff auf das Netzwerk erlangen, aber sobald du drin bist, hast du die Kontrolle. Befindest du dich in einer Sicherheitsanlage, musst du keine Angst vor Geschützen haben. Richte sie auf die Feinde und lehne dich zurück. Auf diese Art lebst du diese Fantasie aus. Das Wichtige daran ist, dass wir nicht in eine Situation geraten möchten, in der wir sagen, dass der Netrunner der Typ ist, der nicht kämpfen kann. Wir möchten dir als Netrunner interessante Fähigkeiten geben, damit du diese auf interessante Art und Weise in Kämpfen einsetzt.

Wie weit lasst ihr die Leute im Allgemeinen ihre Fähigkeiten entwickeln?

Weber: Im Pen-and-Paper-RPG gab es Leute, die ihr Aussehen so verändern konnten, dass sie wie Drachen aussahen. Für uns wäre das sehr schwierig umzusetzen … aber wir versuchen so weit zu gehen wie möglich. So wie bei der Gang in der Demo. Du siehst Leute, bei denen ganze Gliedmaßen und Körperteile ersetzt wurden, die nicht mehr wirklich wie ein Mensch aussehen.

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Du hast erwähnt, dass Night City komplett im Spiel enthalten ist. Wie wollt ihr in einem einzelnen Stadtgebiet die gleiche Art von Abwechslung bieten wie in der Fantasy-Welt von The Witcher?

Weber: Die Demo zeigt nicht die erste Quest im Spiel, ist aber nah am Start dran. Der gesamte Anfang spielt im gleichen Teil der Stadt: Watson. Wir möchten dich durch die Stadt führen und Watson ist ein multikultureller Distrikt. Die ersten Quests laufen dort ab, bevor wir dich woanders hinführen. Die Stadt ist offen. Du könntest also dort hingehen, wo du möchtest. Allerdings wollen wir dir diesen narrativen Pfad anbieten, dem du folgen kannst. Und wenn du davon abweichst, erfährst du, wofür einige der Namen und Konzepte stehen. Es ist eine Balance. Neue Spieler und Fans von Cyberpunk 2020 sollen gleichermaßen Spaß damit haben.

Es ist eine Cyberpunk-Stadt, daher unterscheiden sich die einzelnen Distrikte sehr voneinander. Es gibt multikulturelle Bezirke, die sich gänzlich vom Firmendistrikt mit seinen grauen, himmelhohen Gebäuden unterscheiden. Oder vom Pacifica-Distrikt, der in Ruinen liegt und von Gangs in den Überbleibseln der Gebäude kontrolliert wird. Die Stadt ist ein realistischer, großer Ort, aber es gibt auch einen Bereich rund um Night City herum. Ich kann nicht im Detail darüber sprechen, was wir dort tun möchten und wie es aussehen könnte. In Cyberpunk existieren aber definitiv Gegenden, in den es keine Gebäude und keine Menschenmengen gibt. Dort können wir vielleicht etwas Anderes zeigen.

Wenn ich also zu den Mauern der Stadt oder zu den Grenzen gelange, kann ich diese überwinden?

Weber: Du kannst dich ein wenig … nun, nicht ein wenig, sondern etwas weiter bewegen. Natürlich gibt es irgendwann natürliche Grenzen, aber es gibt mehr als nur die Stadt.

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