Kingdoms of Amalur: Reckoning - Test
Ich weiß nicht wohin mit diesem. Außer, dass es in meinem Laufwerk bleibt
Ich hatte selten ein Rollenspiel vor mir, das mich so verwirrt zurückließ. Habe ich wirklich gerade ein Einzelspieler-RPG beendet? Oder war es doch ein Free-2-Play-MMO im Offline-Modus? War das Kampfsystem jetzt eigentlich so tiefgängig, wie es sich stellenweise anfühlte, oder ist es nach genauerer Betrachtung doch nicht komplexer als das aus Fable? War die Geschichte eigentlich wirklich so belanglos, wie sie sich anfühlte? Warum hatte ich eigentlich so viel Spaß mit diesem Game? Fragen über Fragen. Antworten habe ich nicht. Tschüss.
Oh, halt, ich werde ja dafür bezahlt, diese Antworten zu suchen. Mist. Ok, ähm, Standard-Tester-Autopilot aktiviert, suche Einstieg, Line 10, Run: Kingdoms of Amalur: Reckoning ist ein neues Rollenspiel aus dem Hause Electronic Arts, programmiert von Big Huge Games. Die Geschichte beginnt damit, dass ihr einen untoten Helden spielt, der einen bösen Herrscher stürzen soll. Diese Geschichte hat R.A. Salvatore geschrieben...
Standard-Modus aus, Einstieg gefunden, goto StartTest: R.A. Salvatore! Das erklärt zumindest die alpinenhaft steigende und fallende Qualität der Handlung. Salvatore konnte sich zwar mit Figuren wie dem Superhelden-Drow Drizzt Do´Urden - dem man in Baldurs Gate die Ausrüstung klaute und ihn dann nackt am Wegesrand zurückließ - bei Nerds punkten und eine Menge Bücher verkaufen, seine Geschichten jedoch kann man getrost mit denen eines gewissen Hohlbeins gleichsetzen. Sie haben alle einen netten Aufhänger, eine gute Idee und im Laufe der Geschichte wird diese entweder in totaler Drögheit demontiert oder gleich ganz vergessen. Amalur ergeht es nicht besser. In dieser Mythologie hat jeder Bewohner der gleichnamigen Welt ein festes, unveränderbares Schicksal. Nur unser Held nicht. Weil er starb. Und am dritten Tage oder so ins Leben zurückkam. Sein Schicksal hatte sich erfüllt, sein neues ist nicht gebunden und er - oder sie - kann nicht nur das eigene bestimmen, sondern das aller beeinflussen, die den Weg kreuzen.
Soweit die Theorie, in der Praxis scheint diese Prämisse nach einer halben Stunde vergessen zu sein. Statt das als Spielelement jenseits einer handvoll von Cutscenes einzusetzen, moralische Entscheidungen zu treffen, die Welt als noch grauenvollerer Widersacher zum aktuellen Fiesling nach eigenem Gusto zu formen und das auf ihr kriechende Gewürm im Schatten der eigenen, entsetzlichen Schönheit zu unterjochen... mimt ihr den persönlichkeitsbefreiten Pappaufsteller aus dem Rollenspielladen nebenan. Schicksal, Schmicksal, wen interessiert es. Jedenfalls nicht Salvatore, der scheinbar nach dem Intro gelangweilt das Projekt verließ. Oder so könnte man meinen. Wahrscheinlicher ist, dass er es wieder mal bei einer netten Idee beließ und es danach mit dem Weg des geringsten geistigen Widerstands im Fantasy-Autopilot zu Ende fabulierte. Oder, um es einfacher zu sagen, euch mit einer belanglosen Hauptgeschichte über einen bösen Fantasy-Tyrannen die Zeit zu rauben.
Der eigene Held steht dabei nur auf der Spitze eines Eisbergs an Wegwerf-Figuren. Es ist schade um die generell anständige Qualität der Texte, da diese einfach nichts zu sagen haben. Außer natürlich "Gehe dorthin und hole/töte dies oder das". Ein paar der Nebenquests, insbesondere die Fraktionsquests, scheinen von einem anderen Team entworfen, fallen diese doch positiv aus dem Rahmen. Grobe 70 Prozent jedoch lassen sich, zieht man den Füller-Text-Zucker ab, genau darauf reduzieren. Figuren wie auch Aufgaben fühlen sich an, als wäre dies ein MMO. Nummer-Aufgabe holen, 1-X Dinge suchen/bringen/holen/töten, zurück zum Ausgangspunkt. Oh ja, man muss ganz, ganz oft auch noch mal zurück und mit Malrion oder Ardolmol Persönlichkeitslos aus dem Fantasy-Dorf Loth Belanglosingen darüber reden.
Und wisst ihr, was das Komische dabei ist? Warum ich mit diesem Spiel als Kritiker so schwer klarkomme? Ich hatte trotzdem saumäßig viel Spaß dabei und ich will verdammt sein, wenn ich wüsste warum!
Vielleicht ist es der charmante Look der Welt, der mit seinen massiven Ur-WoW-Anleihen einen Nerv trifft: Es ist eine Art unschuldiges, aber ausnahmsweise dabei mal nicht deutsch-kitschiges Fantasy. Dass die Amis gerade völlig auf Amalur stehen, kann ich gut verstehen. Der Comic-Charme dürfte dort mehr ins Schwarze gehen, als das bei uns der Fall ist. Ob ihr das Bunt in allem mögt, dieser an das erste Fable erinnernde Hauch von Fröhlichkeit in einer eigentlich an Dunkelheit nicht geizigen Welt, bleibt euch überlassen. Ich empfand es als erfrischend und jedes neue Gebiet der nicht so großen und vor allem nicht so offenen Spielwelt - nicht mehr, nachdem man ein Elder Scrolls hinter sich hatte - erfreut das Auge. Der Mangel an Innovation im Stil lässt sich jedoch kaum wegdiskutieren. Wenn ich hier diese Vergleiche ziehe, dann meine ich nicht "vage", sondern "Hey, das ist World of Fablecraft!". Erst R.A. Salvatore, jetzt Todd McFarlane. Die Celebrities hätte man sich ein wenig sparen können. So schön der Look von Amalur ist, so sehr ich mich in ihm wohlfühle und ihn als Erfolg einstufe: Bei vorhandenen Größen kopieren hätte sicher auch ein "normaler" Designer geschafft.
Diese Welt ist dabei interessanterweise in ihren Details lebendiger als in allem, was es sonst so gibt. Die Ausgestaltung der Historie über Bücher hinkt der eines Skyrim oder Dragon Age meilenweit hinterher, aber was der Vergangenheit fehlt, holt in Amalur die Gegenwart wieder raus. Ihr kommt zu Räubern oder anderen Schurken und findet, dass diese eine Art Leben zu führen scheinen. Statt einfach nur in Erwartung ihres Schicksals herumzustehen, liegt in ihrem Camp einer schlafend im Zelt, der nächste übt Bogenschießen und ein dritter röstet was auf dem Lagerfeuer. Man kommt sich ja fast als Störenfried vor. Rollenspiel-Helden sind nun mal die übelsten Schlächter, die wahllos eine gewachsene Sozialstruktur nur für die Erfahrungspunkte vernichten und Amalur zeigt euch einen Hauch besagter Struktur. Nicht, dass man sich dabei schlecht fühlen würde. Im Gegenteil.
"Pickt heraus, was ihr können möchtet und macht euer Ding. Zweihänder mit Magie-Backup? Kein Thema. Magier-Assassine? Sicher doch. Schützen-Meister mit schnellen Heil- und Buff-Zaubern? Nicht meins, aber Amalur wird es euch nicht verbieten."
Eine weitere Sache, die Amalur auszeichnet, ist die Entwicklung des Helden und daraus resultierend der Kampf. Dieser scheint erst einmal sehr banal. Eine Taste für Schläge, eine für Fernkampf, dann noch mal umschalten, um einen von vier Zauberslots auszulösen. Das ist nah an Fables Simplifizierung und spielt sich auch genauso flüssig. Nur, dass ihr hier halt sterben könnt, wenn auch nicht zu häufig. Wer eine Herausforderung sucht, sollte gleich auf Hart starten, das ist eigentlich nach einem etwas ruppigen Einstieg - ihr wisst halt noch nicht gleich, wie der Haase läuft - immer noch fast zu einfach. Ihr müsst ein wenig herumprobieren, aber dafür gibt euch das Spiel alle Freiheiten. Es kennt keine Klassen, sondern nur drei Fertigkeitenbäume für Nahkampf, Magie und Stealth, wobei unter Letzteres auch Bögen und andere Fernkampfwaffen fallen. Pickt heraus, was ihr können möchtet und macht euer Ding. Zweihänder mit Magie-Backup? Kein Thema. Magier-Assassine? Sicher doch. Schützen-Meister mit schnellen Heil- und Buff-Zaubern? Nicht meins, aber Amalur wird es euch nicht verbieten.
Ein wenig Experimentieren dabei ist ok und eingeplant. Bei Schicksalsschmieden zahlt ihr ein paar Goldstücke und dürft alles neu verteilen, keine Abzüge. Ohne die Gefahr des Verskillens lässt es sich gleich viel entspannter leben. Aus all dem resultiert, dass sich der Kampf und sein Rhythmus für jeden ein wenig anders anfühlen. Meine bevorzugte Variante war der Legolas. Schwertaffin, aber, sobald die Distanz da war, den Bogen in Sekundenbruchteilen zur Hand. Keine Distanz, auf der mein Held keinen Schaden verursachen könnte. Schilde waren nicht seins, stattdessen mehr wegrollen, feuern, zuschlagen. Seid ihr stationärer, wählt ihr halt den Schild als Möglichkeit, um nicht so viele Treffer einzustecken. Es ist ein großartiges, unglaublich unterhaltsames Kampfsystem mit viel Action, gleichzeitig aber auch vielen taktischen Überlegungen, wie ihr den Ablauf für euch gestalten wollt. Dynamischer als Skyrim, intelligenter als Fable, Witcher 2... Nein, Witcher 2 bietet immer noch das komplexere System mit mehr Möglichkeiten. Aber wenn man sich auf diesem Level als Action-RPG-Neuzugang behaupten kann, macht man sicher was richtig. Eine Warnung übrigens an alle, die Amalur nach der Demo abschreiben: Ich habe in der ersten Stunde den Kampf nicht leiden können. Erst dann fand ich mein Tempo und begann die Möglichkeiten zu schätzen. Gebt ihm ruhig eine zweite Chance, falls es nicht gleich klickt.