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Heavy Rain

Crying in the Rain

Es sind eher die vielen Entscheidungen im Großen, die euch lange verfolgen werden. Und die kann man mit ungezählten kleineren Belanglosigkeiten nicht aufwiegen. Schon nach meinem ersten Durchlauf habe ich mindestens ein Dutzend Szenen erlebt, von denen ich liebend gerne künden würde (was ich aus Spoilergründen nicht tue) und die mir vermutlich auf ewig im Gedächtnis bleiben werden. Hier fährt Quantic Dream das Drama teilweise bis aufs Maximum hoch. Natürlich sind auch diese maßgeblichen Entscheidungen eher binärer Natur, doch wie viel Auswahl braucht man schon in „Alles-oder-Nichts“-Situationen? Mir sind zwei wirksame Konsequenzen aus meinem Entschluss lieber als zehn, die sich nur in Facetten unterscheiden.

Das wiederkehrende Motiv „Wie weit würdest du gehen, um jemanden zu retten, den du liebst“ stellt eure Moralvorstellungen auch so auf eine Zerreißprobe, ohne aber über euch zu urteilen. Ihr macht, was ihr für richtig (oder notwendig) haltet, um euer Ziel zu erreichen und nicht, weil ihr Angst habt, eine Fähigkeit der „dunklen“ oder „hellen“ Seite des Skilltrees zu verpassen. Es ist immer eure Entscheidung. Und deshalb lastet ein gewisses Verbrechen, für das ihr euch in Heavy Rain entscheiden könnt, auch bedeutend schwerer auf euch, als jeder virtuelle Militäreinsatz gegen gesichtslose islamistische Terroristen, auf den uns die großen Entwickler in den letzten Jahren geschickt haben. Großes, großes Kino.

Doch auch Heavy Rain ist nicht perfekt. Die Bewegung der lebensechten Charaktere durch die ungemein detaillierten und realistischen Szenarien gerät dann doch sehr viel komplizierter, als ich anhand der Demo gedacht hätte.

Der Mann fürs Grobe: Wenn er muss kann der warmherzige Scott kann auch ganz anders.

Per linkem Stick die Richtung zu wählen und mit R2 „Gas“ zu geben, sorgt in engen Räumlichkeiten ein wenig für Probleme. Da man selten wirklich exakt steuern muss, ist der navigatorische Schluckauf nur ein kleines Ärgernis und dazu eines, das durch die Interaktion über recht großzügige Hotspots ein wenig abgemildert wird. Trotzdem verwette ich einen Friesennerz darauf, dass die Figuren des nächsten Quantic-Dream-Spiels wieder komplett mit dem linken Stick bewegt werden.

Die vielen Gelegenheiten, in denen ich mit den Fingern auf dem Controller förmlich Twister spielen musste, fand ich übrigens sehr gelungen. Wenn man sich durch einen engen Raum hindurchzwängt, möglichst ohne dessen tödliche Ränder zu berühren und dazu Kreis und Quadrat halten muss, kommt schon eine gewisse Anspannung auf. Wenn man dann aber überraschend noch zusätzlich mit der linken Hand den rechten Stick herunterziehen muss, bekommt man schon mal schwitzige Handflächen.

Auch die Story ist nicht vollends perfekt. Während der Hauptstrang über den verzweifelten Vater und die Geschichte des Killers wahre Glanzstücke darstellen, so ist insbesondere Madison zwar sympathisch, bleibt aber eine Spur zu blass. Einige Szenen oder Charaktere sind zudem etwas klischeehaft und passen nicht so ganz zu dem ansonsten sehr stimmigen Noir-Ton des Spiels. Doch hier kann eure Erfahrung anhand eurer Entscheidungen durchaus auch wieder eine andere sein. Also: Einen regennassen Schwamm drüber!

Effekte und Umgebungsdetails sind wirklich blendend. Einzig die Fahrzeuge sind QD etwas zu kantig gelungen.

Nur eine Sache hat mir wirklich schlaflose Nächte bereitet. So sehr ich auch spielte, auf eine spezielle Frage scheint die Geschichte keine Antwort zu haben. Dabei handelt es sich um eine Erklärung, die gerade für das erste Drittel des Spieles recht wichtig gewesen wäre. Sie verdirbt das Ende zwar nicht, erweckt aber den Eindruck, dass Quantic Dream es sich ein bisschen zu einfach dabei gemacht hat, uns Spieler auf die falsche Fährte zu locken. Ansonsten gibt es bei allen Eventualitäten eigentlich keine Grauzonen, die nicht auch die Fantasie des Spielers ausfüllen könnte.

So oft man sich in den vergangenen Jahren auch die Frage gestellt hat, ob Heavy Rain nun ein Film, Dragon’s Lair 2.0 oder ein „richtiges“ Spiel wird, so unbedeutend ist sie doch letzten Endes. Eine viel wichtigere Frage ist doch die, ob man Heavy Rain erlebt haben sollte. Und hier bleibt mir nur zu sagen, dass ich es persönlich für eines der intensivsten und spannendsten Stücke interaktiven Eskapismus seit langer, langer Zeit halte. Es ist außerdem absolut denkbar, dass wir hier gerade die Geburt eines neuen Genres erleben.

Falls nicht, ist Heavy Rain immerhin ein ausgezeichnetes Beispiel dafür, wie Elemente von Spiel und Film zusammen weit mehr ergeben können als die Summe ihrer Teile. Manchmal ist „anders“ eben doch etwas Besonderes.

Für meinen ersten Durchgang durch Heavy Rain brauchte ich 7 Stunden. Die verschiedenen Enden und Wahlmöglichkeiten garantieren aber, dass ihr deutlich mehr Zeit investieren werdet.

9 / 10

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