Keiji Inafune und die japanische Spieleindustrie
Der Altmeister teilt aus
Es ist fast schon ein wenig wie eine jährliche Tradition: Auch auf dieser Tokyo Game Show fand Capcoms Entwickler-Urgestein Keiji Inafune, der Mann hinter Kultspielen wie Mega Man, Onimusha und diesem bösen Zombiespiel (dessen Namen man nicht sagen darf, weil man in Bayern sonst in den Knast kommt) sehr deutliche Worte für seine Landsleute und Kollegen: "Ich sehe mich auf der Tokyo Game Show um und jeder macht schreckliche Spiele. Japan hängt mindestens fünf Jahre hinterher." Den Westen hält er dagegen als großes Vorbild hoch: "Ich will mich damit auseinandersetzen, wie Menschen im Westen leben und Spiele machen, die sie ansprechen."
Keine Frage, diese Worte sind ebenso deutlich wie hart. Aber was beabsichtigt Inafune-san denn nun damit? Ist es wirklich seine Überzeugung, dass Japan abgehängt wurde? Will er damit eher den diversen Konkurrenzentwicklern ein wenig einen Dämpfer verpassen und Capcoms nach wie vor sehr westlich orientierten Kurs rechtfertigen? Oder will er einfach etwas provozieren und andere japanische Entwickler so eher zu höheren Leistungen anstacheln? Gehen wir der Sache doch einmal auf den Grund...
Tatsächlich haben sich auf dem weltweiten Markt in den letzten Jahren zwei Dinge radikal verändert. Zunächst sind die Entwicklungskosten durch HD-Grafik, Surround-Sound und Online-Modi noch einmal extrem in die Höhe geschossen. Um heute richtig Gewinn abzuwerfen, reicht es kaum noch, wenn ein Spiel lediglich in Japan Erfolge feiert – ein zeitgenössischer HD-Titel sollte in allen drei Märkten - Japan, Europa und den USA - gut laufen, um sich für den Entwickler und seinen Publisher zu rentieren.
Und damit hat so mancher Japan-Entwickler seine liebe Not. Klammert man Nintendo hier einmal aus, Nintendos Spiele waren seit jeher sehr international aufgestellt, dann bleiben nur wenige japanische Entwickler, die momentan in allen drei Territorien große Erfolge feiern. Natürlich verkaufte Square Enix von Final Fantasy XIII etliche Millionen Exemplare weltweit, andere Titel, etwa das speziell für den westlichen Markt ausgelegte The Last Remnant, hatten dagegen weit weniger Glück.
Auch im Hause Namco Bandai trauert man heute wohl den seeligen Psone-Zeiten nach, als Ridge Racer und Tekken die Charts dominierten. Und von gelegentlichen PES- und Metal-Gear-Spielen abgesehen geht es auch im Hause Konami heute ein ganzes Stück bescheidener zu als noch zu goldenen 16- und 32-Bit-Zeiten.
Der Geschmack der japanischen Spieler scheint sich auch verengt zu haben. Heute dominieren Variationen von Monster Hunter und Pokémon die Charts, Namco Bandais oft fast schon unerträglich generische Tales-Rollenspiele werden nach wie vor gekauft und immer wieder schafft es die ein oder andere obskure Dating-Sim in die japanischen Top Ten. Westliche Spiele sind dagegen oft nahezu unbekannt, wie Atsushi Inaba von PlatinumGames bestätigt: "Genres wie westliche Shooter führen in Japan wirklich ein echtes Nischendasein."
„Obwohl es viele sehr gute Spiele wie Gears of War oder Call of Duty gibt, gab es niemals einen ernstzunehmende Versuch von Seiten des Marketings, den japanischen Spielern diese Titel näherzubringen. Daher ist es nicht unbedingt so, dass japanische Spieler diese Titel nicht mögen, sie haben oft noch nicht einmal von ihnen gehört!"
Im Gegensatz dazu sind Titel wie Halo oder Call of Duty im Westen geradezu abartig erfolgreich und fahren Verkaufszahlen ein, die sonst nur noch die großen Nintendo-Titel schaffen. Keine Frage, der Westen hat in den letzten Jahren ganz enorm aufgeholt. Seit der Polygonalen Revolution Mitte der 90er Jahren steigerten die Studios in Europa, Kanada und den USA kontinuierlich die Qualität ihrer Produkte, schossen sich auf Genres ein, die in Japan seit jeher eher spärlich bis gar nicht bedient wurden und brauchten ehemals nur auf dem PC populäre Genres wie Echtzeitstrategie und West-RPGs erfolgreich auf die Konsole.