Die Eurogamer-Textwerkstatt: Anatomie eines Spieletests - Teil 2
Verbeugung und Vorhang: Das Fazit
Wenn sie sonst nichts lesen, in das Fazit gucken sie alle.
Das Fazit ist das Wichtigste in einem Test. Nicht, weil es etwas Neues aussagt - das sollte es sogar niemals tun -, sondern weil es der Absatz ist, den jeder liest. Seien wir realistisch. Als Schreiber ist man stolz auf die gefundene, zweiseitige Argumentation mit cleveren Anspielungen und ausführlichen Beschreibungen, aber am Ende klicken wild aus der Luft gegriffen 80 Prozent der Leser als erstes zum Fazit. Ich weiß das, weil ich es auch mache.
Das Textende als Fazit
Wie also baut man ein Fazit auf, dass die Leser motiviert, der Herkunft dieser abschließenden Worte auf den Grund zu gehen? Ein Weg besteht darin, keins zu schreiben. Das hängt jedoch nicht unbedingt vom eigenen Wunsch ab, sondern von der Publikation, die man für den Text wählte. Es gibt Magazine, die auf ein Fazit, wie man es allgemein kennt und so bezeichnet, bewusst verzichten. 1up.com wäre eines davon, eurogamer.net ein anderes. Hier gibt es nur einen Abschluss, der meist auf einer Formulierung endet, die dem Text eine Gesamtfärbung gibt. Zynisch, lobend, gleichgültig, zum Ausdruck gebracht mit einer cleveren Zeile, aber ohne eine Zusammenfassung der Stärken und Schwächen eines Spiels.
Es ist ein interessanter Weg, den ich persönlich sehr spannend finde, vor allem natürlich aus der Sicht eines Schreibers. Der Leser ist gezwungen, sich mit dem Text auseinanderzusetzen und bekommt nicht einfach die Kurzfassung. Die Schlagzeile ist schön und gut, aber man darf halt nicht vergessen, dass sie nicht der Inhalt ist. Dies ist ein relativ radikaler Ansatz, noch nicht so verbreitet. Wenn man jedoch in der Situation ist, einen solchen Text zu schreiben, dann darf der letzte Satz nicht beliebig sein. Man muss sich Gedanken machen, auf welcher Note man das Ganze ausklingen lässt. Zu dem letzten Satz an späterer Stelle aber noch mehr.
Nur ein Anhängsel? Das Fazit als fließender Übergang
In Deutschland wird einem diese Variante außerhalb privater Blogs kaum unterkommen. Jede Publikation hat ein als solches markiertes Fazit und was man da hineinschreibt, wird das Aushängeschild für diesen Text sein. Seine komplette Breitenwahrnehmung findet in diesen paar Zeilen statt. Man sollte sich wirklich Mühe damit geben.
Grundsätzlich gibt es zwei Arten, wie dieser Teil in ein Review eingebettet wird. Die erste ist die weit verbreitete des losgelösten Fazits. Entweder in einem Textkasten, einem Ausschnitt oder auf einer eigenen Seite findet sich Platz für die finalen Worte. Variante zwei geht direkt vom Text fließend in das Fazit über. Die Frage bei dieser Form ist, ob man es ausnutzen möchte und welchen Unterscheid es machen kann. Die Antwort heißt wie so oft im Leben: Kommt darauf an. Darauf, ob man den Textfluss aufrechterhält, indem man sich zum Beispiel mit einer Frage aus dem regulären Text verabschiedet und die Antwort im ersten Satz des Fazits gibt. Der Erfolg dessen kann sein, dass der Leser erst einmal einen Schritt zurückgehen muss, um zu wissen, wo das jetzt herkam.
Betrachtet man den Text als Gesamtes, ist das auf jeden Fall die gewünschte Variante, da er am Ende als homogene Einheit dasteht. Ein Spiel, ein Text, eine Meinung. Leicht überspitzt formuliert. Wie endet ein solcher Text? Er ist eine sehr lose Zusammenfassung einzelner positiver und negativer Aspekte, die man als Tester hervorheben möchte. Es ist keine pure Auflistung von Features, kein fein gezeichnetes Bild mit Details sondern ein rauer, aber sprachlich subtil ausformulierter Pinselstrich mit Schattierungen. Wer dieses Fazit liest, soll einen klaren Eindruck von der Qualität bekommen und woraus sie im Hauptsächlichen entsteht. Rein stilistisch ist es wohl die beste Variante, weil es den Text als ganzheitlich schließt und nicht davon losgelöst steht.
Das ist aus der Sicht des Schreibers wünschenswert, hat aber auch Nachteile. Es macht Arbeit und nicht jedes Spiel verdient unbedingt diese Aufmerksamkeit. Wie immer sind es die Extreme, die man so bedenken sollte, die Katastrophen und die Götter. Hier gibt es eine große Chance, dass sowieso der Text komplett gelesen wird, sodass diese Zeilen dann die Krone auf der Schöpfung darstellen und diese Krone eben nicht losgelöst irgendwo gefunden wird. Mittelmaß dagegen kann man auch mit einer einfachen Auflistung guter und schlechter Features abfrühstücken. Es erscheinen viele Spiele und auch der Tester-Tag hat nur 24 Stunden.
Das eigenständige Fazit - ein Test im Test
Der zweite Nachteil ist die Gefahr genau die Leser, die auf eine schlichte Kaufempfehlung aus sind, zu verwirren. Sie wollen eben genau diese Auflistung der Features. Alles, was im Text ausführlich geschildert wurde, soll sich nochmal in stark verkürzter Form wiederfinden, um mit diesem Absatz bewaffnet den Spielehandel des Vertrauens besuchen zu können. Ob man das selbst auch so sieht, hängt wieder nicht nur von der eigenen Einstellung, sondern auch von der Ausrichtung der Publikation ab. Manche Redaktionen wollen genau das sehen und dann sollte man es auch liefern. Aus dem Fazit wird so ein eigener kleiner Test und das ist eine sehr gängige Form.
Viele Fazits, besonders von Seiten, die diesen Block auf eigener Seite oder im Kasten abkoppeln, kann man eigenständig nehmen und sie scheinen in sich geschlossen, wenn auch stark verkürzt. Praktisch alle wesentlichen Punkte werden noch einmal angesprochen. Nur halt in einem Satz oder sogar Halbsatz, nachdem sie einen im Text selbst viele Zeilen beschäftigten. Fast jeder Aspekt des Tests wird durchgegangen, möglicherweise sogar in der gleichen Reihenfolge. Die letzten zwei Zeilen sind dann ein abschließendes Urteil, das von der Richtung her auf die Wertung darunter zeigt. Bei dieser Auflistung sollte eine Gewichtung stattfinden. Die für die Gesamtqualität maßgeblichen Seiten sind vorrangig und auf jeden Fall anzusprechen, während zum Beispiel ein belangloser Soundtrack eher als einzelnes Wort in einer Auflistung auftauchen sollte.