Half-Life 2: Episode 2
Das Gesetz der Serie
Die Zeiten haben sich geändert: Noch vor 20 Jahren waren Fernsehserien oft billige Konservenware, die als Abstellgleis für abgehalfterte Schauspieler dienten. Inzwischen haben sie rein erzählerisch das Hollywood-Kino überholt. Ob Battlestar Galactica, Six Feet Under, Dr. House, Heroes oder Grey's Anatomie, dank hervorragender Schauspieler und erstklassiger Drehbücher wachsen sie mit jeder Staffel über sich hinaus. Die Figuren sprengen ihr schlichtes Bildschirmdasein, werden zu guten Freunden und zu einem Teil des eigenen Lebens.
Während bei Filmen Nebencharaktere oft farblos bleiben, bieten die bis zu 24 Folgen genug Raum, ihnen ein Gesicht zu verpassen. Genau deshalb liebe ich auch Half-Life. Seit über zehn Jahren ist Gordon Freeman mein ständiger Begleiter und ich habe alle Höhen und Tiefen seiner Karriere hautnah miterlebt: Seine ungewollte Verwandlung vom unscheinbaren Labor-Assistenten zum Retter der Welt, die zarten Bande, die ihn und die wunderhübsche Alyx verbinden, aber auch die vielen wunderbaren Nebendarsteller, die seit Black Mesa an seiner Seite kämpfen.
Wie bei einer erstklassigen Fernsehserie freue ich mich darauf, Professor Kleinert, Professor Magnusson oder Barney wieder zu treffen. Ich fange an zu lachen, wenn mich Alyx mit ihrem jugendlichen Charme begrüßt. Ich trauere, wenn eine der Figuren einen tränenreichen Abgang hinlegt. Unterstützt durch die wohl besten Gesichtsanimationen der gesamten Videospielbranche wird die Geschichte und ihre Figuren damit zur treibenden Kraft. Während sonst die Story nur als platter Aufhänger für mehr oder minder intelligente Ballerorgien fungiert, macht sie hier einen Großteil der Faszination aus.
Deshalb erschien mir der Wechsel zu einer episodischen Erzählweise als eine richtige Entscheidung. Doch die Abstände zwischen den Episoden sind zu lang. Aus dem gleichen Grund, warum Serien im Fernsehen mit ihrer niedrigen Sendefrequenz nicht die gleiche Faszination ausüben, wie direkt von der DVD, leidet auch das System Half-Life unter der unregelmäßigen Erscheinungsweise. Statt, wie ursprünglich geplant, in einem Jahr wird Valve fast drei Jahre brauchen, um die Saga abzuschließen. Eigentlich nicht dramatisch, wäre die erste Episode mit ihrem dreisten Ende und ihrer extrem kurzen Spielzeit nicht so unbefriedigend gewesen. Doch Valve hat Besserung gelobt und zumindest bei den genannten Punkten kann man für Episode 2 Entwarnung geben.
Mit bis zu sieben Stunden Spielzeit überholt der Titel locker Vollpreistitel wie Heavenly Sword und selbst ein Halo 3 dauert nur unwesentlich länger. Außerdem gibt es diesmal ein wirkliches Ende. Natürlich wartet auch ein dicker Cliffhanger auf Euch, der heiß auf den dritten Teil macht. Doch er hinterlässt nicht mehr diesen faden Nachgeschmack, der sich nach der ersten Episode ausbreitete. Es gibt neue Gegner, frische Umgebungen und jede Menge gefüllte Storylöcher, die sich in den letzten Ablegern angesammelt haben.
Die Handlung knüpft nahtlos an die Ereignisse der ersten Episode an. Nachdem Alyx und Gordon die Zitadelle der außerirdischen Combine zerstört haben, wird ihr Zug durch eine gewaltige Explosion in Stücke gerissen. Die beiden Helden überleben natürlich den Unfall und versuchen mit wichtigen Daten zum Unterschlupf des Widerstands durchzubrechen. Verfolgt von der gesamten Besatzer-Truppe geht es diesmal endlich auch außerhalb von City 17 zur Sache. Ein Antlion-Bau, lauschige Nadelwälder und verlassene Farmhäuser gehören diesmal genauso dazu, wie dunkle Gewölbe, Militäranlagen und Alien-Bauten. Auch die Gegnerpalette wurde aufgestockt. Sowohl die biomechanischen Hunter als auch die telekinetisch begabten Ratgeber sind eine echte Bereicherung für das Spiel. Während letztere nur in Zwischensequenzen auftauchen, sind die kleinen Brüder der großen Strider allgegenwärtig. Mit ihrer Größe von ca. zwei Metern und einem starken Energieangriff machen sie selbst Innenräume unsicher und verleihen dem Titel eine große Portion Unberechenbarkeit.