Splinter Cell: Double Agent
Es tut gut, böse zu sein.
Gute KI = realistische KI? Ich glaube nicht. Splinter Cell 4 ist der beste Beweis dafür. Die KI funktioniert dem Gameplay entsprechend hervorragend, aber sie ist nicht realistisch. Bei mehr als nur einer Gelegenheit rückte ich Feinden am helllichten Tag ziemlich forsch auf die Pelle, ohne bemerkt zu werden. Ist das schlecht? Nein, denn es dient der Spielmechanik. Hat man die Regeln des „Entdeckt werden oder nicht-Prinzips“ erstmal verinnerlicht, funktioniert alles ganz wunderbar. Es gibt keine Leiste mehr auf dem Screen, die über euren „Sichtbarkeits-Status“ Auskunft gibt. Ein kleines Licht auf Sams Körper übernimmt jetzt diese Aufgabe. Leuchtet es grün, ist alles in Butter. Leuchtet es gelb, wird's brenzlig. Und wenn das Ding rot blinkt, ist die Kacke am Dampfen.
In Double Agent weiß man sehr schnell, was erlaubt ist und was nicht. Einen kompletten Abschnitt absolvieren, ohne gesehen zu werden? In Teil 4 ist das eher machbar als in vergangenen Episoden, wo man manchmal ohne ersichtlichen Grund entdeckt wurde. Wenn wir schon mal bei alten Sünden sind, will ich auf zwei weitere Punkte eingehen, die ich an der Serie gehasst habe: Da wären die öden 08/15-Storys vergangener Abenteuer. Und immer nur in der Dunkelheit daher zu schleichen, macht auf Dauer depressiv. Was bringt die tollste Grafik, wenn man nichts von all der Pracht sieht?
Gott hat uns lieb, denn Ubisoft löscht beide Mankos mit Teil 4 regelrecht aus. Die Story an sich ist gar nicht mal so der Bringer, aber da Ihr deren Verlauf beeinflussen könnt, wird’s umso spannender. Sogar unterschiedliche Endsequenzen warten auf Euch. Am glücklichsten bin ich aber über die Tatsache, dass Sam nicht mehr ständig im Dunkeln tappt. Genau genommen, habe ich das Nachtsichtgerät im gesamten Spiel nur ein oder zwei mal benutzt.
Who's bad?
Das erfolgreiche Grundgerüst blieb bestehen. In der Rolle des NSA-Superagenten schleicht, schlitzt, ballert, klettert und turnt Ihr durch grafisch beeindruckende und vor allem abwechslungsreiche Levels. Mal latscht Ihr durch eine Raketenabschussbasis, schleicht durch ein Luxus-Kreuzfahrtschiff, macht Feinden in eisigem Winterambiente den Garaus, turnt auf Hochhäusern in Shanghai herum oder findet Euch inmitten eines Bürgerkriegs im Kongo wieder. Das Aktionsrepertoire wurde dabei deutlich erweitert. Wer hätte jemals gedacht, dass man als Sam Fisher irgendwann mal einen Helikopter steuern oder einen Fallschirmsprung absolvieren muss? Diese Ausnahme-Events haben eher Minigame-Charakter, bringen aber trotzdem Abwechslung ins Spiel. Sams Tauchfähigkeit ist ebenfalls neu und kommt etwas öfter zum Einsatz - wenn Ihr zum Beispiel unter dicken Eisschollen auf unachtsame Feinde lauert. Loch ins Eis schneiden - Gegner grabschen - Seebestattung durchführen. Das macht Spaß und sieht gut aus. Vor allem die Licht und Schatten-Spielereien machen wieder einiges her und von Texturen aus dem Himmel kriegt man ja auch nie genug. In manchen Levels wirkt dafür der HDR-Einsatz übertrieben. Der ausgiebige Gebrauch des Lasst-uns-die-Spieler-mit-Sonnenstrahlen-blenden-Effekts scheint heutzutage ja voll im Trend zu liegen.
Früher war Sam Fisher ein eher eindimensionaler Charakter. Ein bärbeißiger Konservativer mit der Lizenz zum Töten. Er hat aber noch weitaus dunklere Seiten und die lernt Ihr jetzt kennen. Nachdem erst sein Partner und dann auch noch seine Tochter fachgerecht die Löffel abgeben, stürzt Onkel Sam ab und meldet sich für den gefährlichsten Einsatz seiner Laufbahn. Im Knast soll er mit einem Terroristen anbandeln, diesem zur Flucht verhelfen und so selber zu einem Mitglied der kriminellen Vereinigung JBA (John Brown's Army) werden. Das Spiel gerät zum Drahtseilakt, denn fortan müsst Ihr nicht nur die NSA (Regierung), sondern auch die JBA (Terroristen) zufrieden stellen. Das wird durch eine „Vertrauens-Anzeige“ visualisiert. Ein Balken steht für die JBA und der andere für die NSA. Tötet Ihr zum Beispiel einen Unschuldigen, sinkt das Vertrauen der Regierung. Dafür steigt Ihr dann in der Gunst der Terroristen. Sinkt eine der Anzeigen auf Null, ist das Spiel aus. Die Kunst ist, beide Lager einigermaßen bei Laune zu halten..
In der Regel stellt der „böse“ Weg die einfachere Variante dar. Beispiel: In Mexiko befindet Ihr euch auf einem Schiff und sollt eine Bombe platzieren. Das ist leicht und macht die Bösen happy. Um auch die NSA zu befriedigen, gilt es aber noch an der Sprengladung herum zu fummeln, bevor Ihr von Bord geht. Um das moralische Dilemma auf die Spitze zu treiben integrierte Ubisoft einige besonders heftige Szenen. Da drückt man Euch zum Beispiel eine Knarre in die Hand. Als Vertrauensbeweis sollt Ihr einen an die Wand geketteten Typen erschießen. Sein Leben liegt in Euren Händen. Ich hab übrigens abgedrückt.
Das ist euch nicht subtil genug? Ich hab noch was. Im Terroristenlager sitzt eine optisch ansprechende Dame namens Enrica. Ich schleiche mich eines Nachts in ihr Zimmer, um nach Infos zu suchen. Dabei erwischt sie mich. Statt mich zu verpfeifen, legt sie mit mir den Bumsinger-Shuffle aufs Parkett. Enricas sexuelle Hingabe soll natürlich nicht unbelohnt bleiben. Also klaue ich ihren Zugangs-Code. Warum? Weil sich damit eine in Kürze stattfindende Bombendetonation verhindern lässt! Als es soweit ist, sind die Terroristen über das vermasselte Feuerwerk nicht gerade glücklich und suchen einen Schuldigen. Ich schiebe natürlich alles Enrica in die Schuhe, worauf sie vor meinen Augen exekutiert wird. Im echten Leben wird man One-Night-Stands nicht so schnell los. Was Euch jetzt wie eine ganz miese Tour vorkommt, geschah zum Wohle der Menschheit. Ich habe verhindert, dass die Bombe hochgeht und nur das zählt. Sicherlich hätte ich das auch auf anderem Wege erreicht, aber das wäre nicht halb so spaßig gewesen.
Quartiere vor der Kamera
Zwischen den Einsätzen findet Ihr Euch immer im JBA-Hauptquartier wieder. Dort müsst Ihr dann etwa einen Trainings-Parcours absolvieren, am Schießstand üben, Safes knacken, Minen zusammenbauen, Emails entschlüsseln und so weiter. Einiges davon wird in Form einfacher Minispiele präsentiert. So erinnert das Entschlüsseln von Emails irgendwie an japanische Sudoku-Rätsel. Viel wichtiger ist jedoch, dass Ihr in der Höhle des Löwen ordentlich Informationen für die NSA sammeln könnt. Dass Ihr dabei höllisch aufpassen müsst, versteht sich von selbst. Mit der Zeit stehen Euch zwar immer mehr Abschnitte des Gebäudes offen, doch meist erreicht Ihr kritische Daten nur durch das Eindringen in verbotene Bereiche. Während es noch recht einfach ist, eine Wanze an der Sendeanlage auf dem Dach zu platzieren, stellt sich das Kopieren wichtiger Blaupausen als ziemlich knifflig heraus. Die Dinger befinden sich nämlich in einem Safe, der wiederum im Büro des ranghöheren Emile steht. Ihr müsst also erst mal herausfinden, wie Ihr unentdeckt in das Büro gelangt. Habt Ihr es unauffällig dorthin geschafft, gilt es den Tresor zu knacken. Ziemlich nervenaufreibend, wenn der Besitzer auch noch wenige Meter entfernt auf dem Balkon steht. Im JBA-Hauptquartier werden Eure Stealthskills wirklich auf eine harte Probe gestellt. Zu schwer? Nein. Fordernd? Ja.