Final Fantasy 16: So funktioniert die deutsche Lokalisierung
Interview zur Linguistik mit dem deutschen Localization Lead Hajime Suga Stadler
Eines der Besonderheiten im neusten Final Fantasy ist die Sprache. Final Fantasy 16 wollte seit Beginn eine authentische Darstellung einer Welt bieten, die großen Wert auf britisches Englisch legte. Doch wie macht sich sowas im deutschen bemerkbar und hatte das Team Schwierigkeiten damit, sich auf eine englische Grundlage umzustellen?
Klar, könnte man meinen, die Übersetzung vom Englischen ins Deutsche sei einfacher, aber sind nicht auch bei einer Lokalisierung viele Prozesse automatisiert - oder zumindest Gewohnheiten im Team, die geändert werden müssten? So wäre zumindest meine Annahme, die wir nun endlich auflösen können, denn Square Enix hat uns die Möglichkeit gegeben dem Leiter des deutschen Übetzerteams, Hajime Suga Stadler, einige Fragen diesbezüglich zu stellen und mehr über den Prozess der Lokalisierung in Erfahrung zu bringen. Einige Antworten sind dabei erstaunlich überraschend ausgefallen.
Eurogamer.de: Habt ihr mit der englischen oder an der japanischen Version gearbeitet, um Final Fantasy 16 ins Deutsche zu übersetzen?
Hajime Suga Stadler: Prinzipiell haben wir das Spiel auf Basis der englischen Version übersetzt. Da die meisten unserer Übersetzerinnen und Übersetzer auch Japanisch können, haben wir den einen oder anderen Blick ins japanische Skript geworfen, auf dem das englische basiert. Es gibt also Stellen, bei denen wir aus verschiedenen Gründen Aspekte aus dem Japanischen miteinbezogen haben. Oft war das der Fall, wenn die Übersetzung aus dem Englischen partout nicht auf die technischen Vorgaben passen wollte, nach denen wir uns richten mussten, zum Beispiel die Länge der Audiodateien oder die Bewegungen der Lippen. Dann haben wir uns oft noch einmal den japanischen Text angesehen, um anhand diesem eine passende Lösung zu finden.
Eurogamer.de: Macht es die Arbeit leichter, wenn das Original von Englisch auf Deutsch zu übersetzen ist oder ist die Ausgangssprache egal?
Hajime Suga Stadler: Generell macht es nicht so einen großen Unterschied, aus welcher Sprache der Text übertragen wird. Letztendlich zählt, dass in der Zielsprache, also im Deutschen, alles stimmig ist. Dafür muss man sich oft vom genauen Wortlaut des Ausgangsmaterials lösen – nicht die Wörter wollen übersetzt werden, sondern die Geschichte. Zumindest für die Zwischensequenzen muss man aber sagen, dass diese wohl einfacher aus dem Englischen zu übertragen sind. Als Synchronversion müssen wir uns an die vorgegebenen Lippenbewegungen halten und da sind sich Deutsch und Englisch einfach ähnlicher als Deutsch und Japanisch. Trotzdem hat auch das Englische seine eigenen Tücken, insbesondere viele "falsche Freunde", die zu unpassenden Übersetzungen einladen.
Eurogamer.de: Koji Fox schilderte in einigen Interviews, dass die englische und japanische Version des Spiels simultan entstanden sind. Wie sieht dieser Prozess für die deutsche Sprache aus? Werden euch Skripte während der Entwicklung weitergereicht oder könnt ihr erst anfangen, wenn die gesamte Geschichte fertig ist?
Stadler: Den klassischen Fall, dass man mit der Übersetzung eines Spiels erst dann beginnt, wenn das komplette Skript fertig ist, gibt es bei so großen Projekten kaum noch. In der Regel stoßen die Übersetzerinnen und Übersetzer relativ früh während der Entwicklung dazu, was auch bei uns so war. Anders wäre es zeitlich auch gar nicht machbar, die Übersetzungen und vor allem die Tonaufnahmen rechtzeitig zum Release fertigzustellen. Die englischen Übersetzer waren aufgrund der intensiven Zusammenarbeit mit dem Entwicklungsteam aber noch früher als wir involviert. Als ich dazugekommen bin, war schon eine beachtliche Textmenge auf Englisch verfügbar.
Eurogamer.de: Wurde für die Lokalisierung für Final Fantasy 16 outgesourced oder habt ihr alles Inhouse übersetzt?
Stadler: Es haben sowohl Inhouse- als auch Outsource-Übersetzerinnen und -Übersetzer an der deutschen Lokalisierung mitgewirkt. In der Praxis hat das aber kaum einen Unterschied gemacht – wir hatten täglich per Chat Kontakt, haben Ideen ausgetauscht und gemeinsam Lösungen gesucht. Auch bei der Textarbeit haben wir gegenseitig unsere Übersetzungen geprüft und verbessert. Letztlich bin ich auch selbst alles noch einmal durchgegangen und habe vor allem darauf geachtet, dass es keine allzu großen stilistischen Abweichungen unter unseren Texten gibt.
Nur die Inhouse-Leute hatten Zugriff auf den Build, also eine testbare Version des Spiels.
Erwähnenswert ist vielleicht noch, dass nur die Inhouse-Leute Zugriff auf den Build hatten, also eine testbare Version des Spiels. Dass wir überhaupt Zugriff auf diesen haben, ist relativ selten in der Branche und nur möglich, weil wir Teil einer firmeninternen Lokalisierungsabteilung sind. Wir haben aber versucht, allen so viel ergänzendes Material wie möglich zu Verfügung zu stellen: Zusammenfassungen, Screenshots, Videos, etc. Falls spontan Fragen aufkamen, konnten diese natürlich immer gestellt werden und bei Bedarf haben wir schnell im Build nachgeschaut.
Eurogamer.de: Arbeitet das Team mit Übersetzern aus Deutschland oder muss das Team vor Ort in Japan sein?
Stadler: Einige der Outsource-Übersetzerinnen und -Übersetzer wohnen in Deutschland und haben von dort aus am Projekt mitgearbeitet. Als Inhouse-Übersetzer- beziehungsweise Übersetzerin ist aber eine Anstellung und ein Wohnsitz in Japan Voraussetzung.
Eurogamer.de: Wie ist aus "Eikon" das deutsche "Esper" geworden?
Stadler: Die Änderung zu "Esper" war auch eine Lokalisierungsentscheidung. "Eikon" kommt aus dem Altgriechischen, wird im Spiel aber wie das englische Wort "Icon" ausgesprochen. Auf Deutsch ist die Aussprache nur durch den Doppelvokal "Ei" zufällig dieselbe wie im Englischen und spätestens bei der Pluralbildung mit -s hat man mit "Eikons" gefühlt einen deutlichen Anglizismus, der nicht wirklich in das mittelalterliche Setting passen will. Im Deutschen hat sich das altgriechische "eikon" übrigens zur "Ikone" entwickelt, die heutzutage aber meist in Verbindungen wie "Popikone" verwendet wird und sich dadurch auch nicht wirklich angeboten hat. Die Lösung war also, auf die vertraute "Esper" zurückzugreifen, welche mittlerweile aus vielen Final Fantasy-Titeln bekannt ist.
Eurogamer.de: Es gibt manchmal Begriffe, die bei allen Sprachen gleich bleiben müssen, die für das Werk besonders wichtig sein könnten. Was waren diese Schlagwörter bei Final Fantasy 16?
Stadler: Für dieses Projekt gab es keine expliziten Vorgaben und daher gibt es auch einige Begriffe oder Namen, die in der deutschen Version abweichen bzw. lokalisiert wurden. Natürlich wird dabei gesunder Menschenverstand vorausgesetzt und es wäre sicher nicht möglich gewesen, Clive Rosfield in "Olaf Rosenfeld" umzutaufen.
Eurogamer.de: Koji Fox ist seit Final Fantasy 14 bei Fans dafür bekannt, besondere Wortspiele, wie "Caulk & Bawl" oder "Please Sir, Can I Have Some Morbol?" in der Übersetzung zu verwenden. Wie geht ihr mit solchen Witzen bei der Übersetzung um?
Stadler: Meine persönliche Herangehensweise für Wortspiele und Ähnliches ist, nichts zu erzwingen. Oft sind diese sehr sprach- und kontextabhängig. Wenn man versucht, auf Biegen und Brechen genau an dieser Stelle irgendetwas einzubauen, kommt meist nichts Anständiges dabei heraus. Bei so einem großen Spiel hat man allerdings die Möglichkeit, Dinge an anderen Stellen "nachzuholen". Das heißt zum Beispiel, wenn sich auf Deutsch eine passende Gelegenheit für einen Wortwitz findet, diese zu ergreifen, auch wenn sie nicht in der Vorlage vorhanden ist. Dasselbe gilt auch für Aspekte in den Dialogen zwischen Charakteren, wo wir wegen der technischen Vorgaben nicht immer alles einbauen können. Solange wir diese an anderen Stellen wieder aufgreifen können, halte ich das für eine vertretbare Vorgehensweise. Wie bereits erwähnt, das Wichtigste ist, dass unsere Version in sich stimmig ist.
Clives Reise, mit all ihren Höhen und Tiefen, ist für mich pures "Final Fantasy".
Eurogamer.de: Achtet ihr beim Lokalisieren darauf, dass ihr jedem Charakter eine andere Sprechart gebt? Dass jede Figur bereits in der Sprache charakterisiert wird, beispielsweise Dialekte oder kulturelle Milieus abgebildet werden?
Stadler: Das kommt ganz auf das Spiel und der ihm zugrunde liegenden Welt an. In der englischen Version von Final Fantasy 16 werden die einzelnen Regionen durch verschiedene Regiolekte und auch fremdsprachliche Akzente unterschieden – die Frage war, wie wir damit umgehen. Natürlich habe ich auch kurz mit dem Gedanken gespielt, verschiedene Dialekte in unsere Version einzubauen, die Idee aber schnell wieder verworfen. Obwohl der deutschsprachige Raum viele interessante Regiolekte bietet, werden diese bei Nicht-Sprecherinnen und Sprechern oft eher mit Belustigung aufgenommen oder gar nicht erst verstanden, was ein zu großes Risiko gewesen wäre. Und fremdsprachliche Akzente wären, in dem Umfang, wie wir sie für das Spiel gebraucht hätten, angesichts der Sprecherinnen- und Sprecherlandschaft in Deutschland auch schwierig gewesen. Diese nachzuahmen, kam für mich aus verschiedenen Gründen nicht in Frage.
Stadler: Worauf wir uns stattdessen fokussiert haben, ist das deutlichere Hervorheben der sprachlichen Inspirationen für die jeweiligen Regionen im Spiel. Wie den meisten sicher aufgefallen ist, gibt es in Final Fantasy 16 viele Namen und Orte, deren Aussprache und Schreibweise einer anderen Sprache entlehnt bzw. von dieser inspiriert sind. Hier haben wir uns bemüht, auch in Absprache mit Lokalisationsteams anderer Sprachen, möglichst glaubwürdig geschriebene und gesprochene Lösungen zu finden und so zum Worldbuilding beizutragen. Ganz aufgegeben habe ich das Thema Dialekte und Akzente in Synchronisationen aber nicht. Ich halte das weiterhin für eine interessante Idee und denke, dass es das Risiko je nach Ausführung wert sein könnte. Zum Beispiel finde ich, dass gerade der leicht süddeutsche Einschlag, der bei Onkel Byron (Sprecher: Stefan Müller-Ruppert) zu hören ist, den Charakter noch einmal echter und sympathischer macht. Vielleicht bietet sich ja irgendwann einmal die Gelegenheit dazu – nur würde ich das lieber bei einem überschaubareren Projekt angehen als bei diesem.
Eurogamer.de: Als du das Skript zu Final Fantasy 16 das erste Mal gesehen hast, was für einen Eindruck von der Geschichte hattest du?
Stadler: Ich war ziemlich begeistert. Die Welt und die Story haben mich direkt gepackt und mit ansehen zu können, wie alles im Spiel Form angenommen hat, war ein einzigartiges Erlebnis. Schon beim Lesen war mir klar, dass das ein Titel sein wird, der diese magischen "Final Fantasy"-Momente hat, die ich mit der Reihe verbinde. Clives Reise, mit all ihren Höhen und Tiefen, ist für mich pures "Final Fantasy".
Eurogamer.de: Wie eng hat das Übersetzungsteam mit dem Drehbuch zur Vertonung zusammengearbeitet und worauf achtet ihr beim Besetzen der Charaktere?
Stadler:Die Dialogbücher wurden alle von den Übersetzerinnen und Übersetzern angefertigt, vor allem bei den Zwischensequenzen habe ich auch viele selbst geschrieben. Die Aufnahmen wurden dann von erfahrenen Regisseurinnen und Regisseuren durchgeführt, die uns mit Vorschlägen unterstützt haben, wenn ein Satz mal nicht auf die Mund- und Lippenbewegungen gepasst hat. Ich war meist "per Schalte" aus Japan mit dabei und konnte eventuelle Textänderungen gleich absegnen.
Ich muss auf jeden Fall das Vertrauen, das in die Lokalisierungsteams der jeweiligen Sprachen gesetzt wurde, positiv betonen.
Stadler: Beim Casting haben wir dem Tonstudio diverse Informationen zu den Charakteren und schon einige Vorschläge für potenzielle Sprecherinnen und Sprecher mitgeschickt. Auf dieser Basis wurden dann weitere Kandidatinnen und Kandidaten gesucht, die Sprachproben für uns angefertigt, anhand derer wir schließlich eine Entscheidung getroffen haben. Je nach Charakter sprechen unterschiedlich viele Leute vor, aber zumindest die wichtigsten Haupt- und Nebencharaktere konnten wir alle individuell casten. Nicht allen Sprecherinnen und Sprecher haben wir jedoch die Rolle zugewiesen, für die sie auch vorgesprochen haben. Die Sprecherinnen und Sprecher von Gav, Mid, Tarja, Byron und noch einige mehr haben ursprünglich für eine andere Rolle kandidiert, als für die, die sie letztlich gesprochen haben. Hier möchte ich auch die Arbeit des Tonstudios toneworx und dessen Beteiligte hervorheben, die sich nicht nur in Sachen Casting, sondern auch in allen anderen Bereichen wirklich für uns ins Zeug gelegt haben. Bei so einem Projekt sind so viele Leute beteiligt, die alle ihren Beitrag leisten müssen, damit die Qualität des Endprodukts stimmt und es ist immer ein kleines Wunder, wenn es funktioniert.
Eurogamer.de: Musstet ihr im Nachgang manchmal Mund-Animationen verändern, damit sie besser auf das Gesprochene passen?
Stadler: Die Animationen der Lippen wurden bei den Zwischensequenzen anhand Facial Capture-Technologie erstellt, für die die englischen Sprecher Modell standen, und wurden bei den restlichen Szenen je nach Sprache anhand der Audiodateien generiert. Manuelle Anpassungen nur für unsere Version waren also leider nicht möglich. Umso mehr mussten wir aufpassen, bei den Dialogbüchern möglichst lippensynchron zu schreiben und während der Aufnahmen bei Bedarf Änderungen vorzunehmen. Das war nicht immer einfach, vor allem, weil die Aufnahmen während der Corona-Pandemie stattfanden und ich nur remote dabei sein konnte. Unter normalen Bedingungen wäre ich auch persönlich vor Ort gewesen, was die Kommunikation sicher erleichtert hätte.
Stadler: Zum Glück waren die Regisseurinnen und Regisseure aber meist physisch im Studio anwesend und konnten direkt mit dem Material und der Besetzung arbeiten. Auch die Sprecherinnen und Sprecher haben bei den Lippenbewegungen übrigens ganze Arbeit geleistet – diese passgenau zu treffen, ist eine wirklich kreative und handwerkliche Leistung, die alles andere als einfach ist. Falls mir schließlich bei der Implementation im Spiel asynchrone Stellen unangenehm aufgefallen sind, hatten wir vereinzelt die Chance, diese noch einmal neu aufnehmen zu lassen.
Eurogamer.de: Gab es in diesem Bezug etwas, was anders lief, als bei sonstigen Projekten von Sqaure Enix?
Stadler: Ich muss auf jeden Fall das Vertrauen, das in die Lokalisierungsteams der jeweiligen Sprachen gesetzt wurde, positiv betonen. Sofern es die Umstände zugelassen haben, konnten wir zu fast allen Aspekten der Lokalisation eigene Entscheidungen treffen, wie beispielsweise die oben erwähnte Wahl der Sprecherinnen und Sprecher. Das ist nicht selbstverständlich und hat in Kombination mit den uns zur Verfügung gestellten Materialien, die an Vollständigkeit und Detailgrad kaum Wünsche offenließen, deutlich zur Qualität des Ergebnisses beigetragen.
Eurogamer.de: Hast du eine Szene oder Übersetzungen, die dir besonders im Gedächtnis geblieben sind?
Stadler: Mein Lieblingssatz im Spiel ist nicht nur ein Satz, sondern gleich mehrere Sätze bzw. Verse, und zwar die der rosarischen Hymne, die am Anfang des Spiels beseelt von den Soldaten des Herzogtums gesungen wird:
Flieg über Felder und Wiesen und Auen! Flieg aus der Asche empor und o schauet! Fliege rosarisches Feuer im Wind! Fliege, wir folgen wo immer dir hin! O stürme nach vorn, wir sind ewig gebor’n!
Flieg über Wasser und Wälder und Moore! Sehet die Flammen am Firmament lohen! Trage Rosarias Stolz in die Höh! Steige hinauf auf gleißender Bö! O stürme nach vorn, wir sind ewig gebor’n!
Wahrscheinlich, weil in ihnen ein kleiner Teil von mir steckt: Mein Vater kommt aus Österreich und als ich grübelnd an der Übersetzung saß, habe ich mir etwas Inspiration bei der österreichischen Nationalhymne geholt, die mit "Land der Berge, Land am Strome, Land der Äcker, Land der Dome" nach einem Muster beginnt, das sich hier im Ansatz wiederfindet. Ich denke, die Vorlage hat dem Ganzen einen authentischen Touch gegeben und den Stich in Clives Herzen nachvollziehbar gemacht, den er gefühlt haben muss, als er die besungenen Felder und Moore des einstigen Herzogtums im Erwachsenenalter wieder besucht hat.