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Dragon´s Dogma - Test

Wenn einer eine Reise tut: Capcoms Drachenjagd überzeugt mit ihrem Hang zum Abenteuer.

Ganz so hatte ich mir das nicht vorgestellt. Ich habe vermutlich nicht genug Fantasie dafür. Aber hey, das hier ist das bestmögliche Szenario. Oder die schlimmste denkbare Katastrophe. Was "das hier" ist? Ach, einfach die Gesamtsituation. Ich habe es gerade mit einem Greifenvogel zu tun. Ihr wisst schon: Adlerkopf, vier Beine, Klauen, länger als mein Arm, vom Schnabel bis zur Schwanzspitze groß wie zwei VW-Busse. Gerade zog ich meine glühenden Klingen aus dessen Fittich. Momente zuvor setzte das Biest zum Flug an. Jetzt steht es lichterloh in Flammen. Schreit fürchterlich. Und stürzt trudelnd eine Klippe herunter. Tolles Bild. Dumm nur, dass ich wie ein zerfledderter Fuchsschwanz von dessen Flügelspitze baumele. Dumm. Oder absolut und verdammt noch mal fantastisch.

Ohne wirklich glauben zu können, was hier gerade passiert ist, wird mir nach dem fünf Sekunden langen Fall bewusst, dass ich nun von meinen Jagdgenossen getrennt bin. Meine KI gesteuerten Vasallen - Tank, Heiler und magischer Damage Dealer, hier "Erzmagier" - haben besser aufgepasst als ich. Immerhin hat das Geflügel offensichtlich meinen Aufprall gedämpft. Jetzt muss ich Zeit schinden, bis meine Untergebenen den Abstieg vom Berg geschafft haben und mir wieder zur Seite stehen. Im Geiste lege ich schon Ölpfeile und anschließend explosive Geschosse bereit, um dem einst ach so stolzen Federkleid noch ein paar zusätzliche Brandflecken zu verpassen und dem mörderischen Fabelwesen den Rest zu geben. Einige Momente des Abtastens, da vertagt der Riesengockel das Gefecht unvermittelt auf ein andermal. Moralisch sehe ich mich als Sieger. Auch wenn ich froh bin, dass er Reißaus genommen hat.

Dragon's Dogma ist diese Sorte Spiel unvorhergesehener Katastrophen und Triumphe. Es ist beseelt von einem unbedingten Abenteuerdrang, der auch dadurch nicht an die Leine gelegt wird, dass man viele seiner Rollenspiel-Zitate bereits auswendig kennt. Tatsächlich verändert Capcom an seinem ersten Rollenspiel seit einer halben Ewigkeit einige Sachen gerade genug, bleibt an vielen Stellen vage und verschwurbelt, sodass einem das Spiel mindestens bis zur Mitte der problemlos über 70 Stunden dauernden Queste (bei mir stehen aktuell 82 zu Buche) geheimnisvoll und fremd bleibt. Lange weiß man nicht, wie man den Titel am besten spielen sollte und ebenso lange wirkt das Spiel gefährlich, eure Aufgabe beschwerlich und die Fauna der Welt Gransys fest entschlossen, einen umzubringen.

Dragon's Dogma - Ur-Dragon Trailer

Es ist nicht wie in Dark Souls, wo einem jeder noch so läppische Gegner mit großem Pläsier ein jähes Ende bereitet, sobald man nur im falschen Moment zum Kaltgetränk greift, auch wenn einige der sagenhaften Gransys-Bewohner und -Gebiete neugierige Erstbesucher wie Insekten zertreten. Wer weiß, wo er sein sollte und "darf", dem macht stattdessen gerade im ersten Drittel eine Kombination aus langen Wegen und Heilmittelknappheit zu schaffen. Bis ihr bessere Zutaten für die Herstellung wirksamerer Heilmittelchen findet, die eure Gesundheitskapazität hochhalten, vergeht eine Weile und die Feinde, die sich euch auf eurem Weg von der Hub-Stadt Gran Soren in euer Zielgebiet in den Weg stellen, sind allgegenwärtig und greifen meist im Rudel an.

Hartnäckig muss man schon sein, denn eine Schnellreisefunktion ist nur im eingeschränkten Maße vorhanden. Anfangs sehr teure Reisekristalle bringen euch nach einer Quest zur Hauptstadt zurück und etwas später dürft ihr selbst noch einen weiteren Zielort definieren (ihn jedoch falls nötig erneut woanders platzieren), um die Wege etwas abzukürzen. Man muss schon ein Faible dafür haben, derartige Unternehmungen auf sich zu nehmen, weil es mit all den Kämpfen, die euch unterwegs bevorstehen, schon mal gut und gerne zwanzig Minuten dauern kann, bis man von Gran Soren etwa zum Turm des blauen Mondes im Nordosten gelangt. Die identischen Gegnerspawns machen die Sache nicht einfacher, auch wenn Tag- und Nachtwechsel und breite Wege bedeuten, dass man ihrer nicht so schnell überdrüssig ist.

Dafür sorgt auch, dass das actionreiche Kampfsystem vor Dynamik sprüht und mit jeder der neun Klassen in unterschiedliches Spielgefühl mit sich bringt, oder zumindest die drei übergeordneten Kategorien. Alles, was mit Hieb- und Stichwaffen zu tun hat, fühlt sich wuchtig und vehement an und die frei auf die Aktionstasten verteilbaren Skills ermutigen zu Experimenten. Sei es nun mit schnellen Doppeldolchen und Bogen (Streicher, Waldläufer, Assassine), mannshohen Mordinstrumente (Krieger) oder mit Schwert und Schild (Soldat, Mystischer Ritter). Aufschalten einzelner Gegner ist zwar nicht möglich, das bereitet einem aber selten wirklich Probleme. Lediglich bei den Magiern hätte ich freies Zielen dem zuverlässigen, aber etwas unübersichtlichen automatischen Anvisieren des magischen Standard-Projektils vorgezogen.

Abseits dieser Attacke müssen viele der Zauber, offensiv wie defensiv, manuell in der Landschaft platziert werden und wirken dann auch nur dort. Eine nette Eigenart, die unterstreicht, dass Capcom ein eigenes Verständnis dafür mitbringt, wie ihre persönliche Version mitteleuropäisch angehauchter High-Fantasy funktionieren soll. Wechselwirkungen wie etwa die von Wasser (das man in Flaschen auf seine Gegner werfen darf) und Eis oder Öl und Feuer und die Möglichkeit, kleinere Gegner, Pulverfässer und andere Dinge aufzuheben und zu werfen, vermitteln ein Bild von einem doch sehr anfassbaren Rollenspiel-Regelwerk. Ebenso die Tatsache, dass zu große Mengen an Beute in eurem Inventar Tempo, Flinkheit und Ausdauer beeinträchtigen.

Was viele andere Titel, Rollenspiele besonders, seit einer Weile aber im weiteren Verlauf ihrer Kampagne versäumen, ist, dem Spieler ein echtes Gefühl von Progression zu vermitteln. Die Mittel der Gegner wachsen parallel zu den eigenen. Wo diese Spiele immer gleich schwer oder einfach bleiben, ist Dragon's Dogma zwar immer ein bisschen unbequem, ab der Hälfte des Spiels hat man aber ein außerordentliches Gefühl für Macht und man kommt sich toll vor dabei. Wenn man sich nach zwei Klassenwechseln das dritte Mal dem Laufbahn-Cap nähert und langsam aber sicher die perfekte Zusammenstellung seiner Party einkreist, greifen die Mechanismen des Spiels auf einmal satt klickend ineinander.

Es ist ein glorreiches Inferno, das man dann als Herr aller Lagen entfesselt, während man mit einem knappen Dutzend gleichzeitig verschossener Feuer-Pfeile ganze Diebesbanden ins frühe Grab bringt oder als Erzmagier einen jaulenden Tornado beschwört, der im fünften Stock wohl noch durchs Fenster reinschielen könnte. Gerade Magie-Effekte sind mit steigender Erfahrung angemessen spektakulär und entschädigen reichhaltig für den Mangel an Vollkontakt-Befriedigung. Hier wird definitiv nicht nur mit Blitzen aus den Fingerkuppen geschossen. Die meisten Zauber sind mindestens so brutal und unerbittlich wie die spektakulärsten Morgenstern-Kombos.

Dragon's Dogma - Gameplay-Video

Dass mit den Erfindern von Devil May Cry Action-Experten für das Design verantwortlich waren, dessen ist man sich jederzeit bewusst. Zwar haben es erstaunlicherweise einige Komfortfunktionen in das Spiel geschafft, die ich dort nie vermutet hätte. In den Läden der Stadt darf man Dinge zum Beispiel auch direkt aus der Lagerkiste verkaufen, ganze Kategorien an Items mit einem einzigen Tastendruck transferieren und beim Crafting stecken euch eure Partymitglieder automatisch benötigte Zutaten aus ihrem Inventar zu. Aber andere Dinge, wie etwa das Vergleichen von Ausrüstung, die man nur neben aktuell getragenes Equipment halten darf oder der mehrere Klicks benötigende Wechsel zu einem anderen Schwert sind unnötiger Ballast für den Spielfluss.

Schön ist hingegen, wie sehr sich Capcom trotzdem Gedanken zum Thema Loot gemacht hat. Dragon's Dogma unterscheidet zum Beispiel Kleidung und Rüstung, die jeweils übereinander getragen werden und in ihren breit gefächerten Kombinationen für sehr unterschiedliche und funktional wirkende Outfits sorgen. Anstatt aber wie in einem Hack und Slay alle fünf Minuten einen neuen "besten Brustpanzer" zu finden, behält man den Fummel seiner Wahl eine ganze Weile, weil er sich beim Schmied in drei Stufen aufwerten lässt - sofern ihr die richtigen und teilweise seltenen Ingredienzen mitbringt. Dass die wiederum zum Großteil von den stinkenden Gerippen erlegter Feinde zurückgelassen werden, versteht sich von selbst. Und so nimmt man ab und an gerne Umwege durch eigentlich unbeteiligte Gegnermobs in Kauf, nur um vielleicht noch eine bestimmte Sorte Knochen für den Satz schmucker Beinschienen zu finden.