Digital Foundry vs. Project Natal
Tiefenanalyse und Hands-On
Eine Sache, die ich gerne hervorheben würde ist, dass Natal nur bis zur Hand zu scannen scheint, die ihrerseits als Ganzes nur einen der 48 verfolgten Punkte darstellt. Ich war neugierig, ob die Technik auch die Hand eines Spielers erfassen könnte, um einzelne Finger zu mappen. Das könnte für Spiele der Marke Guitar Hero nützlich sein. „Meine Finger könnte es ziemlich gut erkennen“, erwidert Tsunoda. „Aber die Finger eines kleinen Kindes… das ist auf maximale Distanz etwas schwerer.“
Activisions und EAs Plastikinstrumenten-Sparten sind bis auf weiteres also noch sicher. Die Technologie-Anzeige ist für sich aber schon sehr aufschlussreich. Angenommen, das was wir auf dem Bildschirm sehen, ist die native Auflösung, dann lässt die Größe der RGB- und IR-Fenster darauf schließen, dass selbt bei einem Erwachsenen Finger-Tracking etwas viel verlangt sein dürfte. Die Auflösung, die die Kamera liefert ist sicherlich nicht HD und das hatte ich auch nicht erwartet, wenn man bedenkt, dass Natal über USB an die 360 angeschlossen ist.
Dadurch entsteht ein Bandbreiten-Flaschenhals, der an seinem theoretischen Maximum 60MB pro Sekunde schmal ist. Ein unkomprimierter 720p-Stream bei 30 Bildern pro Sekunde in 24-bit-RGB übertrifft dieses Datenvolumen problemlos. Während sich Tsunoda zur tatsächlichen Auflösung Natals nicht äußern will, erwähnt er spannender Weise immerhin, dass die Auflösung der normalen Kamera herunter skaliert und dass der IR-Feed herauf skaliert werden kann. Wenn das der Fall ist, schätze ich, dass Entwickler die Bandbreiten entsprechend verteilen können.
Im Laufe der Demo erläutert Tsunoda, wie die Daten für bestimmte Dienste genutzt werden, wie zum Beispiel für den automatischen Sign-In zu Xbox LIVE. Der Natal-Sensor erkennt den Spieler buchstäblich, wenn er sich davor stellt. „Wir nutzen Infrarot, um einen 3D-Scan davon zu bekommen, wer du bist“, sagt er. „Und dann nutzen wir außerdem die Stimme zusammen mit dem Infrarot, um zu bestimmen wer es ist.“ Natals Stimmerkennung klingt ähnlich wie die, die im neuen iPhone 3GS Verwendung findet, theoretisch kann man das Interface also auch mit Sprachkommandos bedienen, wie etwa „Film abspielen“. Diese Technik lässt sich außerdem für eine lange Reihe weiterer, nicht spielbezogener, Anwendungsbereiche nutzen. „Man kann Video-Partychats ohne Headsets abhalten“, so Tsunoda. „Man kann über Live, die Videokamera und das Multi-Array-Mikrofon ein Wohnzimmer voller Leute mit einem anderen Wohnzimmer voller Leute videochatten lassen.“
All die zentrale Bildverarbeitung erledigt Natals eingebautes Silikon, wodurch die Xbox 360 „die Hände frei“ hat, das Spiel selbst laufen zu lassen. Dabei würde man doch denken, dass die Verfolgung von vier Skeletten zugleich sich auf die Leistung auswirken müsste. „Wenn man [jeweils] alle 48 Punkte verfolgt, wird es etwas stärker auf dem Prozessor lasten als bei nur einer Person“, schätzt Tsunoda. „Und man kann bis zu vier [Personen] schaffen, aber es wird so oder so nicht besonders prozessorintensiv sein“. Keine Antwort, die besonders tief blicken ließe und im Rahmen der Demo lässt sich das nicht nachprüfen, weil wir nur sehen, wie zwei Skelette zugleich verarbeitet werden. Aber wenn die Verdopplung der Last Natals Wiederholrate beeinflussen sollte, dann sehen wir jedenfalls auf diesen Technik-Screens nichts, was darauf hinweisen würde. Es sieht absolut solide aus.
Insgesamt kann man leicht sehen, warum Microsoft das alles so aufregend findet. Nintendo nahm den Gamecube, fügte ein neues Interface und einige Technik-Tweaks hinzu und machte aus einem mäßig erfolgreichen Produkt einen Marktführer. Die 360 ist bereits ein kommerzieller Erfolg, hat mit HD einen klaren Vorteil und sein Bewegungserkennungssystem ist ohne Gleichen. In vielerlei Hinsicht ist Natal die Evolution der Wii-Fernbedienung. Einer der ersten Eindrücke, die ich hatte, als ich Natal benutzte, war, dass der menschliche Körper fast alle Funktionen des Nintendo-Controllers übernahm. Man ist die Wiimote - und Natals Potenzial die Tragweite der Xbox 360 zu erweitern, ist erstaunlich.
Die Möglichkeiten dieser Technologie sind immens und werden ihre Schranken nur in der Fantasie der Entwickler finden - und hier müssen sich Microsofts First Parties ranhalten. Wii funktioniert, weil die Hardware einige der begabtesten Entwickler der Welt im Rücken hat, die erfolgreich die Fantasie einer neuen Art von Gamer für sich einnahmen. Im Vergleich und Kontrast dazu steht nun die Firma, die uns leider solche Flops wie Lips und You're In The Movies gebracht hat. Kurz gesagt: Die reine Technik, den Wii Controller in jeglicher Hinsicht komplett und restlos unter den Tisch zu trinken, ist da. Microsofts größte Herausforderung ist nun, seine Qualitäten als Spielemacher der Hardware anzupassen und das Beste zu übertreffen, was Nintendo im Angebot hat.
Was den Core-Gamer anbetrifft, ist noch nichts entschieden. Die Burnout-Paradise-Demo beweist, dass Natal auch mit schnellen Action- und Arkade-Spielen funktioniert. Und ja, es ist sogar spielbar. Das Konzept wird nur in vieler Hinsicht von den Limitationen des menschlichen Körpers zurückgehalten. Den Fuß zurückzuziehen zum Bremsen, dauert bei einem Menschen einfach länger als etwa eine Taste zu drücken oder einen Trigger zu ziehen. Selbst wenn Natal mit einem Nullkommanichts an Latenz daherkäme - was in der Burnout-Demo definitiv nicht der Fall ist - wäre es nicht die optimale Art es zu spielen.
Es ist ähnlich, als vergleiche man bei einem FPS Joypad und Keyboard/Mouse-Kombination: Beide sind spielbar, aber eine ist viel präziser. Ich kann mir auch vorstellen, zusätzliche alternative Kontrollsysteme vorstellen und clevere Tweaks in Sachen Funktionalität. Ergänzungen und Shortcuts, die zu den Kontrollsystemen hinzukommen und Interfaces von Core-Spielen im Zusammenspiel mit Natal-Technologie - aber mit dem Joypad als primärer Eingabemethode. Technisch gesehen hält die Entwickler nichts davon ab, beides zugleich zu nutzen. Der archetypische Xbox-360-Shooter könnte zum Beispiel immer noch auf Joypad-Kommados hören, während Melee-Angriffe deutlich besser funktionieren könnten, wenn man seinen Gegner buchstäblich mithilfe der Bewegungserkennung ins Gesicht schlägt. Gleichermaßen könnte das Werfen einer Granate recht gut zu Natal passen.
Etwas, das ich besonders spannend finde, ist, dass Natal vielleicht in der Lage ist, Kopfbewegungen zu erkennen. Auf diese Weise könnte es das Display des Spielers von einem flachen Bild der Spielwelt in eine Art Fenster in die Spielwelt hinein verwandeln - eine Art Neuentwurf des alten VR-Konzepts. Wie man auf YouTube sehen kann, produziert das Head-Tracking per gehackter Wii-Kontrollen ziemlich beeindruckende Ergebnisse. Der Urheber des Videos, Johnny Lee, ist nun an ein NDA gebunden und arbeitet offensichtlich für… Microsoft. Ähnlich der Art, wie Spielemacher Konsolentechnologie bis an ihre Grenzen und darüber hinaus pushen, könnte dies auch mit Natal passieren und das ist überaus aufregend.
Abschließend lässt sich sagen, dass die Kernprinzipien des Standard-Controllers mittlerweile Dekaden alt sind - und das aus gutem Grund. Natal wird mehr Casual-Spieler für Spiele begeistern, die traditionell eher für Enthusiasten gemacht sind. Aber Microsoft wird es schwer haben, Core-Gamer von dem Gerät zu überzeugen, sobald der Reiz des Neuen verflogen ist. So wie es ist, in der Form in der ich es auf der gamescom gespielt habe, sehe ich nicht, dass Natal den Stil der alten Games und die Art, auf die wir sie spielen, verändern wird. Ähnlich wie das, was Nintendo mit der Wii geschaffen hat, werden wir einfach neue Arten von Software sehen, die besser an die einzigartigen Eigenschaften von Natal angepasst sind. Und während die spielbaren Demos, die ich ausprobieren durfte, durchaus interessant sind, muss sich das wahre Potenzial von Natal erst noch zeigen.