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Neverwinter Nights 2

Die Rückkehr des Rollenspiels

Reden wir mal ein wenig über Begeisterung und Faszination. Der Duden definiert ersteres als »Zustand freudiger Erregung und leidenschaftlichen Eifers« und Faszination als »anziehende, fesselnde Wirkung; bezaubernde Ausstrahlung«. Ich vermute mal, das die Autoren der Duden-Redaktion bei Ihrer Beschreibung noch nicht Neverwinter Nights 2 gespielt hatten. Aber trotzdem treffen beide Beschreibungen auf Obsidians Rollenspiel zu als wären sie dafür geschaffen worden. Ich habe selten derart begeistert und fasziniert vor dem Monitor gesessen, Zeit und Raum vergessen... und natürlich auch den vereinbarten Abgabetermin dieses Artikels. Aber die Story, das Szenario und die fantastisch ausgearbeiteten Charaktere dieses Luxus-Rollenspiels haben mich gefangen und nicht wieder losgelassen. Deshalb eine Warnung vorab: Wer hier weiter liest, läuft Gefahr, sich auch für Neverwinter Nights 2 zu begeistern. Und sobald er es spielt, der Faszination zu erliegen... Eurogamer hat Euch auf jeden Fall gewarnt. Für die Folgen seid Ihr selbst verantwortlich.

Im Tutorial kann unserer Heldin nichts passieren. Der Angriff steht aber kurz bevor.

Die Schwertküste und deren angrenzende Gebiete in den Vergessenen Reichen mussten schon des Öfteren als Schauplatz für Rollenspiele herhalten. Zumindest dann, wenn Sie dem Dungeons-&-Dragons-Szenario (kurz D&D) entsprungen sind. Beide Teile von Baldur's Gate und Icewind Dale spielten hier in der Nähe. An einem zentralen Punkt liegt die Stadt Niewinter. Dorthin verschlug es einen Heldentrupp im ersten Teil von Neverwinter Nights. Und dorthin kehrt Ihr nun zurück. Allerdings als ein brandneuer Held, eigentlich noch ein Jüngelchen (oder Mädchen). Im Dörfchen Westhafen weiß man kaum etwas über den Krieg, den Niewinter gegen die Nachbarn aus Luskan führt. Beschaulich geht das Leben seinen Gang und beschaulich beginnt auch Neverwinter Nights 2. Nämlich mit einem Tutorial, das als Erntedankfest getarnt ist. In dessen Verlauf erlernt der jugendliche Held (in unserem Fall eine Heldin, die wir Steffi Sturm genannt haben) den Umgang mit Waffen, wie man Schlösser knackt und Levelaufstiege meistert. Und dann passiert es: Das Dorf wird überfallen, Steffi muss fliehen. Doch zuvor gilt es noch ein geheimnisvolles Artefakt zu bergen und dann auf Teufel komm raus Niewinter erreichen, wo ein geheimnisvoller Onkel ihr weiterhelfen soll. Ab dann geht es Schlag auf Schlag. Die Flucht bleibt natürlich nicht lange geheim, Feinde lauern überall. Und ehe sie sich versieht, hat Steffi jede Menge neue Quests und Probleme an der Backe.

Profis am Werk

So spannend wie sich das bis hierher liest, so spannend spielt es sich auch. Das Obsidian-Team besteht aus erfahrenen Designern, die schon an Klassikern wie Planescape Torment, Baldur's Gate und auch an beiden Teilen von Knights of the Old Republic beteiligt waren. Und all diese Spiele zeichneten sich durch eine extrem starke Story aus. Dabei schafften es die Entwickler stets auch die Charaktere fein auszuarbeiten und in die Handlung einzubeziehen. Wer erinnert sich noch an den fiesen Totenschädel Mort aus Planescape Torment? Dessen bissige Kommentare waren für so manchen Lacher gut. Deshalb verwundert es kaum, das auch Neverwinter Nights 2 mit einem Ensemble an Gut- und Bösewichten ausgestattet ist, das glatt für zwei Spiele reichen würde.

Jeder Charakter besitzt seine eigene Story und verhält sich entsprechend der Herkunft und Gesinnung.

Da sind zum einen die Guten, die ganz so gut nun auch wieder nicht sind. Zwerg Khelgar etwa ist ein ruppiger Gesell, will aber unbedingt Mönch werden. Doch dazu muss er erst Toleranz und Geduld lernen. Und für einen Zwerg ist das ein hartes Stück Arbeit. Nicht viel besser ergeht es der vorlauten Magierin Qara. Die Gute ist frisch von der Zauberakademie geflogen, weil sie mit einem Spruch ein Gebäude abgefackelt hat. Diebin Neeshka scheint dagegen völlig harmlos. Bis herauskommt, das sie in der Stadt von einem fiesen Konkurrenten verfolgt wird. Magier Sand ist extrem eingebildet und verbirgt ein dunkles Geheimnis. Auch untereinander sind sich die Herrschaften alles andere als grün. Sie zanken und keifen, das die Fetzen fliegen. Allerdings wird das nie langweilig, da die Unterhaltungen variieren – je nachdem, wen man in seiner Gruppe hat. Insgesamt zwölf Begleiter findet man, von denen sich maximal drei auf einmal mitnehmen lassen. Ab und an wächst die Gruppe auf fünf Mitglieder an. Dieser Charakter wird aber vom Programm zugeteilt.

Auch die Bösewichter sind nicht von schlechten Eltern. Etwa die Anführerin der Githyanki (einer vermeintlich bösen Rasse), die Euch im Sterben noch ein furchtbares Geheimnis anvertraut. Oder die genauso schöne, wie boshafte Botschafterin aus Luskan. Die daneben noch ihr ganz eigenes Süppchen kocht. Meister Garius, der sich für den wahren Bösewicht hält, und den Fürst der Schatten, der das tatsächlich auch ist.

Beim Aufleveln hilft eine Automatikfunktion Einsteigern dabei, die richtige Wahl zu treffen.

Neverwinter Nights 2 basiert auf dem D&D-Regelwerk in der Version 3,5. Das bedeutet, das man seinen eigenen Helden aus 16 Rassen und zwölf Klassen zusammenbastelt. Dazu gibt es Dutzende Fähigkeiten und Talente, die den komplexen Dungeons-&-Dragons-Vorgaben folgen. Neben den üblichen Werten wie Stärke, Charisma und Weisheit, gibt es auch Besonderheiten. Beispielsweise die Sagenkunde. Wer in diesem Gebiet besonders geübt ist, kann zum Beispiel Gegenstände schon durch Anschauen identifizieren. Alle anderen müssen bei einem Händler 100 Goldstücke dafür bezahlen oder Magie einsetzen. Wer den Einschüchtern-Skill pflegt, kann ab und an Kämpfe durch eine bedrohliche Haltung verhindern. Wieder andere schulen die Diplomatie und vermeiden so Konflikte. Falls möglich tauchen diese Varianten in den zahlreichen Multiple-Choice-Gesprächen auf, die man immer wieder führt. Wem das alles zu viel wird, kann auf die Automatikfunktion zurückgreifen. Darüber levelt man Helden auf, ohne sich ums Regelwerk kümmern zu müssen.