Heavy Rain
Crying in the Rain
Heavy Rain umschifft die meisten dieser Probleme ziemlich elegant, denn die Natur seiner zeitkritischen Sequenzen ist schlicht eine andere: Zunächst einmal werdet ihr nicht vom eigentlichen Spiel abgehalten, weil Heavy Rain als Ganzes eine streng situationsabhängig gesteuerte Angelegenheit ist. Zu jeder Aktion werdet ihr durch Bildschirmeinblendungen einer ähnlichen Bewegung auf dem rechten Stick aufgefordert, sobald ihr nur noch ein bis zwei Schritte vom entsprechenden Hotspot entfernt seid.
Wenn man damit leben kann, ist es eigentlich sehr offensichtlich, warum sich das Spiel in seinen aufregenderen Szenen für diese Art von Reaktionsgameplay entschieden hat. Da euer Charakter schnell reagieren muss, um etwa einer gezogenen Waffe oder einem Hieb auszuweichen, müsst ihr das auch. Hier fahrt ihr nicht mit einigen simplen Tastendrücken durch die Einbahnstraße einer straff vorgegebenen Tötungsanimation, die jedes Mal von vorne durchfahren werden muss, wenn ihr euch mal wieder gelangweilt dem Sekundenschlaf hingegeben habt.
Quantic Dream bekommt es hin, euch in beeindruckend filmreifen Sequenzen durch teils reaktionsgesteuerte, teils gestenabhängige (teils auch über Sixaxis-Sensor) Verfolgungsjagden, Schläger- und Schießereien zu scheuchen, die immer wieder so quälend spannend sind, dass man nervös auf der vorderen Sesselkante umher rutscht und an ihrem Ende erleichtert aufatmet - wenn man noch atmet. Fehler werden nicht durch zwanghafte Wiederholungen bestraft, sondern führen einfach nur dazu, dass das Gezeigte einen anderen Verlauf nimmt.
Dabei wähnt man trotz des wirklich nicht besonders hohen Schwierigkeitsgrades den Tod hinter jeder Ecke (selbst wenn dort vielleicht nur ein blaues Auge lauert) und verbindet damit nicht nur die Angst vor dem Ende des Story-Fadens dieser speziellen Figur, man sieht auch seine Chancen schwinden, Shaun noch lebendig zu finden. Dazu sei gesagt, dass es durchaus möglich ist, einfach ein Kapitel noch einmal zu spielen, wenn einem das permanente Ableben einer der Figuren zu viel Bauchweh bereitet. Trotzdem rate ich davon ab, es zu tun.
In Heavy Rain fällt es einem deutlich leichter, den Tod einer der Figuren zu akzeptieren, denn erstens ermöglicht jede der denkbaren Charakterkonstellationen ein würdiges Herzschlag-Finale des Thrillers und zweitens kenne ich keinen guten Film dieser Sorte, in dem nicht mindestens eine größere Rolle in einem dramatischen Moment das Zeitliche segnet. Eine gute Geschichte kommt eben nicht ohne Martyrium aus. Es gibt sogar zahlreiche, sehr bedrückende „Bad Endings“, die den Ton und Charakter der erlebten Geschichte komplett auf den Kopf stellen und das - meine Lieben - ist einer der größten Verdienste von Heavy Rain.
Ein weiteres dickes Fragezeichen, das nun endlich geklärt ist, betrifft die Qual der Wahl. Wie frei ist der Spieler denn nun wirklich in seinen Entscheidungen? Fakt ist, dass man fast jede Szene, wenn man unbedingt will, auf „Scheitern“ oder „Erfolg“ reduzieren kann. Die Wege zu den meist zwei oder drei möglichen Auflösungen unterschiedlicher Tragweite einer Szene sind aber häufig recht verschlängelt.
Oft beeinflussen kleinere Details, wie einzelne Hinweise, die man entweder übersehen oder gefunden hat oder die Wahl der Fragen, die man gestellt hat, durchaus den Wissensstand und die Erfahrung des Spielers. Auch das Bild, das man von einer der Figuren bekommt, kann sich ändern. Natürlich hat es keinen spielerischen Mehrwert, als Scott per Halb- oder Viertelkreisbewegung auf dem rechten Stick in Kühlschrank oder Schublade zu greifen, um sich einen Drink zu genehmigen.
Aber es ändert ein bisschen das Bild vom netten Detektivonkel mit der schönen Stimme, das man von ihm bekommt, wenn man den Flachmann unterm Tresen lässt. Dass hier das Ende nicht komplett auf den Kopf gestellt wird, wundert niemanden. Die Erfahrung aber ist eine andere. Außerdem stellt sich die Frage: Wie viel Freiheit tut einer interaktiven Geschichte gut? Wer das Spiel einmal zu Ende gebracht hat, sieht: Hier will ein schlüssiger, packender Thriller erzählt werden und keine unendliche Geschichte mit tausenden Eventualitäten und minimal unterschiedlichen Enden. Cage und seine Leute mussten die Möglichkeiten des Spielers in einem kontrollierbaren Rahmen halten, wenn sie mit der Auflösung des Dramas auch eine Wirkung erzielen wollten. Dem Spieler eine Gefühlsregung zu entlocken, ist das übergeordnete Ziel - und das rechtfertigt eine kompetent kreierte Illusion der Freiheit allemal. Um es aber noch mal in aller Deutlichkeit zu sagen: Die Bandbreite der möglichen Enden ist dennoch sehr beeindruckend, vor allem wenn man sieht, wie sich bei jedem Durchgang trotzdem ein schlüssiges Bild zusammenfügt.