Dragon Age: Origins
Der Anbruch eines neuen Zeitalters
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Ein Ende ist immer ein Anfang. Das gilt für Dragon Age: Origins auf viele Arten und insoweit ist es nur angemessen, dass das Ende meiner inzwischen einige Wochen alten Vorschau zu diesem Spiel den Anfang des Tests bildet. „Die Chancen stehen sehr gut, dass Dragon Age nicht das Rollenspiel wird, auf das ich seit dem Erscheinen der Xbox 360 wartete oder seit es Bioware gibt. Es könnte das RPG werden, auf das ich warte, seit ich das erste Mal einen Power-Schalter an einem spieletauglichen Gerät betätigte." Diese Wartezeit ist an ihrem Ende angekommen. Dragon Age: Origins IST dieses Rollenspiel. Aber warum?
Lasst mich ein wenig ausholen. Ende der 80er spielten ich und ungefähr eine Million anderer Nerds Pool of Radiance und levelten unsere Charaktere. Und selbst wenn die Geschichte in der AD&D-Welt nicht einmal schlecht war, es entsprach doch ganz klar dem Fokus des Vorbilds. Zahlen waren wichtiger als Figuren, Levels wichtiger als Erzählkunst. Das war in Ordnung zu dieser Zeit, aber dann begann sich das Rollenspiel zu verändern. Die Spielsysteme wurden weniger komplex und die Figur hinter dem Papier, die Geschichten hinter den Regelbüchern, begannen mehr Gewicht zu bekommen. Gespräche unter den Charakteren, ihre eigenen komplexen Hintergrundgeschichten und ihre Interaktion untereinander füllten mehr Abende als sinnlose, endlose Würfelkämpfe und die Fixierung auf den Charakterbogen. Die „Rolle" im Spiel wurde zum Kernelement und ließ Personen entstehen, die glaubwürdiger und viel spannender als jeder Statuswert waren.
Computerspiele konnten da nicht mitziehen. Hier blieb der Fokus klar auf den Tabellen hinter der Grafik, ein Levelaufstieg die Definition des Genres. Nur wenige schafften es, zumindest ein klein wenig da herauszubrechen, zum Beispiel der ewige Klassiker Baldur's Gate 2. Aber selbst diese Meilensteine kratzten eigentlich nur an der Oberfläche, was die Interaktion zwischen Charakteren, Welt und Spieler untereinander angeht. Dragon Age: Origins durchbricht hier eine Mauer. Das ist der Verdienst dieses bislang einmaligen Werkes. Wie es das schafft, lässt sich gleichzeitig leicht und schwer erklären. Kurz gesagt betont es Geschichten. Diese sind sein Herz und seine ganze Essenz.
Und es macht keine Unterschiede zwischen großen und kleinen Geschichten. Im Gegenteil, Dragon Age scheinen die kleinen sogar mitunter wichtiger zu sein. Wer den ebenfalls ewigen Klassiker Herr der Ringe kennt, hat schon eine gute Vorstellung vom großen Bogen, der hier gespannt wird. Als Mitglied einer Gruppe von Aragon-Anbetern, Graue Wächter genannt, ist es eure und die Aufgabe eurer Freunde, einen Ansturm von Dämonen, Ogern und Orks aufzuhalten, der sonst die Welt von Menschen, Elfen und Zwergen in ewige Dunkelheit stoßen würde. Packt noch ein wenig Intrigen und Verrat dazu, dann seid ihr schon fast da. Na und? Was ist bitte so schlimm an einem Klassiker, wenn er denn richtig, mit Liebe zum Detail und ein paar nicht ganz vorhersehbaren Wendungen interpretiert wird? Eben so, wie Dragon Age seinen Hauptplot behandelt.
Viel wichtiger sind jedoch, wie angesprochen, die kleinen Geschichten, die Quests, um ein im Zusammenhang mit dem hier Gebotenen eher schnödes Wort zu gebrauchen. Quest bedeutet in einer Welt von WoW häufig genug, dass man durch einen Dungeon läuft und zum Schluss dem Oberfiesling eins überbratzt. Hier heißt es, dass ihr einen verschlungenen Weg durch Entscheidungen und Konsequenzen finden müsst. In einer Welt, die Gut und Böse nur über den moralischen Kompass des Spielers definiert, gibt es kein Richtig und Falsch, nur das, was ihr von Moment zu Moment entscheidet. Mit dem, was sich daraus ergibt, müsst ihr später klarkommen und es sei versichert: Dragon Age ignoriert nichts von dem, was ihr tut. Jede Handlung euerseits verändert zwar nur selten das große Ganze, also den Verlauf des Krieges zwischen Gut und Böse. Aber mit jeder Geste wandelt sich ein wenig das Verhältnis der Figuren untereinander. Ob sie sich mögen oder nicht, ob aus Freunden Feinde werden. Jetzt sind wir an dem Punkt, den Dragon Age wie kein Spiel vor ihm meistert.
Jeder der zahlreichen Charaktere, die euch begleiten, hat seine eigene Agenda. Ein Ziel, das er vor Augen hat und einen moralischen Kodex, dem er folgt. Ihr trefft diese Recken und meist beginnt es neutral. Man beschnuppert sich, man geht ein Stück des Weges zusammen und schaut, ob die Aktionen, die man selbst während der Reise in seinem Interesse verfolgt, auf Anklang stoßen. Die Reaktionen auf eure Handlungen kommen dabei keineswegs aus dem Nichts.
Hinter jedem Namen steckt eine sehr tiefe, teilweise geradezu verschachtelte Geschichte und viele auf den ersten Blick einfach scheinende Mitstreiter entpuppen sich als durchaus vielschichtig. Etwa der Graue Wächter, der zuvor als Tempelritter genau solche Magier jagte, mit denen er jetzt in die Schlacht zieht. Eine Hexe, deren geheimnisvolle Vergangenheit nur sehr zögerlich offengelegt wird, immer seltsamer zu werden scheint, bis ihr schließlich die ganze Wahrheit kennt. Eine Priesterin mit sehr ungewöhnlichen Fertigkeiten und ein verurteilter Mörder, dessen Geheimnis euch, sobald er sich euch endlich anvertraut, ein wenig erschüttern könnte.