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Ich hasse dich, Aiden Pearce

Ein Anwärter auf den schlimmsten Protagonisten der Videospielgeschichte.

Anmerkung: Der folgende Text beinhaltet neben mehreren Spoilern zu Watch Dogs auch viele Hinweise auf die Handlung von Spec Ops: The Line.

Watch Dogs ist insgesamt betrachtet kein Spiel, das große Aufmerksamkeit verdient hat. Es folgt dem mittlerweile stark ausgereizten Open-World-Aufbau vieler Ubisoft-Spiele, verarbeitet sein interessantes Konzept in zu eingeschränkten und konservativen Mechaniken und zerstreut eine fokussierte Vision, um lieber Dutzende Minispiele anzubieten, die keine Sau interessieren. Eigentlich gehört es nicht zu den Titeln, über die ich ausgiebig sprechen möchte.

Wäre da nicht Aiden Pearce.

Ich hasse Aiden. Er verkörpert die ekelhaftesten Eigenschaften eines Videospielcharakters und hält sich trotz unmoralischer und teils soziopathischer Maßnahmen für einen Helden. Aiden glaubt nicht nur, dass er im Alleingang seine persönliche Vendetta fortführen muss, sondern gefährdet sogar das Leben seiner Familie, obwohl seine Schwester ihn mehrfach bittet, einfach aufzuhören.

Selbst wenn ihr die Tonaufnahmen von Maurice findet, in denen er seine tragischen Beweggründe schildert, ändert es nichts an Aidens Verhalten.

Viel schlimmer ist jedoch, dass die Entwickler hinter Aiden stehen, ihn selbst als einen tollen Charakter betrachten und sein von unfassbarem Narzissmus getriebenes Verhalten positiv hervorheben. Denn seine Persönlichkeit wäre nicht schlimm gewesen, hätte das Spiel diese kommentiert und genauer behandelt. Am Ende der Geschichte rettet Aiden seine Schwester nach gefühlten 500 Morden und schließt das Spiel mit einem Monolog ab, der ihn wie Batman dastehen lässt. Ich konnte es nicht fassen. Hier haben wir einen Protagonisten, der für den Tod seiner Nichte mitverantwortlich ist, der seine restliche Familie mehrfach in Lebensgefahr bringt und der sich nebenher selbst eine Geisel hält, die er von einem perversen Ganoven, ohne zu zögern, quälen lässt. Und das Spiel tut so, als wäre dies alles gerechtfertigt.

Schon direkt zu Beginn schafft es Watch Dogs, sämtliche narrativen Fehler von Videospielen in einer einzigen Szene zu verbinden. Die erste Aufgabe des Spiels fordert dazu auf, den wehrlosen Maurice zu erschießen. Als Spieler wissen wir in dem Moment nur, dass er anscheinend der Hitman ist, der Aidens Nichte getötet hat. Wir sollen uns nach einer kurzen Einleitungssequenz direkt in Aiden hineinversetzen und Maurice töten wollen. Denn eine andere Option lässt Watch Dogs nicht zu.

"Viel schlimmer ist jedoch, dass die Entwickler hinter Aiden stehen, ihn selbst als einen tollen Charakter betrachten und sein von unfassbarem Narzissmus getriebenes Verhalten positiv hervorheben."

Die Charakterisierung von Aiden ist einfach nur peinlich, wenn man den Umgang von Spec Ops: The Line mit einer ähnlichen Person erlebt hat.

Es ist die allererste Aktion im gesamten Spiel und sie stellt Aiden direkt als kaltblütigen Mörder dar, mit dem wir uns als Spieler identifizieren sollen. Nur ist es nicht meine Nichte, die ermordet wurde. Ich habe keine Sekunde Zeit mit ihr verbracht, ihr Gesicht nur wenige Augenblicke in einer von grauenhaften Videofiltern geschändeten Sequenz gesehen. Genauso weiß ich von Aiden nur, dass er ein Krimineller ist. Seine Motive außer Gier und Rache sind mir vollkommen unbekannt. Ich besitze daher keinerlei Motivation, einen Mann zu töten, den ich ebenfalls nicht kenne. So etwas funktioniert vielleicht in Filmen, wo ich sämtliche Handlungen passiv wahrnehme und im Verlauf der Story besser verstehen kann, warum Aiden unbedingt seinen persönlichen Rachefeldzug durchsetzen musste. So, wie es hier in Watch Dogs geschieht, empfinde ich nur Ekel und Abscheu für den Protagonisten, da mir das Spiel keine Wahl lässt, außer die Pistole zu bedienen, und mich zwingt, aktiv die Tat zu vollziehen. Natürlich stellt sich daraufhin heraus, dass die Waffe nicht geladen war. Jedoch fehlte mir vor dem Abdrücken diese Information.