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Divinity 2: Ego Draconis

Der Drache fliegt wieder

Warum können wir Nachrichten über einen Taifun mit 400 Toten, einen Anschlag mit 50 zerstückelten Leichen oder einen Mord eine Stadt weiter hören, ohne allzu sehr betroffen zu sein? Weil wir keine Ahnung haben. Wir kennen diese Personen nicht und je höher die Zahl wird, desto abstrakter ist das alles. Hätten wir einen dieser Menschen getroffen, über einen Kaffee mit ihm zusammengesessen und ihn ein wenig kennengelernt, dann würde die Reaktion ganz anders ausfallen. So aber ist es eine sehr vage und leicht abschüttelbare Betroffenheit.

Genau eben diese bringt man in Divinity 2: Ego Draconis schnell alles und jedem entgegen. Hier könnte die ganze Welt untergehen und man würde höchstens mit der Schulter zucken. Es beginnt schon mit der eigenen Figur. Hier ist er. Drachentöter. Ausgebildet. Bereit. Wo kommt er her? Was zeichnet ihn aus? Was hat er erlebt, bevor er das erste Mal auf den Screen tritt? Es bleibt für immer im Dunkel. Sicher, mit seinen Entscheidungen im Laufe des Spiels, ob er unfreundlich ist, wem er hilft, wen er tötet, damit wird in einem begrenzten Rahmen das leere Gefäß gefüllt, aber trotzdem scheint der Held die gesamte Laufzeit über nicht nur von der Spielwelt losgelöst – was hier Sinn macht –, sondern auch vom Spieler. Und das ist nie gut für eine Geschichte.

Ebenso verhält es sich mit einigen Entscheidungen über sprichwörtlich Leben und Tod, die ihr zu fällen habt oder ein paar Storytwists, in denen ihr plötzlich Empathie für Personen empfinden sollt, die ihr nicht kanntet. Nein, Divinity, fünf hilflose Zeilen Text reichen nicht, um mein hartes Herz zu erwärmen. Da muss einfach ein wenig mehr Geschick beim Aufbau kommen.

Ironischerweise schaffen es einige der echten Randfiguren, in den teilweise wirklich witzigen Nebenquesten mehr Persönlichkeit aufzubauen als die Hauptakteure, und auch die Spielwelt trieft nur so vor Hintergrundmaterial. Bücherweise wird hier geliefert, und auch wenn man das meiste davon schon mal als Fantasyfan hörte, ist es schön zu sehen, dass sich der Entwickler Mühe gab, ein glaubwürdiges Setting zu bieten.

Divinity 2: Ego Draconis - Story Trailer

Der generelle Plot um Drachentöter und den letzten Drachenritter, in dessen Rolle natürlich ihr selbst schlüpft, glänzt dabei sogar an einigen wenigen Punkten. Über den Level der handelsüblichen Fantasy irgendwo zwischen Weiß und Moorcock kommt das nicht hinaus und ein paar Jahre nach „Lied von Eis und Feuer“ und „First Law“ sollte eigentlich klar sein, dass zu einer guten Geschichte auch eine intensive Einbindung der Figuren gehört und nicht nur die Idee eines Plots mit besseren Statisten. Solide, was Divinity 2 hier auffährt, stelleweise sogar unterhaltsam, aber schwerlich mehr.

Und wäre das hier etwas anderes als ein Action-Rolli, dann würden sich diese Defizite auch zu einem ernsten Problem ausweiten. Aber es geht am Ende darum, sich einer Feindeshorde zu nähern und schnell A zum Prügeln, gefolgt von B für Heilung zu drücken. Wenn ihr es einfach halten wollt. Aber Divinity kann viel mehr als das. Euer Held mag zwar wenig Persönlichkeit mitbringen, an den Potenzialen seiner Fertigkeiten mangelt es nicht.

Auf einer großen Tablet mit lauter bunten Kugeln dürft ihr euch sehr frei bedienen und eine wilde Mischung aus kämpferischen Grundfertigkeiten zusammenstellen, in den Möglichkeiten der Waldläufer wildern, magische Talente mit den Formeln der Priester mixen und am Ende mit einer ganz eigenen und einmaligen Charakterklasse dastehen. Einer, die auf euch zu geschneidert sitzt und wie eine zweite Haut der eigenen Spielweise anpasst.

Schnelle Angriffe, Steigerungen der eigenen Grundfertigkeiten, bessere Treffer mit dem Bogen, Feuerball, erhöhter Schaden oder Heilung: vieles, was bei anderen RPGs einfach nicht zusammengehören will, lässt sich hier verbinden. Selten zuvor hatte man so sehr das Gefühl, alle Freiheiten bei Steigerung zu haben. Wem das nicht reicht, der sollte dann mit dem Schmiedesystem glücklich werden, das euch mit dem Zauberschwert der Verstümmelung + 2, Intelligenz + 4 und Hinterhältigem Überfall + 6 ausstattet. Ganz nach Wunsch und entsprechenden Utensilien, der Kunde ist hier Held und König.

Martin Woger Avatar
Martin Woger: Chefredakteur seit 2011, Gamer seit 1984, Mensch seit 1975, mag PC-Engines und alles sonst, was nicht FIFA oder RTS heißt.

Informationen zu unserer Test-Philosophie findest du unter "So testen wir".

In diesem artikel

Divinity 2: Ego Draconis

Xbox 360, PC

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