RACE Pro
Viele Kompromisse
Mitunter kann einem der Realismus der Realität schon mächtig auf den Keks gehen. Beim morgendlichen Berliner Crash-Action-Drift-Derby zum Beispiel, normalerweise euphemistisch als Berufsverkehr bei Neuschnee betitelt. Derart lebensnahes Fahrverhalten am Limit sollte eigentlich verboten und strikt auf den Bildschirm verbannt werden, wo wir dann in Spielen austesten können, wie es denn so kommt, vor einer 160 Grad Kehre die Kontrolle über den fahrbaren Untersatz zu verlieren. RACE Pro wäre da der perfekte Kandidat.
Seit Jahren schon feilen die Schweden von SimBin an der Perfektion der Traktion in der virtuellen Welt und das auch mit Erfolg, wie die GTR und RACE-Serien belegen. RACE Pro bleibt seinem Familiennamen treu und wenn es ein einziges Alleinstellungsmerkmal dieses Spiels gibt, dann ist es seine Liebe zum Detail in der Verbindung zwischen den vier Reifen und der Piste. Und es kommt dabei ziemlich weit. Schaltet alle Hilfen aus und selbst ein Mini Cooper, das einzige Fahrzeug, für das ich mich fahrtechnisch in der bis zum Koenigsegg steigernden Auswahl verbürgen kann, entpuppt sich als biestig, aber sehr gefühlsecht.
Sofort fühlt Ihr – bevorzugt mit einem Racingwheel – das typische „kartartige“ Fahrverhalten des kleinen Briten, bis zu dem Punkt, an dem Ihr glaubt, die Anspannung der Karosse zu spüren, während Ihr versucht, ihn trotz der gegenwirkenden Physik noch um die Kurve zu zwingen.
RACE Pro verzichtet auf dem höchsten Level auf jede Balance zwischen Spielbarkeit und Wirklichkeit, setzt mit Erfolg komplett auf Real und lässt Euch in einem sehr langen Lernprozess leiden, sofern Ihr nicht sowieso schon Meister des Rennfachs seid. Gehört Ihr nicht in diese Gruppe, gönnt Euch das Spiel die üblichen Hilfsmittel.
Eine Linie auf der Fahrbahn warnt Euch vor zu hohen Geschwindigkeiten. Traktionskontrollen, ABS-Systeme und ein weit gutmütigeres Fahrverhalten lassen Euch auf der Bahn praktisch ungestört Eure Runden ziehen. Nur entgeht Euch hier der eigentliche Witz dieses Spiels. RACE Pro treibt die wilden Blüten ungezügelten Realismus aber nicht nur beim Fahren selbst, sondern ebenso bei den Einstellungen. Persönlich war ich komplett überfordert, als eine geschätzt 80 Punkte lange Liste vor mir aufpoppte, in der ich Anpassungen im Bereich von 0-20 Klicks an Teilen eines Autos, von denen ich noch nie etwas hörte, tätigen konnte. Und diese Liste deckt nur das Fahrwerk ab. Da, wo die herkommt, gibt’s noch mehr davon.
Die Einstellungen, die sich für mich als Nicht-Konstrukteur einschätzen ließen, transportierte das Spiel sauber, differenziert und merklich in das Fahrgefühl. Experten und Tüftler werden hier mit einer erschlagenden Detailfülle dafür entschädigt, dass sie aus den insgesamt etwa 50 Autos nichts ausbauen dürfen. Neue Teile gibt es nicht. Auch keine Autos zum Kaufen. Und damit geht es zu dem Teil, der jenseits des Fahrverhaltes bei RACE Pro nicht so ganz überzeugen kann. Er lässt sich kurz mit „fast alles andere“ zusammenfassen.
In lieblosen Menüs klickt Ihr Euch in einen Arcade-Modus, den Ihr genau wie den Multiplayer oder den Timeattack gleich wieder verlassen könnt. Zuerst heißt es nämlich, in der Karriere wenigstens ein paar Autos freizuschalten. Dieser Modus lockt mit zu erfahrenden Credits. Aber statt diese für interessante Dinge wie Fahrzeuge und Teile auszugeben, kauft Ihr Euch in einer Rennklasse in ein Team ein und nehmt deren Auto, so wie es ist. Mit anderen Worten: Ihr fahrt brav in den freien Klassen, bis Ihr genug Punkte habt, um die nächste auszuwählen. Ein motivierendes, monetäres Spielgerüst sieht anders aus.