Silverfall
Wer will an meinem Kuchen knabbern?
Ungeachtet der Gefahr, dass in den nächsten Minuten sämtliche Chauvinisten aus ihren dunklen Löchern kriechen, ihre sabbernden Lefzen zu einem hämischen Grinsen verziehen und die Finger in die Tasten schwingen, um irgendwelche blöden Sprüche abzulassen, will ich heute mal etwas – wie diese Trottel meist sagen - „typisch weibliches“ machen. Ich werde mit Euch einen Kuchen backen. Lacht nur, aber mir ist gestern eine äußerst interessante, wenn auch gleichzeitig sehr abstruse These eingefallen: Jeder, der gut kochen (oder backen) kann, weiß, welche wichtigen Bestandteile ein Spiel enthalten muss, damit es Spaß macht.
Ist im Grunde ja eigentlich logisch, oder? Zutaten – Bestandteile – schmecken – Spaß machen. Ich möchte zwar nicht darauf wetten, dass Brutzelmeister Alfons Schuhbeck ein Casual-Spielchen von einem Triple-A-Titel zu unterscheiden weiß, oder gar meine kulinarischen Experimente jedem munden, aber ich bin eindeutig der lebende Beweis, dass es da irgendeine Verbindung geben muss. Und weil das jetzt niemand widerlegen kann (wehe...) und ich so langsam zum Thema kommen sollte, mach ich es kurz: Ich kombiniere einfach die Backkunst mit Silverfall und Ihr dürft anhand der einzelnen Zutaten entscheiden, ob dieser Action-RPG-Kuchen aufgeht oder der Teig nur für ein Blech Plätzchen reicht.
Die Backmischung:
1. 360 g gut inszenierte Story
2. 75 g ausgewogene Klassen
3. 2 Pfund Charakterentwicklung
4. 500 ml besondere Gegenstände
5. 1 Päckchen Gameplay mit Wiederspielwert
6. Eine Priese Extras
7. 1 TL ansprechende Gesamtpräsentation
8. 3 Stück gelungener Mehrspielermodus
1. Gut inszenierte Story
Das mit der Story ist in einem Action-RPG ist immer so eine Sache. Gehört man zur Gattung Jäger und Sammler - so wie ich - juckt es einen herzlich wenig, ob nun ein böser Dämon durchdreht und mal eben eine Stadt samt Einwohner frühstückt. Hauptsache man darf schnell ins Feld und eifrig Erfahrungspunkte und dicke Gegenstände grabschen. Für all jene, die hingegen den roten Faden durchaus zu schätzen wissen: Ja, er ist vorhanden, mit teils harschen Dialogen, allerlei Ingame-Sequenzen und tragischen Story-Wendungen. Die Spielgeschichte lauert einem allerdings nicht an jeder Ecke auf und dreht sich überwiegend um ein altbekanntes Thema – die Vernichtung eines Dämons. Da jedoch ein Konflikt zwischen technischem Fortschritt und Naturverbundenheit entflammt, Euch facettenreiche Gefährten begleiten und Ihr außerdem einige Aufgaben auf zweierlei Arten lösen könnt, wirkt das Drumherum spürbar frischer. Kurzum: Es erwartet Euch keine dramaturgische Erzählung á la Neverwinter Nights. Eher eine Art modernes Diablo 2 mit mehr Text, aber ohne die Render-Filme.
Witziger Einfall: Habt Ihr Euch aus den vier Rassen – Mensch, Troll, Elf, Goblin – ein Alter-Ego geschnitzt, geht alles Knall auf Fall. Anstatt wie üblich mit Eurem Recken durch die erste Steppe zu latschen, flieht dieser ohne Euch in die Sümpfe und Ihr bekleidet plötzlich das Amt des Erzmagiers von Silverfall. Das spielbare Intro, in dem Ihr die Höllenbrut und den Dämonen Zruul mit Blitzen, Feuerregen und Eissprüchen malträtiert, ist gleichzeitig ein Tutorial. Solch ein Einstieg mag sicherlich die ersten Minuten für Verwirrung sorgen, ist meines Erachtens aber weitaus lebendiger als die dröge „Ich nehm dich an die Hand und zeig dir sachte die Welt“-Nummer. Wer nicht drauf steht, kann die Show in den Optionen aus dem Programm klicken.
2. Ausgewogene Klassen
So richtig feste Klassen gibt es bei Silverfall eigentlich nicht. Oder besser gesagt: Sie sind vorhanden, wenn man stur eine der fünf Hauptausrichtung verfolgt. Was wiederum praktisch gesehen nicht zu empfehlen ist, da Ihr mitunter auf Fähigkeiten verzichtet, die mehr Effizienz und vor allem Abwechslung ins Geklicke bringen. Im Grunde also die Dark Messiah of Might & Magic-Schiene – mehr Mischmasch, mehr Spielspaß. Jede der vier Rassen darf in den selben zwei Oberbereichen mit je drei separaten Skilltrees wüten, deren Fertigkeiten teils vom Level abhängen, teils aufeinander aufbauen und teils beides kombinieren. Bei den Kampfpfaden sind das Nah- und Fernkampftalente sowie sonstige Techniken. Beispielsweise höhere Chance auf magische Gegenstände, verbesserter Rüstungsschutz und schnellere Fortbewegung. Im Zaubersektor locken hingegen Schatten- (Zombie erschaffen, Verfluchen, etc.) und Lichtkünste (Heilung, Wiedergeburt, etc.) und elementare Schadenssprüche (Eis, Blitz, Feuer). Erreicht Ihr die fünfte Stufe, schaltet sich die erste von fünf Rasse bedingten Fähigkeiten im dritten Bereich frei.
Rechnen wir jetzt einmal zusammen: Insgesamt gibt es 100 Fertigkeiten (plus jeweils 10 in Natur und Technik), eine Fertigkeit ist mit 10 Skillpunkten maximiert, pro Level sackt Ihr 4 Punkte ein und die höchste Charakterstufe endet mit 80. Das wären über den Daumen gepeilt 31 komplett ausgebaute und einige angeschnittene Fertigkeiten, mit denen Ihr Euch durch die Welt Nelwe hext, heilt, schnetzelt und schießt. Sehr praktisch: Wer im Nachhinein lieber doch dieses statt jenes nehmen möchte, setzt die vergebenen Punkte gegen Bares beim Talentsucher zurück.
Und nun zu einer wichtigen Frage: Funktioniert ein Heiler überhaupt im Singleplayer? Überraschenderweise sogar ausgesprochen gut. Einfach die Gefährten ausschließlich auf Angriff stellen (dazu mehr im Abschnitt „Extras“) und hin und wieder deren Lebensanzeige auffüllen. Beißt einer trotzdem ins Gras, besitzt Ihr ja den Spruch „Wiedergeburt“.
3. Charakterentwicklung
Sehen wir der Wahrheit mal ins Auge: In den meisten Genre-Vertretern ist so etwas wie eine Charakterentwicklung gar nicht vorhanden. Schwung Erfahrung sammeln, aufleveln, klassenspezifische Fertigkeit wählen, fertig – ein steter Kreislauf, mit dem man nach und nach die Stärken seines Charakters ausbaut, die Entwicklungswege aber nicht eigenhändig beeinflusst. Monte Cristo zeigt sich ungewohnt kreativ und mischt diesem Aspekt eine Portion Knights of the Old Republic bei. Mehr noch: Die Franzosen bauen das Gut-und-Böse-System weiter aus. Anstelle von Niedertracht gegen Lieblichkeit treten hier allerdings der technische Fortschritt und die Naturverbundenheit in den Ring. Arcanum lässt ebenfalls grüßen.
Neben dem üblichen Punkteverteilen auf die Statuswerte (Stärke, Intelligenz, Ausdauer, Geschicklichkeit) und den Spezialisierungen, müsst Ihr folglich entscheiden, welcher Seite Ihr unter die Arme greift.. Helft Ihr beispielsweise einem Goblin dabei, einen Überfall auf seine geliebte Maschinerie zu verübeln, neigt sich der „Technik vs. Natur“-Balken zu Gunsten der Modernität. Verjagt Ihr hingegen eine Bande übereifriger Jäger aus dem Wald, winkt die entgegengesetzte Richtung. Je mehr Nebenquests Ihr für eine Seite ausführt, umso mehr Rüstungsgegenstände und Waffen dürft Ihr aus diesem Bereich tragen. Und umso mehr Talente schalten sich frei. Unter anderem ein mechanischer Helfer, der für Euch in den Kampf springt oder der Lykantrophie-Spruch, bei dem Ihr kurzzeitig als wilder Werwolf durch die Pampa tobt.
Das Besondere an der Sache: Ihr gestaltet durch Euer Vorgehen gleichzeitig den Wiederaufbau der zuvor zerstörten Stadt Silverfall. Erledigt Ihr also vorwiegend die Aufträge der Wissenschaftsanhänger, durchziehen plötzlich Rohre und Schienen die Pflastersteine, Zahnräder drehen sich eifrig um ihre Achsen und der schwarze Rauch der Fabriken kleidet die Stadt in einen düsteren Umhang. Ist jedoch die Natur Euer Steckenpferd, sprießen Dutzende Bäume aus dem Boden, der Ort wirkt strahlender, erinnert an eine Elfensiedlung.
Das nicht so Schöne an der Sache: Die ganze „Technik vs. Natur“-Thematik besitzt leider einen kleinen Haken. Sobald Ihr erst einmal ordentlich für eine Seite hamstert, macht sich die andere Fraktion ausgesprochen rar. Gewisse NPCs verweigern schlichtweg die Kommunikation und rücken keine Aufträge raus. Es ist also nicht möglich, im späteren Verlauf seine Meinung zu ändern und von einem 50% Technik wieder zur Natur zu wechseln. Kleiner Rat: Immer fleißig die Gesprächsaufzeichnungen im Questbuch lesen und nicht wie ich einfach drauf los preschen. Das erspart eine Menge Frust.