Dragon's Dogma - Vorschau
Ein Held ohne Herz kommandiert Vasallen ohne Willen - und mittendrin entdeckt Capcom das Party-basierte Rollenspiel für sich neu.
Weit über 20 Stunden hab ich nun in der laut DVD-Aufdruck zwei Monate alten Frühfassung von Dragon's Dogma auf dem Buckel - und wenn ich ehrlich bin, habe ich das Spiel trotzdem immer noch nicht so wirklich durchschaut. Auch jetzt noch, zu einem Zeitpunkt, an dem andere Titel actionrollenspieliger Couleur bereits im New Game+ der Zielgeraden entgegensehen, ist es vielleicht nicht mehr ganz ein Buch mit sieben Siegeln. Aber es ist sicherlich eines, bei dem ich mir nicht so sicher bin, ob ich nicht versehentlich hier und da die eine oder andere Seite übersprungen habe.
Gut möglich, dass dieses Vage-bleiben noch dem frühen Stadium des Titels geschuldet ist. Die vorliegende Xbox-Version von Anfang Februar hat immerhin noch über ein Vierteljahr bis zur Veröffentlichung im Mai vor sich. Aber ich habe so ein Gefühl, dass Dragon's Dogma auch am Ende noch an eine Zeit erinnern wird, in der Spiele es sich erlauben konnten, das Entschlüsseln ihrer Mechanismen dem Spieler zu überlassen. Passend dazu kommen einem dazu natürlich auch gleich Vergleiche mit Atlus' Härtner vom Dienst, namentlich Dark Souls, in den Sinn, auch, wenn der Capcom-Titel deutlich temporeicher ist und der Mensch am Controller weit mehr Gewalt über die Gangart dieses offenen Abenteuers besitzt.
Optisch gemahnt das Spiel dabei zudem eher an eine japanische Version von The Elder Scrolls 4: Oblivion, auch wenn ihr hier weder Orks noch Zwergen oder Elfen über den Weg laufen werdet. Und selbst der Rest der noch verbleibenden ur-europäischen Rollenspiel-Klischees wirkt gleich wieder etwas frischer, wenn er durch die fernöstliche Linse betrachtet wird. Kulturell einfach eine Idee verzerrt, wird hier eine visuelle Identität geschaffen, ohne dass die Art-Design-Abteilung diesen einen, markanten Dreh draufhätte, den man fingerzeigend dafür verantwortlich machen könnte. Grüne Wiesen, hagere Baumlichtungen und verwinkelte Felsformationen wechseln sich fließend ab. Die oft üppig belaubte Vegetation bestimmt das Bild dieses gigantischen Spieleglobus, dem Serpentinen, Wiesen, Wälder und Wege seine Struktur verleihen. Alles - und damit meine ich nur die etwa 25 bis 30 Prozent der Welt, in die ich bisher meine Nase stecken durfte - schon mal gesehen. Und dann wiederum: Irgendwie auch nicht.
Auch in einem anderen Punkt muss man den anfänglichen Vergleich mit dem definitiven Springinsfeld aller über die Jahre eingeschliffener Mainstream-Spielgewohnheiten - eben erwähntes Dark Souls - noch relativieren. Dragon's Dogma ist nicht ganz so erbarmungslos böse wie die Atlus-Konkurrenz. Es gibt sie schon, die schnellen Tode, etwa wenn man der Chimäre den Pelz von vorne nach hinten abzuziehen gedachte, wenn man doch eigentlich zuerst den Schlangenschwanz, dann den Ziegenkopf auf deren Schultern und erst dann das Löwenhaupt angehen sollte. Und auch einige NPCs machten mit mir in meiner Testphase noch sehr kurzen und unerwarteten Prozess. Alles in allem jedoch hat man die meisten Kämpfe gegen weniger mächtiges Feindvolk schon im Griff. Wenn man denn begriffen hat, wie man Dragon's Dogma eigentlich spielt.
Die Härte von Dragon's Dogma kommt eher über die langen Wege ins Spiel. Eine Schnellreise-Funktion gibt es bisher nicht, wohl aber ein (aktuell scheinbar noch recht seltenes) Item, das einen haargenau einmal in die Hauptstadt zurückteleportiert. Den Hinweg lief ich bislang aber immer. Und je länger die Wege werden, desto ärger natürlich die Ressourcen-Not. Das liegt vor allem daran, dass Feinde durch schwere Treffer nicht nur eure aktuelle Gesundheit reduzieren, sondern auch die Kapazität, auf die sich eure Lebensenergie wieder aufladen kann. Selbst der graueste und langbärtigste unter den Heilzauberern bringt einen dezimierten Gesundheitsbalken nicht wieder über die ausgewiesene Kapazität. Die steigert ihr wiederum nur durch Verbrauchsgegenstände - selbstgebraute Tränke, Nahrungsmittel - oder eine Rast in einem der seltenen Lager. Und wenn ihr den Bereich der Karte, in den ihr euch just aufzumachen gedenkt, das erste Mal betretet: "Viel Spaß beim Suchen!"
Ein weiterer Faktor, der lange Reisen … sagen wir mal 'verkompliziert', ist der wundervoll umgesetzte Tageszeitenwechsel. Die sehr natürliche Beleuchtung des Spiels bedeutet für euch tatsächlich totale Dunkelheit, sobald die Nacht einmal gefallen ist. Ganz im Gegensatz zu anderen Spielen, bei denen sich einfach ein blau-schwarzer Filter über die Szenerie legt, heißt es hier schleunigst: Laterne raus und hoffentlich habt ihr noch Öl dabei. Unter den gespenstisch verhuschten Schatten eurer eigenen Viererparty erhalten Auen und Schluchten von Gransys nicht nur ein vollkommen neues Gesicht, sondern auch einen anderen Charakter. Der große Stein, dessen seichte Umrisse ihr in 50 Metern Entfernung bestenfalls erahnt hattet, vielleicht nicht einmal das, stellt sich schon mal als tonnenschweres Monster mit viel zu leichtem Schlaf und entsprechend übler Laune heraus. Diese Sorte ungewollter Hinterhalt gipfelte in einigen der härtesten Konfrontationen meiner Anspielzeit. Bei Nacht werden die Feinde aggressiver und stärker - und einige sind sogar nur dann auf Streife. Die Dunkelheit wird damit zum ganz eigenen Feind, um den man herumplant und zusieht, vor Aufziehen der Sterne wenn schon nicht wieder in der Stadt, dann zumindest in einem Dungeon zu sein.
"Unter den gespenstisch verhuschten Schatten eurer eigenen Viererparty erhalten Auen und Schluchten von Gransys nicht nur ein vollkommen neues Gesicht, sondern auch einen anderen Charakter. "
Und auch andere erstaunlich praxisorientierte Aspekte berücksichtigt das Spiel. Wer ins Wasser fällt, erhält den Malus "Durchtränkt", der nicht nur eure Bewegung einschränkt, sondern auch eure Laterne löscht. Auch solltet ihr besser nicht unendlich viele Items mitnehmen, um euch für all die Gefahren zu wappnen. Zum einen liegt in dieser Welt auch so noch genügend klauenswerter Ballast herum, und zum anderen machen euch zusätzliche Lasten in unterschiedlichen Abstufungen buchstäblich das Leben schwer. Die Reisegeschwindigkeit wird zu einem nervtötend langsamen Joggen, sobald die Inventar-Übersicht mit dem Prädikat "Sehr schwer" erdrückende Bilanz zieht; ein flinker Waldläufer mit Doppelklingen verliert schnell jeglichen Biss. Natürlich kann man die Plackerei recht komfortabel und demokratisch im Menü unter den Partymitgliedern aufteilen, aber dennoch ist sie eine stete Überlegung bei euren Abenteuern. Je länger also der Weg und je ungewisser das Ziel, desto unbequemer und beschwerlicher auch die Reise, womit Dragon's Dogma wirklich zünftiges Expeditionsfeeling bietet.
Eine jederzeit einsetzbare Speicherfunktion nimmt etwaigen Toden (von denen euch eure KI-Mitstreiter nicht wiederbeleben, ganz im Gegensatz zu eurem vorherrschenden Modus Operandi, die Kollegen möglichst am Leben zu halten) zwar etwas Schrecken. Aber da ihr nur einen Spielstand anlegt, bleibt auch hier eine Rest-Unsicherheit, ob ein Überschreiben eures Saves an diesem Ort wirklich eine gute Idee ist. Ihr seht schon, bis in dieser Welt diese Sicherheit einsetzt, wie sie in schnelleren und auch mainstreamigeren Titeln schon nach einer halben Stunde das Erlebnis dominiert, hat man Dutzende Stunden auf dem Konto. Vielleicht kommt sie auch nie. Gut möglich. Irgendwie fühlt sich dieses Abenteuer deshalb einfach kerniger an als die meisten anderen.