Sacred 2: Fallen Angel
Zwischen gut und böse
Mein erster Lauf durch eine einzelne der Sacred 2-Kampagnen dauerte ungefähr 13 Stunden. Aber das war kein Spielen im eigentlichen Sinne, es war ein brutales Durchpowern ohne Pausen, Nebenquesten und Extras. Ich sah dabei eine Vielzahl von Monstern und Orten nur im Vorbeirennen. Fantasy im Turbo-Jet Set.
Legt Ihr dagegen ein sinnvolles Tempo an den Tag, das Tempo eines Reisenden, der die Reise als das Ziel begreift und so spielt, wie es sein sollte, braucht Ihr grob geschätzt 25 bis 30 Stunden. Für eine Kampagne. Mit nur einem Helden aus einer der sechs sehr unterschiedlichen Klassen. Jeder mit seiner eigenen kleinen Abwandlung der Geschichte und eigenem coolen Reittier. Bis Ihr den letzten Helden gespielt, die letzte der nicht weniger als 700 Nebenquesten gelöst und die letzte Ecke erkundet habt, dürften etwa 300 Stunden vergehen. Ein Spiel praktisch fürs Leben muss doch eine gute Sache sein. Oder etwa nicht?
Dummerweise kapituliert Sacred 2s Handlung schon lange vor Ablauf dieser Zeit. Nach sieben, vielleicht acht Stunden ist die Luft aus dem simplen Fantasy-Abziehbilder-Plot längst raus, unabhängig davon, für welche Kampagne Ihr Euch entschieden habt. Alles was danach folgt, ist die komplexe Physik der Dehnung eines zu kurzen Kaugummis ins Unendliche.
Am schmerzhaftesten wird dabei ein echter Kontrahent, eine persönliche Nemesis, vermisst. Es reduziert sich auf eine Aneinanderreihung einzelner Typen, die Euch mit ihren Problemchen nerven, bis Ihr schon längst vergessen habt, dass da mal irgendwann ein echter Grund für die Reise war.
Ein anständig aufgebauter Widersacher kann selbst eine simple Hetzjagd über den Kontinent reizvoll gestalten, indem er Euch erst persönlich verletzt, dann wieder und wieder herausfordert, reizt, und sich schließlich in einem denkwürdigen Showdown stellt. Sacreds Boss-Kämpfe sind gut, nur halt kein Ersatz für die Abwesenheit solch persönlicher Animositäten.
Einige von Euch werden jetzt sicher – und nicht ganz zu Unrecht – sagen, dass die Story in einem Hack´n´Slay ruhig mal belanglos sein darf. Im Falle von beispielsweise Diablo würde ich Euch da auch sofort recht geben. In Sacred 2 stehen jedoch andere Werte im Vordergrund. Ein Spiel, das Euch über Dutzende von Stunden durch verschiedene Kampagnen schickt und dies dermaßen betont, darf Dramaturgie und Storytelling nicht als optional behandeln. Und die Welt von Ancaria ist auch schlicht zu groß und zu schön, um zu verzeihen, dass in ihr nicht das große Epos zur Entfaltung kommt.
Dabei lässt sich auf den ersten Blick die Herkunft aus dem großen Fantasy-Bestellkatalog der wunderbaren Klischees nicht leugnen. In der Mitte haben wir einen Landstrich gemäßigten Klimas mit Wäldern, Wissen und mittelalterlichen Städten. Die Elfen wohnen links davon, die Orks hinter den Bergen und die Nomaden in der Wüste. Ein Dschungel und eine Stein-Lava-Ödnis wurden nicht vergessen, nur die Eiswüste schaffte den Cut nicht. Eine Best-of-Ansammlung bekannter Zutaten also.
Na und? Wenn man es richtig macht, dann können auch Klischees begeistern, und jedem Fan traditioneller Fantasy sollte es bei der liebevollen Ausgestaltung von Ancaria warm ums Herz werden. Ascaron hat hier ein glückliches Händchen bewiesen und zeichnet eine Spielwiese, die perfekt den Anspruch gehobener Proto-Fantasy erfüllt. Großzügige Stadtanlagen verschiedener Richtungen, kleine Debatten zwischen den Bewohnern, dichte Vegetation, abgestimmte Soundtrackpassagen. Mit großem Erfolg wird das Bild einer lebendigen Welt gezeichnet.
Am weitesten strecken sich natürlich die monsterverseuchten Ebenen, die der Welt zwischen den Städten Raum verleihen. Man traf genau die richtige Größe zwischen der Gefahr, sich ständig zu verlaufen, und einer Murkeligkeit, die einfach nur unglaubwürdig wäre. So viel Größe lässt Raum für die kleinen Problemchen der Bevölkerung und wie schon eingangs erwähnt, sind es stolze 700 Nebenquesten, die ihrer Lösung harren.
Für wie viele Ihr Euch davon überhaupt begeistern könnt, hängt nicht zuletzt von Eurer Fähigkeit zu ignorieren ab, dass sie spielerisch den einzigen Weg gehen, den das Genre des Hack´n´Slay scheinbar zulässt. „Hallo, ich bin bedeutungsloser NPC 1, und mir wurde Kuh X, Geliebte Y, Erbstück Z gestohlen. Deshalb muss ich selber zu Platz 2 und brauche Deinen Schutz. Oder Du musst zu Platz 3 und besagtes Objekt dann an Ort 4 abliefern. Danke.“