Dragon Age: Origins
Der Anbruch eines neuen Zeitalters
Über weite Teile des Weges reicht es schon aus, sich in die geheimnisvolle Welt der eigenen Figuren hineinzubegeben und die Wunder jenseits des Namens und Charakterbogens kennenzulernen. Ihr werdet schnell feststellen, dass euch diese Fantasiegeschöpfe durch die Feinheiten ihrer Ausarbeitung schneller ans Herz wachsen und mehr bedeuten, als es gesund sein kann. Schließlich sind es nur Bits und Pixel. Aber das lässt euch Dragon Age rasch und auf geradezu unheimliche Art in den zahlreichen Gesprächen oft vergessen.
Wer keine Lust hat zuzuhören, zu lesen und auch nachzudenken, hat hier jedoch nur wenig verloren. Die Stärke der Spielwelt und der Figuren liegt nicht in möglichst vielen Kämpfen, sondern im ausgefeilten Bezugssystem untereinander. Um das Vertrauen eines Mitstreiters zu gewinnen, damit er sich endlich ein wenig öffnet und seine Geschichte preisgibt, reicht es nicht, einfach eine Höhle voller Trolle leerzuräumen. Ihr müsst reden, lernt im Laufe der Strecke ihre Neigungen kennen und könnt auf sie eingehen. Nicht nur die Beziehung zwischen der eigenen Figur, auch die der Begleiter untereinander zeugt von einem solch tief gehenden Geflecht und lässt dabei selbst Mass Effect, KoTOR oder Baldur's Gate 2 hinter sich.
Ihr braucht keine Zahlen, um festzustellen, wer wie zu wem steht. Ihr müsst nur zuhören. Während ihr durch die Gegend lauft, Städte und Dungeons erkundet, halten eure Streiter häufig einen kleinen Schnack, necken sich, machen sich zweideutige Offerten oder erheitern sich mit ihren Abneigungen zueinander. Hättet ihr mal nicht den Templer mit der Hexe zusammen in die Gruppe gepackt... Langeweile und die Gefahr der Wiederholung scheint es nicht zu geben. Jedes Gespräch wird nur einmal geführt oder erst nach so langer Zeit wiederholt, dass es keine Rolle spielt. Erlebt haben Tanja und ich es jedenfalls nicht und jeder Dialog erfrischte das Herz des Wanderers.
Und es verbindet euch weiter mit der Welt und den unmittelbaren Bewohnern, bis ein festes Band entsteht, das auch vor wahrer Liebe zwischen Pixelwesen nicht zurückschreckt. Ich benutzte das Wort „Pixel" bewusst, denn mitunter muss man sich schon wirklich daran erinnern, dass am Ende alle diese Figuren doch nur gescripteten Wegen folgen. Dragon Age verschleiert dies vor euch geschickter als es je ein Spiel zuvor tat.
Damit ihr eine Chance habt, schnell in diese Geflechte von Figuren und Welt, von Entscheidungen und Konsequenzen einzusteigen, gab man sich besondere Mühe mit den Einführungen der Protagonisten. Eure Wahl, ob Mann oder Frau, Mensch, Zwerg oder Elf, einfacher Bürger oder Edelmann, resultiert in einem von sechs grundverschiedenen Einstiegen in das große Abenteuer. Diese zeigen euch die Herkunft, Freunde und offenbaren auch manchmal eine persönliche Nemesis. Ihr baut in diesen zwei bis vier Stunden einen starken Bund zu eurer Figur auf. Und hier, wie auch sonst in jeder Zeile, merkt man deutlich, dass Bioware sich vielleicht nicht unbedingt als Spielehersteller, sondern in erster Linie als Geschichtenerzähler versteht. Und darin scheinen sie besser als alle anderen.
Aber nicht nur die eigenen Figuren, auch die Welt und ihre Bewohner wurden mit Liebe zum Detail ausstaffiert. Und das weit besser in den vier Dimensionen als beispielsweise ein Oblivion es vermochte. Bethesdas Monster war und ist nach wie vor der König der dritten Dimension. Die Welt von Dragon Age kann es nicht mit der reinen Fläche aufnehmen. In der Tiefe seiner Ausgestaltung steht es aber nicht nach, sondern zieht entspannt vorbei. Zahllose hervorragend geschrieben Texte, die deutlich an die besten Fantasy-Pen&Papers erinnern, erzählen von der Vergangenheit des Landes Ferelden und führen euch in die Mythologie und jeden nur erdenkbaren Aspekt der Welt ein.
In den meisten Spielen verkommt diese Schreibarbeit zum Selbstzweck. Spaßig und atmosphäreschaffend, aber spielerisch wenig relevant. Nicht so in Dragon Age. Hinter kleinen Andeutungen über die Thronfolge vergangener Generationen bildet sich plötzlich eine eigene Suche heraus, an deren Ende ein ausgewachsener Drache warten kann. Und das Ganze war dann nicht mal unter den Missionen aufgelistet. Es war einfach nur ein weiteres von unzähligen Details, aufwühlend ausführlich eingebettet und doch so gut versteckt. Man kann daran vorbeilaufen. Wer aber auch auf den Wegesrand achtet, wird in Dragon Age reichlich belohnt werden.
Dabei ist es noch nicht einmal wirklich nötig, die diversen Kodex-Einträge zu studieren, um die Verflechtung der Welt und ihrer Bewohner zu erfahren. An keiner Stelle habt ihr den Eindruck, dass einzelne Quests losgelöst vom Rest am Whiteboard skizziert wurden. Es muss ein gewaltiges Schaubild gewesen sein, das bei Bioware zum Schluss an der Wand hing, auf dem alles und jeder mit verschiedenen Farben verbunden war und so auch umgesetzt wurde. Keine Figur schwebt frei im Erzählraum, keine der wichtigen und mit Abwechslung gesegneten Aufgaben bleibt nach ihrer Beendigung für sich allein stehen und eure Entscheidungen über stellenweise Leben und Tod beeinflussen den Verlauf der Geschichte bis zum Ende hindurch. Eine solche Verknüpfung aller Aspekte bis in die Tiefe der fortlaufenden Handlung hinein gab es bisher noch nicht und es ist umso erstaunlicher, dass Dragon Age diese fantastische Leistung dermaßen perfekt abliefert.