Das große Interview: Sonys Jim Ryan über die PS4, DRM und den Konsolenkrieg der nächsten Generation
Die Spieler stehen an erster Stelle, aber bis Weihnachten ist es noch lange hin.
Nach seiner triumphalen E3-Pressekonferenz befindet Sony sich aktuell auf einem Hoch, doch wenn es nach einigen hochrangigen Funktionären des Konzerns geht, will man sich auf diesen Lorbeeren nicht ausruhen.
Das Internet atmete auf, als Jack Tretton, US-Chef von Sony Computer Entertainment, ankündigte, dass die Spieler ihre Games ohne weiteres tauschen, verkaufen und verleihen könnten - und dass die Konsole selbst überraschende 100 Euro weniger kosten wird als die Xbox One. Aber Weihnachten ist noch in weiter Ferne. In sechs Monaten kann viel passieren.
Sony weiß, dass Microsoft auf diese Niederlage reagieren und seine kontroverse, restriktive Xbox-One-Strategie noch ändern könnte. Der Redmonder Konzern könnte sogar den Preis noch senken, jetzt wo er weiß, womit er es zu tun hat. Und wenn er das tut, könnte das die Next-Gen-Landschaft deutlich verändern. Dieser Konsolenkrieg wird ebenso lang wie turbulent, aber jetzt, kurz nach der Pressekonferenz, ist Kaz Hirai, Andrew House und all den anderen Sony-Anzugträgern, deren Lebensunterhalt von einem erfolgreichen PS4-Launch abhängt, ihr zufriedendes Lächeln durchaus zu gönnen - vielleicht sogar ein Schlückchen Champagner.
Und so treffen wir uns mit Jim Ryan, Chef von Sony Computer Entertainment Europe und Jack Trettons Gegenstück diesseits des Teichs. Er war mal Buchhalter und so könnte man fast meinen, Sonys Entscheidung gegen Online-Pässe für First-Party-Games sowie der Entschluss, den Second-Hand-Markt sich selbst zu überlassen und auf jegliches DRM zu verzichten, müssten ihm doch eigentlich die Tränen in die Augen getrieben haben. Wie wir jedoch feststellen mussten, ist dem ganz und gar nicht so.
Eurogamer: Glückwunsch zum durchaus spektakulären Ende eurer Pressekonferenz. Wie war die Stimmung im Team, als sie vorbei war?
Jim Ryan: Glücklich und positiv. Wir sind immer noch sechs Monate entfernt vom Verkaufsstart eines Produktes, das einen Lebenszyklus von annähernd zehn Jahren haben wird. Wir sind gerade erst vom Basiscamp and den Fuß des Berges gekommen und der Gipfel ist noch in weiter Ferne. Wir hatten gestern eine Mission zu erfüllen und Jack [Tretton] und Andrew [House] haben das vorbildlich gemacht.
Eurogamer: Wie schafft ihr es, das Gerät zu dem Preis zu verkaufen? Macht ihr Verlust?
Jim Ryan: Es widerspricht unseren Richtlinien, Details unserer Gewinn- und Verlustrechnung offenzulegen. Aber glaube mir, wir prüfen unsere finanziellen Entscheidungen sehr genau, besonders, da Sony gerade ausgiebig dokumentierte schwierige Zeiten durchmacht. Dieser Preis ist unter Berücksichtigung unseres Businessplans definiert worden, den wir so angelegt haben, dass wir in der Lage sind, kurzfristige, mittelfristige und hoffentlich auch langfristige Ziele zu erreichen.
Eurogamer: Die PS4 ist bedeutend günstiger als euer Wettbewerber, die Xbox One. Hattest Du erwartet, dass sie so teuer sein würden?
Jim Ryan: Um ehrlich zu sein, wussten wir nicht, was unser Wettbewerber gestern sagen würde. Wir spekulierten natürlich, so wie jeder andere auch. Es lag vermutlich am oberen Ende unseres Spekulationsbereichs, aber - nun, es war definitiv noch in dem Bereich, den wir vermuteten. Wir sind definitiv zufrieden, immerhin starteten wir die letzte Runde mit einem preislichen und zeitlichen Nachteil zum Weihnachtsgeschäft und können in diesem Zyklus mit gleichen Chancen starten, vielleicht sogar mit einem leichten Vorteil.
"Wir treten den Verkaufsstart lieber zu einem Preis von 399 Euro an und bieten die Kamera als zusätzliche Peripherie für diejenigen an, die diese Art von Spielerfahrung wollen."
Eurogamer: Nun, eigentlich sogar deutlich bessere. Aber denkst Du, zu Weihnachten werden die 100 Euro Differenz einen Unterschied machen?
Jim Ryan: Ich bin definitiv der Überzeugung, dass sie ein Faktor sind, aber es ist nur einer. Und natürlich bist du ohne Spiele nur ein Backstein unterm Fernseher. Die Spiele sind also wirklich wichtig, doch auch in dieser Hinsicht sind wir sehr zufrieden, egal, ob wir jetzt über First-Party-Sachen sprechen oder die Unterstützung, die wir durch Drittanbieter erfahren. Das und natürlich unsere Philosophie, die wir gestern ankündigten. Die Reaktionen darauf ermutigen uns doch sehr, was wirklich ziemlich außergewöhnlich war.
Eurogamer: Ich habe so etwas schon lange nicht mehr auf einer E3 erlebt.
Jim Ryan: Ich glaube sogar, das gab's noch nie!
Eurogamer: Wird die Konsole im Vereinigten Königreich auch im Bundle mit dem PlayStation Eye erscheinen?
Jim Ryan: Wird sie nicht.
Eurogamer: Das ist ein weiterer großer Unterschied zwischen euch und eurem Wettbewerber - was war der Gedanke dahinter, sie nicht mit der PS4 zu verkaufen?
Jim Ryan: Sie heißt PlayStation Camera. Im Februar nannten wir sie noch die PlayStation 4 Kamera, was sich mittlerweile geändert hat.
Wir treten den Verkaufsstart lieber zu einem Preis von 399 Euro an und bieten die Kamera als zusätzliche Peripherie für diejenigen an, die diese Art von Spielerfahrung wollen - ob nun auf Systemlevel oder Spiellevel. Die Alternative wäre ein höherer Preis gewesen. Deshalb also unsere Entscheidung.
Eurogamer: Daraus lässt sich folgern, dass Sony den Entwicklern keinerlei Verpflichtungen auferlegt, Funktionen für die Playstation Kamera in ihren Spielen zu integrieren?
Jim Ryan: Nein, überhaupt nicht, nein.
Eurogamer: Wird sie in England noch in diesem Jahr erscheinen?
Jim Ryan: Ja.
"Ich freue mich, offiziell sagen zu können, dass die PS4 in UK noch vor Weihnachten startet."
Eurogamer: Denn in der Vergangenheit war es so, dass …
Jim Ryan: Historisch gesehen wäre eine gewisses Maß an Nervosität durchaus gerechtfertigt, aber nein, wir veröffentlichen das Gerät - ich glaube, die exakte Wortwahl war Feiertage 2013, was …
Eurogamer: … manchmal durchaus ...
Jim Ryan: Ich weiß - es ist eine Phrase, die sich hauptsächlich an das Publikum in diesem Teil der Welt richtet [die USA], aber ich freue mich, offiziell sagen zu können, dass die PS4 im UK noch vor Weihnachten startet.
Eurogamer: Ein kleiner Wermutstropfen war, dass man fortan ein PlayStation-Plus-Abo braucht, um online spielen zu können, was auf der PS3 noch kostenlos war. Kannst du unseren Lesern diese Entscheidung erklären?
Jim Ryan: Beim letzten Mal war Multiplayer-Gaming auf der PS3 noch umsonst. Zu Beginn dieses Zyklus war das Online-Erlebnis auf der PS3 noch recht rudimentär. Es hat sich weiterentwickelt, wurde durch diverse Firmware-Upgrades besser. Aber wir legen definitiv noch einen Gang zu - einige Features wurden auf der PK gezeigt, andere bereits im Februar. Es wird eine ganze Bandbreite an neuen Dingen geben, die die Leute nutzen und genießen können.
Und ja, das ist großartig und wir sind sehr glücklich darüber. Die Kehrseite dessen ist natürlich, dass diese Dinge auch Geld kosten, das wir wieder einspielen müssen. Daher entschieden wir uns, den Online-Multiplayer hinter die PlayStation-Plus-Firewall zu verschieben.
Einer der Punkte, die ich hervorheben möchte: Anders als einige unserer Wettbewerber, bei denen man Geld bezahlt und dafür nur Online-Multiplayer bekommt, bietet PlayStation Plus unserer Meinung nach ein extrem attraktives Paket an Diensten und Inhalten. Unsere Instant Game Collection läuft seit etwas über einem Jahr und sie ist ein fantastisches Angebot. Und das wird sich auf der PS4 fortsetzen.
Also ja, wir nehmen Geld für Online-Multiplayer, aber ich erzähle euren Lesern gerne, dass sie für das Geld, die 5 Euro oder so im Monat, nicht nur die Möglichkeit haben, Online-Multiplayer-Spiele zu spielen, sondern auch Spiele und zusätzliche Dienste zu erhalten. Ich habe überhaupt kein Problem damit, hier zu sitzen und diese Botschaft zu übermitteln.
Eurogamer: Eure Position ist also, dass der Gegenwert diese Maßnahme vollends rechtfertigt?
Jim Ryan: Ja. Und das andere Argument ist eben, dass unsere Hardware nur 399 Euro kostet.
"Jede Design-Entscheidung und auch jede Business-Entscheidung wurde unter Berücksichtigung des Spielers getroffen."
Eurogamer: Ich würde gerne über die Second-Hand und die Always-Online-Authentifizierung der Xbox One sprechen, Dinge, die ihr nicht machen werdet. Was genau motivierte die Entscheidung, so etwas nicht zu tun? Ich hätte erwartet, dass ihr etwas ähnliches macht, denn es macht aus geschäftlicher Sicht Sinn, besonders in einer Zeit, in der die Entwicklungskosten raufgehen und die Teams immer größer werden und so weiter.
Jim Ryan: Dein Standpunkt ist ein vollkommen rational. Wenn du dir einige der Statements anschaust, die Andy [House] gestern auf der Bühne von sich gab, dann haben wir beim Design der Plattform immer an den Gamer gedacht. Jede Design-Entscheidung und auch jede Business-Entscheidung wurde unter Berücksichtigung des Spielers getroffen. Und wir gingen da auch keine Kompromisse ein. Einige Entscheidungen davon waren einem Finanzmenschen wie mir nur schwer schmackhaft zu machen, aber wir haben es nicht gemacht, weil es nicht das war, was die Spieler wollen.
An der Reaktion gestern kann man sehen, dass die Entscheidung mehr als nur gerechtfertig war.
Eurogamer: Wir wissen, dass Sony den Drittherstellern keine Einschränkungen auferlegt. Seit der PS3 hat sich hieran nichts geändert. Ihr verzichtet sogar auf eure Online-Pässe. Aber was passiert, wenn ein großer Publisher sich entscheidet, Second-Hand-Verkäufe seiner PlayStation-4-Spiele zu unterbinden. Könnt ihr nichts dagegen tun, weil sich das nicht mit eurer Philosophie deckt?
Jim Ryan: Unsere Philosophie hat sich nicht geändert, mach dir also keine Sorgen. Wir werden keinerlei Online-Pässe oder dergleichen für unsere eigenen Spiele nutzen, aber wenn ein Drittanbieter serverseitig so etwas mit seinen eigenen Inhalten machen will, können wir nicht viel dagegen tun.
Allerdings wendet sich gerade das Blatt, besonders auf Current-Gen, was das angeht. Viele Rücken vom Online-Pass wieder ab, ich kenne drei oder vier Hersteller, die das Konzept fallengelassen haben.
Eurogamer: Was denkt Sony aktuell, was die Third-Parties machen werden? Denkst du, sie riskieren eine negative Reaktion der Hardcore-Spieler, indem sie die Second-Hand-Verkäufe auf der PS4 einschränken? Oder glaubst du, sie unterlassen das?
Jim Ryan: Ich glaube nicht, dass sie es tun werden, aber das ist nur meine Meinung. Ich kann nicht für die Publisher sprechen. Ich würde das jedenfalls sicher nicht machen. Ich glaube nicht, dass sie es machen werden.
Was wir im Grunde mit der PlayStation 4 anbieten, ist das gleiche Umfeld, das auf der PS3 existierte. Und das Online-Pass-Modell war nicht besonders erfolgreich. Sowohl was die Beziehung der Publisher zum Verbraucher angeht als auch - wie wir hören - in finanzieller Hinsicht.
"Das Videogaming-Ökosystem ist kompliziert und ziemlich zerbrechlich. Second-Hand-Spiele spielen definitiv eine wirklich wichtige Rolle."
Eurogamer: Glaubst du, dass die Publisher begriffen haben, dass es nicht gut fürs Geschäft ist, den Second-Hand-Markt einzuschränken? Glaubst du nicht auch, dass der Kauf von neuen Spielen auf lange Sicht von Gebrauchtspielen profitiert und eine gesunde Industrie fördert?
Jim Ryan: Das Videogaming-Ökosystem ist kompliziert und ziemlich zerbrechlich. Second-Hand-Spiele spielen definitiv eine wirklich wichtige Rolle. Schau dir etwa den britischen Markt an, der unser größter Markt in Europa ist und eine sehr, sehr zerbrechliche Einzelhandels-Umgebung. Diese Läden brauchen [Second-Hand] Games um - sie sind eine wichtige Quelle für Umsatz, Geld und Profit.
Wenn man es mit etwas Abstand betrachtet, liegt der Schlüssel einfach darin, eine möglichst große installierte Nutzerbasis zu bekommen. Und wenn du das schaffst, kann jeder daran verdienen. Ich kann nicht für andere Unternehmen sprechen, aber wenn man anfängt, Beschränkungen aufzuerlegen, die ein kleines Stück vom Kuchen für gewisse Anteilseigner vielleicht größer werden lassen, dann bedeutet das, dass der gesamte Kuchen nur noch halb so groß wie er hätte sein können. Und das wäre doch dumm.
Um noch einmal zurückzugehen: Unsere Philosophie ist es, für den Gamer das Richtige zu tun.
Eurogamer: Der Cloud-Dienst kommt Anfang 2014 auf die PS4 - kannst du sagen, wann unsere britischen Leser erwarten können, ihn in Anspruch zu nehmen?
Jim Ryan: Das kann ich leider nicht. Wir haben es definitiv auf dem Zettel, aber zu diesem Zeitpunkt sind wir nicht in der Position, genaue Stellungnahme zum Cloud-Dienst in Großbritannien zu machen.
In Europa zu leben und zu arbeiten, ist normalerweise eine echte Freude. Die Vielfältigkeit der Kulturen, Sprachen und Orte ist einfach großartig. Aber wenn es darum geht, etwas wie einen Gaikai-artigen Streaming-Dienst zu implementieren, macht es die europäische Landschaft schwierig und kompliziert, weil es von Region zu Region unterschiedliche Regularien gibt. Wir arbeiten also dran - es kommt definitiv. Aber im Moment bin ich nicht in der Position, euch einen Termin zu verraten.
Eurogamer: Du wurdest das hier schon einmal gefragt und wirst es sicher noch häufiger gefragt werden: Was ist mit The Last Guardian los? Jack Tretton sagte, die Entwicklung ruhe. Wurde es eingestellt? Sei bitte ehrlich. Unsere Leser wollen es wissen.
Jim Ryan: Ich glaube nicht, dass es eingestellt wurde. Wäre es eingestellt worden, hätte es irgendeine Ankündigung gegeben. Ich denke, in Bezug hierauf ist das Wort der Stunde wohl 'patience' [zu Deutsch: 'Geduld'].
Eurogamer: Ist PS4 in Bezug hierauf vielleicht auch ein solches Wort?
Jim Ryan: A ha ha ha ha ha!
Eurogamer: Fängt doch auch mit 'P' an!
Jim Ryan: Ha ha!
PR-Person: Tut PS3 auch!
Eurogamer: Ha ha. Na gut.