Ride to Hell
Just riding
Ich war einfach damals zu jung, um zu wissen, was ich da gerade sah und warum es für eine ganze Generation wichtig war. Easy Rider erschien mir seltsam, langweilig und was das Ganze sollte und verkörperte, war mir völlig schleierhaft. Heute sehe ich die Welt etwas bewusster und damit auch, dass - selbst wenn ich keinen Motoradführerschein habe – der Kauf einer Harley Davidson nicht nur der Kauf eines Motorrades ist. Man bezahlt viel Geld für ein Stückchen einer Welt, die es nur sehr kurz und sehr scheinbar wirklich gab, aber die seitdem in vielen Köpfen eine eigene Zeitblase bildete. Was Harley Davidson übrigens zu einer sehr reichen Firma machte.
Ich nehme an, dass es spielt keine Rolle spielt, dass man einfach nur den Weg zur Arbeit durch den morgendlichen Stop´n´Go der Großstadt erkämpft, um zu seinem Bürojob zu kommen. Auf der Harley sitzend schwingt ein wenig ein Lebensgefühl der 60er, von absoluter Freiheit in allen Belangen und der endlosen Weite Amerikas in einer einfacheren und wilderen Zeit mit. Unabhängig davon, dass nicht mal Ende der 60er dieses Bild wirklich passte, wie uns eben Easy Rider so eindrucksvoll zeigt.
Ride to Hell geht natürlich über die Motive von freie Liebe, freier Geist und frei Fahrt hinaus und bleibt gleichzeitig dahinter zurück. Und zwar insoweit, dass Ihr im virtuellen Amerika letztlich genau das findet, was Fonda und Hopper vergeblich suchten.
Ihr schlüpft in die Rolle Rays, der das typisch amerikanische Trauma der Zeit zu verarbeiten hat oder zumindest das, was man sich darunter vorstellt, wenn man einen Kontinent weiter wohnt und zu jung ist, um die Zeit miterlebt zu haben. Ray war in vietnamesischer Kriegsgefangenschaft und die Rückkehr nach sieben Jahren fällt ihm nicht leicht. Es ist ein anderes Land als das, welches er verließ, die kulturelle Gegenbewegung befindet sich in voller Fahrt.
Die sexuelle Revolution, friedliche, aber auch aggressive Friedens-, Bürgerrechts-, Frauenrechts- und Untergrundbewegungen und vieles mehr brodelt in einem Kessel, der das Land in wenigen Jahren umkrempelt. Und dann ist da natürlich die Musik der späten 60er. Jimmy Hendrix, Bob Dylan, Led Zeppelin und vieles, was Amerika heute noch als sein höchstes Kulturgut schätzt. Ray fühlt sich in dieser neuen Zeit zunächst verloren und er schließt sich der Motorradgang „Devil´s Hand“ an. Hier findet er nicht nur Halt, sondern auch einen Karriereweg, während Ihr durch das Spiel hindurch ihn zum Anführer der Gang aufsteigen lasst. Womit auch schon der Plot in seinen Grundzügen erklärt wäre.
Ein kurzer Blick auf das Spiel reicht, um die Herkunft der Köpfe des Entwicklers Deep Silver Vienna zu erraten. Es riecht schwer nach GTA und nicht von ungefähr. Die Truppe rekrutiert sich aus einem großen Teil der in 2006 vor die Tür gesetzten Belegschaft von Rockstar Vienna, und die Arbeit an den Xbox-Versionen von GTA scheint Spuren hinterlassen zu haben.
Ride to Hell wird ein durch und durch klassisches Sandkastenspiel, das Euch im Kalifornien der End-60er aussetzt und Euch schon zu Beginn sehr viele Freiheiten gibt, ohne zur Erfüllung vieler der insgesamt wohl recht zahlreichen Missionen zu verpflichten. Sollte Euch also in erster Linie der Sinn danach stehen, einfach auf Eurem Hog die Gegend unsicher zu machen, steht dem nichts im Wege.
Wer strukturierter vorgeht, wird schnell mit allen Gründen konfrontiert, die dem Game ein 16er Rating als absolutes Minimum einbringen werden. Die Eroberung neuer Territorien durch die Gang und die Übernahme von Geschäftszweigen zeigen sich zwar nicht ganz so rabiat wie das heutige Tagesgeschäft der Hells Angels, aber Konfliktpotential mit Gesetz und Moral ist mehr als genug vorhanden. Letzteres spätestens dann, wenn Ray mit seiner Freundin – oder Freund, Freie Liebe, Baby! – einige der eigentlich zu liefernden Wunderpilze selbst testen, durch ein buntes, waberndes Wunderland wanken und lauschige Plätzen suchen. Make love not war. Und, wie sollte es im Sandkasten anders sein, warten zwischen Story und Nichtstun jede Menge Nebenmissionen in Form von Bikerennen, Fotoshootings mit Pornostars – ja, so was gab's auch in den 60er schon -, Drogenlieferungen und ähnliches auf Euch.