Grand Theft Auto IV
Mit kleinen Schnitzern
Was für ein Weihnachtsfest. In den letzten beiden Monaten jagte ein erstklassiger Titel den anderen. Fantastische Open-World-Rennspiele, umfangreiche Action-Adventure-Welten, brachiale Shooter, monumentale Rollenspiele und dazwischen immer wieder ein paar echte Innovationen. Die Hersteller haben sich wirklich alle Mühe gegeben, den Spielern das Geld aus der Tasche zu ziehen. Da fällt es schwer, bei einer „simplen“, etwas verspäteten PC-Umsetzung aus dem Häuschen zu geraten. Selbst wenn dahinter so ein Meisterwerk wie Grand Theft Auto IV steht. Ein Titel, der nicht umsonst in der Konsolen-Fassung unsere Bestnote absahnte und in den letzten Monaten eine Auszeichnung nach der anderen einkassierte.
Entsprechend hoch sind die Erwartungen. Schließlich hat Rockstar Games in den letzten Jahren bewiesen, dass sie auch auf Heimcomputern ihr Handwerk verstehen. Gerade Grand Theft Auto: Vice City für den PC ist noch heute legendär und sah deutlich besser aus als auf der Konsole. Doch auch die Konkurrenz schläft nicht. Viele Entwickler nutzen die Zeit bis zum Release, bessern Fehler aus und integrieren neuen Content. Das Endergebnis ist zwar nicht immer einmalig, trotzdem haben PC-Käufer das Gefühl, dass die Wartezeit genutzt wurde und sie nicht eine simple Konvertierung vorgesetzt bekommen.
Doch statt wie bei Assassin's Creed oder Gears of War neue Level oder Mini-Spiele zu integrieren, setzt Rockstar auf ein simples Tool, das in den Händen eines kreativen Spielers viel Potential besitzt. Mit dem Video-Editor kann die Generation YouTube einmalige Werke schaffen, die aus Grand Theft Auto IV ein Filmstudio machen.
Niko und Liberty City sind nur Schauspieler und Kulisse. Mit etwas Muße und Geduld entsteht echte Kleinkunst, die mehr ist als die Summe ihrer Einzelteile. Rockstar Games macht Euch zu Regisseuren und erfüllt den Traum aller Grand Theft Auto-Fans. Doch wie sieht es mit dem Rest des Spiels aus?
Neue Inhalte und Mini-Spiele sucht Ihr bei der PC-Fassung vergeblich – die gibt es im Frühjahr exklusiv für die Xbox 360. Das Spiel dreht sich wie gehabt um den Einwanderer Niko Bellic, der dem Ruf seines Cousins folgt und in das Land der unbegrenzten Möglichkeiten reist. Doch der Kosovo-Veteran und Kleinkriminelle möchte sich nicht nur ein neues Leben aufbauen. Vielmehr ist er auf der Jagd nach einem Kriegsverbrecher, der im Großstadtmoloch untergetaucht ist. Eine Suche, deren Weg Dutzende Leichen pflastern und die unweigerlich auf ein amoralisches Ende zusteuert.
Doch bis Ihr die großen Fische jagt, gilt es auch bei Grand Theft Auto IV erst einmal jede Menge Kleinkram zu erledigen. Die ersten Stunden seid Ihr damit beschäftigt, die Steuerung zu erlernen, schlagt Euch mit dem Freundes-System herum und entdeckt die vielen Details, die Liberty City so unwiderstehlich machen. Wie gehabt schlagt Ihr Euch in der Third-Person-Perspektive durch die Metropole, meistert die viel zu weich gefederten Ami-Karossen und freut Euch über das neue Kampfsystem. Erstmals kann Niko hinter Deckung Schutz suchen und Feinde wie bei der PSP-Version per Lock-On ins Visier nehmen.
Der Rest unterscheidet sich nicht stark von den Vorgängern. Einige Elemente wie das Rollenspiel-artige Upgrade-System aus San Andreas und der Erwerb von Immobilien wurde wieder heraus genommen. Realismus steht ganz bewusst an erster Stelle und wurde nicht nur optisch umgesetzt.
Statt mit Kampfhubschraubern, Panzern und Monster-Trucks die Stadt in ein Schlachtfeld zu verwandeln, konzentriert sich Grand Theft Auto IV ganz auf die Simulation einer lebenden und atmenden Welt. Egal ob Sozialleben, Internet, realistischer Tag/Nacht-Zyklus, physikalisch genau berechnete Animationen oder ein umfangreiches Fernsehprogramm, Grand Theft Auto IV ist mehr als ein einfaches Computerspiel. Es ist ein Vorbild für kreatives Game-Design, das zwar mit einigen kleinen Macken (Langsamer Einstieg und gefühlte 2000 Tötungsmissionen) zu kämpfen hat, aber nicht zu Unrecht als eines der Spiele des Jahres gehandelt wird.