Dragon Age: Origins
Der Anbruch eines neuen Zeitalters
Die Kampffertigkeiten selbst lassen ein ganz klein wenig zu wünschen übrig, denn hier wäre weniger fast mehr gewesen. Es gibt zu jeder der Spezialisierungen auf Beidhändig, Zweihändig, Bogen oder Schild jeweils etwa ein Dutzend Spezialitäten, nur häufig genug könnten sich diese mehr unterscheiden. Bei einigen der Zweihand-Attacken einen echten Unterschied auszumachen, fällt mitunter nicht leicht. Optimal wären also mehr Unterschiede oder gleich weniger halb-identische Optionen gewesen, auf die man die wertvollen Punkte der Steigerungen verteilt. Und damit wisst ihr es auch: In Dragon Age wird ganz normal gelevelt. Sammelt Erfahrungspunkte, steigt auf und steigert eure Werte – Stärke, Ausdauer, Magie, Willenskraft, Geschicklichkeit, nichts, was man nicht kennt – und eure Fertigkeiten. Auf mein zahlenloses Wunschsystem muss ich wohl noch warten, aber vielleicht klappt das auch nicht, wie ich es mir vorstelle, und so ist es wohl besser, dass Dragon Age konservativ bleibt. Tried and true, es funktioniert einfach und das sehr gut.
Bei der Magie wünscht man sich dagegen, dass man schneller steigern könnte, um endlich diese richtig coolen Sprüche zu lernen. Zu Beginn überzeugen bereits der simple Kälteangriff oder der Flammenschlag, die selbst Jungmagier nicht als Loser dastehen lassen und sie von der ersten Minute an zu wertvollen Mitgliedern im Kampf machen. Später sorgen sie für gesalzene Explosionen, frieren Drachen komplett ein oder rufen Sturmwolken herbei, die ganze Gruppen von Gegnern in ein Inferno aus Blitzen schicken. Im Laufe des Spiels trefft ihr dann Spezialisten, die euch besondere Wege der Magie offenbaren und so vermögt ihr mit der Zeit, auf den Pfaden eines Gestaltwandlers zu schlendern oder steigt in die dunklen Untiefen der verbotenen Blutmagie ein. Es ist gut, ein Magier zu sein. Und das sagt euch ein überzeugter Krieger.
Während diese Punkte sowohl auf PC und Konsole ziemlich identisch sind, gibt es bei der Optik durchaus Unterschiede zu vermelden. Die PCs hängen die Konsolen langsam ab und während auf der Xbox 360 – PS3 konnten wir noch nicht begutachten – die Optik der Städte und Landschaften zwar gut aussieht und auch die Figuren mit Details und vor allem ausgezeichneten Mimiken beeindrucken, lässt ein halbwegs moderner PC die Konsole im Regen stehen. Hier sieht alles noch mal ein wenig geschliffener aus, ein wenig runder am Ende. Das macht die 360 nicht zu einem hässlichen Spiel. Eher die PC-Version zu einem sehr schönen. Schämen muss sich aber keine Version.
Wer Sorgen hat, dass die Synchronisation eines solchen Epos vielleicht nicht ganz einfach war, hat wahrscheinlich recht. Trotzdem liefert Dragon Age sehr brauchbare deutsche Stimmen, die durchweg alle angenehm klingen und nie den Verdacht aufkommen lassen, dass der Hausmeister ans Mikro gelassen wurde. Im Englischen klingt für mich persönlich alles noch mal ein wenig besser, was aber auch an meiner Affinität zu der Sprache liegen könnte. Ebenfalls Mühe gab man sich mit dem Soundtrack, der seine Inspirationsquelle nicht verheimlichen kann. Howard Shore legte den Grundstein und Dragon Age tritt überglücklich in diese Fußstapfen. Abgekupfert? Na und. Es nimmt dieser großen Schritte mit Leichtigkeit, reißt mit und geht völlig in der Definition auf, wie Fantasy zu erklingen hat. Vielleicht nicht ganz eigenständig, aber ein Meisterwerk.
Martin Woger (Xbox 360): Meisterwerk. Da wären wir wieder bei dem Wort angekommen, das Dragon Age am besten zusammenfasst. Die Verbindung von Geschichten, Aufgaben, Spielwelt, den eigenen und allen anderen Charakteren wurde zu einer Kunst erhoben und entfaltet vor euren Augen ein eigenes Universum, das in sich bis zum Letzten schlüssig wirkt. Das, plus ein Geflecht aus glaubwürdigen Entscheidungen und Konsequenzen, sorgt dafür, dass jeder Durchlauf zu einem immer neuen, unvergesslichen Erlebnis werden kann. Sicher, das eigentliche Spielsystem dahinter ist weit weniger aufregend, aber manchmal reicht eine Revolution am Tag. Das Gerüst aus Zahlen, Leveln, Skills und Werten trägt das, was Dragon Age wirklich einzigartig macht, ganz entspannt auf seinen grundsoliden Schultern. Beide Teile ergeben so eine geschliffene Einheit.
Aber möglicherweise ist Meisterwerk doch nicht das richtige Wort. Andere Spiele dieses Genres waren auch Meisterwerke. Dragon Age: Origins ist aber nicht das beste Rollenspiel. Diese Aussage würde es nur auf die Spitze des Haufens bisheriger, auf einmal sehr nichtig wirkender Ambitionen setzen. Das hier geht darüber hinaus und lässt erfolgreich alles hinter sich, was es bisher gab. Es ist für das Genre so etwas wie die Mondlandung, es definiert das neu, was möglich sein kann. Es ist das erste und einzige seiner Art. Eine Ausnahme und ein Spiel, über das man in einer Dekade immer noch so reden wird, wie wir es heute über Baldur's Gate 2 tun. Ehrfurchtsvoll, bewundernd und ein wenig wehmütig, weil ein solcher Meilenstein eben nicht jeden Monat und nicht einmal jedes Jahr erscheint. Dragon Age: Origins ist das Außergewöhnliche. Das Besondere. Das, was nur selten passiert. Wir dürfen uns glücklich schätzen, im Zeitalter der Drachen zu leben.
Tanja Menne (PC): Wann weiß man, dass man DAS Spiel vor sich hat? Wenn man nach über 100 Stunden, kurz vor dem Ende, alles noch einmal absucht oder einfach eine neue Runde einläutet, weil man sich stur weigert, den Abspann in Empfang zu nehmen? Wenn einen der Ausgang einer Nebengeschichte dermaßen aufwühlt, dass man nicht anders kann, als dicke Tränen zu vergießen? Man sich dabei erwischt, zu erröten und dann wie ein verliebter Teenager zu strahlen, während man jeder Zeile, jedem verführerisch gesprochenen Wort seiner Romanze lauscht? Oder wenn man plötzlich das Gefühl verspürt, das alle Spiele, die zuvor im PC-Laufwerk, in der Konsole surrten, im Vergleich zu dem, was man hier erlebt, und auch durchlebt, einfach minderwertig anmuten? Ich könnte mit Leichtigkeit mindestens zehn weitere Gründe anführen, die verdeutlichen, wie viel "Magie" in Dragon Age: Origins steckt. Wie sehr es euch dazu animiert, ständig und überall darüber zu philosophieren. Mit welcher Inbrunst es euch verzaubert, euch gefangen nimmt, euch derart den Blick dafür schärft, was wirklich in Spielen zählt.
Eben nicht ein übertriebener Fokus auf eine opulente Grafik oder die Möglichkeit, in einer Kontinent-großen, offenen Welt umherzulaufen. Auch nicht irgendwelche Gegenstände, die zum freudigen Sammeln einladen, Mauern, die man einreißen kann, oder ein Pool aus fünf Dutzend Fertigkeiten, aus dem man sich seinen ganz eigenen Helden strickt. Und schon gar nicht ist es dieser Wettstreit um Modernität oder gar Innovation. Dieser gefühlte Zwang, unbedingt etwas Neues in einem Genre bieten zu müssen. Was zählt, sind Geschichten. Mitreißende, tiefgründige Geschichten, die dafür Sorge tragen, dass man die Welt um sich herum vollkommen vergisst. Eine aufkeimende Dramatik, die Konsequenz einer getroffenen Entscheidung, das glaubhafte, fast schon greifbare Miteinander. Das Gefühl, das alles verwoben ist, ein lebendiges Gefüge bildet, das sich nach und nach offenbart. Gespickt mit Überraschungen, die einen stetig und überall ereilen. Dragon Age: Origins ist all das. Ein packendes, durchdachtes Epos, eine moralische Herausforderung. Und gemessen an der Kluft, die sich zur Konkurrenz aufgetan hat, auch ein Spiel, für das eine 10 noch zu wenig ist.
Zwei Tage noch, bis der Umbruch im Rollenspielgenre auf PC und Xbox 360 beginnt, auf der PS3 folgt die Revolution ein wenig später am 19. November.