Fight Night Champion
Ohne Konkurrenz. Buchstäblich.
Das ist eigentlich ziemlich realistisch – genau wie die Tatsache, dass nach einer langen geblockten Schlagserie automatisch irgendwann die Arme schwer werden und der Abwehrpanzer versagt. Mir ist vollkommen klar, warum EA sich für diese Variante entschieden hat. Die Matches verlaufen unvorhersehbarer (etwas, an das es dem letzten Spiel ein wenig mangelte) und einen derben Wirkungstreffer bringt so auch der jeweils aktuell unterlegene Kontrahent immer mal durch. Die Frage, die sich jeder stellen muss, ist nur, ob es durch den Zugewinn an Realismus tatsächlich auch mehr Spaß macht.
Ich bin mir nicht sicher – dafür bin ich zu oft auch in klar dominierten Kämpfen noch zu Boden gegangen, obwohl ich meine Deckung eigentlich intakt wähnte. Da aber wieder einmal die lobenswerten Gameplay-Slider mit von der Partie sind, ist es durchaus denkbar, dass sich mit etwas Feintuning an der Schlagstärke, Ausdauer und dem Schaden der Boxer durchaus auch noch etwas am Kampfablauf machen lässt. Fakt ist, dass die Fausttänze knapper umkämpft bleiben und zumindest das ist in diesem Sport eine gute Sache - ungeachtet persönlicher Präferenzen.
Die erhöhte Lucky-Punch-Frequenz ist ein Faktor, der für ähnlich zwiespältige Reaktionen sorgen wird: Natürlich gelingt so ein Glückstreffer in der Realität auch mal und oft genug drückt einen die überraschende Wucht einer solchen Faustkollision richtiggehend in den Sessel. Hin und wieder sind sie mir dann aber doch ein bisschen zu "lucky". Auch bei den regulären schweren Schlägen und Knockdowns verwundert die sonst so treffsichere Kollisionsabfrage erstmals seit langer Zeit wieder. Selbst in den einmal mehr exzellenten Zeitlupen ist gelegentlich nicht richtig nachvollziehbar, was einen da jetzt gerade aus den Socken gehauen hat.
Schläge, die eindeutig stark gebremst durch die Deckung glitschen, knipsen einem schon mal die letzten Lichter aus und auch Haken, die nur hinterm Kopf entlangrutschen, haben bei mir schon Kämpfe beendet. Die Engine baut zwar wirklich nicht häufig Mist, dennoch ist es etwas, das ich erwähnenswert finde. Hier sollte sich EA für die nächste Version überlegen, wie man dem Spieler ein besseres Feedback darüber geben kann, warum der eine Treffer nun einen Niederschlag zur Folge hatte und ein nahezu identischer kurz zuvor nicht.
Einige Dinge hat man übrigens mehr oder weniger unverändert aus dem grandiosen letzten Teil übernommen: Den tollen, aber leider zu wiederholungsanfälligen Kommentar von Joe Tessitore und Teddy Atlas kennt man etwa zum großen Teil schon. Und vom erstmals mit im Ring stehenden Referee hätte ich mir ebenfalls mehr Initivative gewünscht als in FNR 4. Erneut wird hier nur in den seltensten Fällen ein Kampf abgebrochen, auch wenn er in ein Gemetzel ausartet. Immerhin beendet er schon mal nach einem besonders schweren Knockdown das Geschehen.
Optisch hat EA Canada es tatsächlich geschafft, den Vorgänger noch einmal zu toppen. Die Haut der Boxer sieht nun noch realistischer und weniger nach Gummipuppe aus. Die neuen Gesichtsdeformationen und Verletzungseffekte sind beinahe unheimlich, während die Wellen, die nach einem Treffer auch durch Unterleib und andere fleischigere Bereiche schwappen, den Figuren noch zusätzlich eine wahnsinnige Plastizität schenken. FNC ist in bester Serientradition eines der technisch beeindruckendsten Spiele dieser Generation. Schade, dass die Auswirkungen von Cuts und Schwellungen noch immer nicht zu 100 Prozent nachvollziehbar sind und – wie gesagt – der Ringrichter nur zu gerne zusieht, wie sich die beiden Kampfhähne gegenseitig die Augäpfel zum Hinterkopf wieder herausprügeln. Je nach persönlicher Neigung verbuchen das einige aber bestimmt als Pluspunkt.
Für große Freude sorgte bei mir die Neuigkeit, dass Mehrspieler-Fans nun online ihr eigenes Gym eröffnen können und mit Boxern anderer Klubs um Erfahrungspunkte kämpfen. Turniere, interne Ranglisten und persistente Charakterentwicklung klingen nach einer lohnenden Angelegenheit, die ich aufgrund der noch nicht bereitgestellten Server leider noch nicht überprüfen konnte. Sollte der Modus nicht die erwartete Qualität aufweisen, lassen wir es euch an dieser Stelle durch einen Nachtrag wissen.
Wenn sich das jetzt wie ein einziger Beschwerdebrief ließt, dann nur, weil meine Erwartungen nach dem vierten Teil vielleicht ein bisschen zu sehr in die Höhe geschnellt sind. Nicht falsch verstehen: Die meiste Zeit hat man hier die gewohnte Fight-Night-Qualität vor sich, die für lange und spannende Vernichtungsschlachten vor allem gegen Freunde geradezu prädestiniert ist. Die Engine ist erprobt, macht Spaß und zeigt in ihrer aktuellsten Iteration einige interessante Ansätze, die den Sport besser repräsentieren und Fans der Reihe den Neukauf wert sein dürften. Es ist ein geradezu berstend großes und technisch unglaublich attraktives Spiel eines spürbar sehr begeisterungsfähigen Studios.
Allerdings ist, anders als beim Vorgänger, zum einen kein so großer Sprung seit dem letzten Teil zu erkennen und zum anderen bringt nicht jede Neuerung ein klares Plus für den Spielspaß mit sich. Der technische und spielerische Vorsprung EA Canadas wird aber vermutlich auch die nächsten zwei Jahre dafür sorgen, dass andere Hersteller dem "Champion" keinen Herausforderer in den Ring stellen.
Neben Ali und Tyson sind auch die beiden Brüder aus der Milchschnitte-Werbung Teil des 50-köpfigen Kämpferfeldes von Fight Night Champion. Um auf eure Frage zu antworten: Vitali.
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