Fallout: New Vegas
Das Wertungsdilemma
Habt ihr zwischendurch genug vom klassischen Quest-Geschäft, habt ihr die Gelegenheit, euch in Fallout: New Vegas die Zeit mit ein paar Mini-Spielen vertreiben. Wie es sich für Casinos gehört, könnt ihr euch an Einarmigen Banditen versuchen, euch am Roulette ausleben oder eine Runde Black Jack spielen. Mit etwas Glück und kluger Planung dürfte es nicht schwer sein, sich so das eigene Taschengeld aufzubessern. Alternativ spielt ihr mit einigen Fremden eine Partie Caravan. Ein Spiel, das sich Obisdian extra für Fallout: New Vegas ausgedacht hat. Die dazu passenden Karten nehmt ihr getöteten Räubern oder Leichen ab. Lang nicht so gut wie Triple Triad aus Final Fantasy VIII, aber für zwischendurch ganz nett.
Inhaltlich ist Fallout: New Vegas also, auch ohne die IV im Namen, ein Schritt nach vorne. Doch dieser langen Liste an Verbesserungen und dem gewaltigen Umfang stehen viele Leichen gegenüber, die im Keller des Programmcodes langsam verrotten. So ist die Laufgeschwindigkeit immer noch erbärmlich und es gibt praktisch keine Möglichkeit, sie weiter zu beschleunigen. Manchmal macht der mühsame Weg von einem Punkt zum nächsten Sinn, um die Atmosphäre einzusaugen und vielleicht einen versteckten Ort zu entdecken.
Doch wenn man 20 Minuten durch die Pampa watschelt, dabei auf nicht einen Gegner trifft oder wenigstens eine nette Höhle, ist das für mich verschwendete Zeit. An der Kartografiefunktion innerhalb von Gebäuden hat sich wenig verändert. Es ist immer noch nahezu unmöglich festzustellen, auf welcher Ebene sich der Zielpunkt befindet. Und auch bei der Gesprächsinszenierung hat Fallout: New Vegas nichts dazugelernt. Es ist eben keine echte Fortsetzung, sondern eher ein stark aufgemotztes Add-On.
Abschließend noch ein paar Worte zu den unterschiedlichen Plattformen: Der größte Unterschied zwischen PC und Konsole sind klar die Auflösung, ein paar Zusatzeffekte und das Anti-Aliasing. Das Spiel wirkt dadurch deutlich sauberer auf dem PC. Im Gegenzug ist die Performance äußerst suboptimal und die Installation bereitet bei manchen Spielern Schwierigkeiten. Kleine Ruckler und die niedrige Framerate muss man mit Eingriffen in die Config-Datei reduzieren. Probleme mit NVIDIA-Karten verschärfen die Situation noch. Einige Texturen wurden aber nicht richtig skaliert und wirken dadurch extrem unscharf. Speziell die Pflanzenwelt ist, wie am Anfang erwähnt, unter aller Kanone.
Auch einige Gesprächspartner benötigen dringend eine Gesichts-OP, die wahrscheinlich wieder von der Community kommt. Kleiner Tipp an Obsidian: Einfach ein paar Artists von Rockstar abwerben. Die Jungs haben es einfach drauf. Und wenn ihr schon dabei seid, beim nächsten Titel die Euphoria-Engine installieren. Sich auf der Stelle drehende Charaktere und skatende Hunde sind nicht nur unfreiwillig komisch, sondern nagen auch an der Atmosphäre. Das geht eindeutig besser. Oder noch besser: Werft die Gamebryo-Engine gleich ganz aus dem Fenster.
Der Patch, der vorgestern veröffentlicht wurde, ändert nichts an den vielen kleinen Bugs, Abstürzen und Performance-Problemen. Laut Bethesdas Blog kümmert sich das Update vor allem um Quest- und Scripting-Probleme. Auf Deutsch: Ihr solltet damit mehr Missionen zu Ende bringen können. Der bei mir aufgetretene Quest-Bug, der einen Lösungsweg zunichte machte, wurde leider nicht entfernt. Trotzdem kommt der Update-Zug scheinbar langsam ins Rollen. Nach dem PC-Patch soll eine ähnlicher Flicken für Xbox 360 und PS3 erscheinen.
Meine Güte, wie soll man so eine skurrile Mischung aus genialem Inhalt und teils katastrophaler Technik bewerten? Noch dazu, wenn Obsidian den Einstieg versemmelt und einige nervige Elemente aus Fallout 3 unverändert drin lässt. Ja, bei einem Rollenspiel stehen natürlich das Gameplay und die Quests im Vordergrund. Und die sind auf gewohnt sehr hohem Niveau und werden Fans der Materie begeistern. Unterm Strich ist Fallout: New Vegas mit all seinen Freiheiten inhaltlich vielleicht sogar ein kleines Stück besser als sein direkter Vorgänger. Trotzdem nagen die vielen kleinen Probleme an der sonst so dichten Atmosphäre. Wenn man erst einmal bis zum Hals in spannenden Missionen steckt, fällt es zwar leicht, über die Mängel hinwegzusehen, doch die miesen Animationen, steckengebliebenen Charaktere und noch immer vorhandenen Story-Bugs schmälern doch immer wieder den Spielspaß. Unnötig, wenn man bedenkt, dass Obsidian auf eine bestehende Engine samt erstklassigem Editor zurückgreifen konnte.
Muss man sich das Spiel also als Fallout-Fan kaufen? Auf jeden Fall. Wer sich durch das ebenfalls nicht fehlerfreie Fallout 3 gekämpft hat, wird von den erstklassigen Aufgaben und dem weiter verbesserten Spielsystem begeistert sein. Eure Einflussmöglichkeiten auf die Welt, die taktischen Kämpfe, witzigen Charaktere und wirklich hervorragenden Story-Elemente werden euch Wochen, wenn nicht gar Monate beschäftigen. Obsidian ist es nach dem schwachen Einstieg gelungen, mich mit aller Gewalt in ihr Spiel hineinzuziehen und erst nach 30 spannenden Stunden wieder in die Realität zu entlassen. Und dabei habe ich höchstens ein Drittel der Spielwelt erkundet. Unsere Wertung ist deshalb ein Kompromiss. Durch die gewaltigen Abzüge in der B-Note kann ich dem Spiel, trotz der genannten Qualitäten und ohne die Fanboy-Brille, am Ende schweren Herzens „nur" eine 8 geben. Schade, mit etwas mehr Polishing und weiteren Verbesserungen, wäre deutlich mehr drin gewesen.
Fallout: New Vegas erscheint am heutigen Freitag für Xbox 360, PC und PS3.