Witcher 3 lässt euch vieles tun, aber Eislaufen? Nope.
Auch eine Open-World hat Grenzen.
Auch auf die Gefahr hin, dass einige jetzt ausflippen und marodierend durch Innenstädte ziehen: The Witcher 3 wird keine Eislaufsequenz enthalten. Das Internet kann geschlossen werden.
"Wir hatten Eislaufen geplant", erzählt uns der leitende Quest-Designer Mateusz Tomaszkiewicz beim CD-Projekt-Studiobesuch, "aber das hatte im generellen Kontext irgendwie keinen Sinn. Es war ein sehr kostspieliges Feature in Sachen Animationen und Controlling. Hat auch nicht so gut funktioniert, da Eislaufen in seinen Mechaniken völlig anders umgesetzt wird als etwa Rennen oder ein Pferderitt".
Da habt ihr es. Unfassbar, oder?
Die Entwickler: wissen hoffentlich, wie viele lange Gesichter jetzt ihre Vorbestellungen stornieren werden. Ihr selbst: Pulverfass. CD Projekt hat viel Vertrauen verspielt...
Tomaszkiewicz lacht. "Es ist nicht so, als hätten wir da irgendwas Existenzielles gestrichen." Worauf müssen wir noch verzichten - Kegeln, Eierbaumeln, auf irgendwas Unwichtiges vielleicht?
"Wir wollten eine Hauptmission gestalten, in der Geralt die Wilde Jagd infiltriert", erinnert er sich. Änderungen an der Hauptgeschichte machten diese Quest jedoch unmöglich. "Ihr selbst hättet inmitten der Wilden Jagd sein sollen". Wie so einiges landete der Ansatz in der Tonne jugendlichen Übereifers.
"In den ersten Zügen der Entwicklung sind die Leute immer Feuer und Flamme. Sie haben viele Einfälle, lieben es, diese in allen Facetten auszuformulieren, Design-Dokumente zu erstellen. Jeder hofft, dass all seine Ideen im Spiel landen." Manchmal kommt man intern allerdings überein, dass ein Feature zwar nett ist, aber nicht mehr als das - und damit verzichtbar. Oder man stellt fest, dass die Testspieler es gar nicht benutzen. "Es passierte sogar, dass die Qualitätssicherung nicht einmal in der Lage war, es zu finden."
Insgesamt schätzt Tomaszkiewicz den Anteil der herausgeschnittenen Inhalte auf mehr als 20 Prozent. "Weißt du: Wenn man drei Jahre an etwas arbeitet, es immer wieder spielt... es wird in mehreren Instanzen begutachtet, vom Projektleiter, von mir, vom Studioleiter - dann merkt man eben manchmal, dass etwas nicht mehr ins 'Bigger Picture' passt", bedauert er. "So etwas passiert im Leben jedes Designers."
Irgendwie brachte mich die Vorstellung zum Lachen, dass nun ein armer Mensch, auf dessen Kappe ausschließlich nie an die Öffentlichkeit gelangende Inhalte gehen, irgendwo sitzt und schmollt. "Ach, frag nur mal die Leute", sagt Tomaszkiewicz, "fast jeder hier hat etwas, von dem er Abschied nehmen musste".
Als Gradmesser für die Qualität der implementierten Quests und Inhalte fungieren Stress-Reviews an der Seite der Studiobosse, abgehalten in regelmäßigen Abständen, immer wieder, bis alles so gut wie möglich funktioniert. Fühlt man sich da wie auf dem heißen Stuhl?
"Als ich Quest-Designer war, spürte ich sehr viel Stress in diesen Sitzungen, und darin ging es nur um meine eigenen Quests", erklärt Tomaszkiewicz. "Jetzt, mit der Gesamtverantwortung auf dem Rücken, habe ich diesen Stress bei jeder einzelnen."
"Die ersten Reviews, nachdem ich hier meinen Job begann, fühlten sich sehr harsch an", sagt er. "Aber du merkst irgendwann, dass diese Härte einen Sinn hat. Es muss halt gesagt werden und am Ende kommt es dem Spiel zugute. Nichts davon verlässt diesen Raum. Also ja, es kann sehr harsch sein, aber im Hinblick auf das Spiel auch ermutigend."
Nun ist The Witcher 3 der Abschluss einer technologisch und inhaltlich an den Erwartungen des Marktes gewachsenen Trilogie, mit offener Welt vielleicht auch deswegen, weil man das heute so macht, in jedem Fall ambitioniert bis ins letzte Polygon. Welcher Kraftakt war der größte?
"Definitiv der Wechsel zur Open-World."
"Als wir anfingen, an den Quests zu arbeiten, kamen langsam Probleme auf, die wir vorher in den kleineren Hubs der ersten beiden Teile nicht hatten", sagt er. "Der Spieler kann in einer offenen Welt aus jedem Winkel kommen und die Quest starten. Wir wollten das Pacing innerhalb der Missionen dynamisch halten, aber wie soll man das mit den teils langen Distanzen verbinden, die Geralt zurücklegen muss? Außerdem mussten wir angesichts der Fülle an Nebeninhalten eine Möglichkeit finden, den Spieler an die Hauptgeschichte zu erinnern. So nach dem Motto 'Wer ist noch mal dieses Mädchen Ciri?', wenn er nach zwanzig Stunden dorthin zurückkehrt."
Und wo gab es die größten Kopfschmerzen? "Oh, bei den Bugs!", berichtet Tomaszkiewicz nickend und lächelt dabei, jetzt, nachdem die schlimmsten davon aus der Welt zu sein scheinen. "Einige von denen zu reproduzieren und zu fixen war die Hölle."
"Vor einigen Monaten hatten wir einen Bug, der mal eben ohne Vorwarnung eine ganze Reihe von Quests lahmlegte", sagt er. "Das machte mich ehrlich gesagt sehr nervös." Heute ist ihm die Erleichterung über die letzte Release-Verschiebung in den Mai 2015 anzusehen.
Open-World-Spiele im Allgemeinen genossen in den letzten Jahren nicht den besten Ruf. Verbreitet ist die Ansicht, sie gingen zum Selbstzweck aus dem Leim, ohne zu wissen, wie man den Moloch der Weltkarte sinnvoll befüllt. Wird The Witcher 3 in seiner großen Welt relevante Dinge haben?
"Wir haben versucht, die Open-World so zu gestalten, dass sie nicht das Pacing der Hauptgeschichte unterbricht und ihre Struktur unterstützt", heißt es. "Für mich ist sie auch ein Werkzeug, um Immersion zu erzeugen. Als Spieler soll man nicht dastehen und denken 'Hmm, das sieht aus wie eine Stage, die künstlich für mich vorbereitet wurde' - er soll sich fühlen, als sei er in dieser Welt. Nicht wie in einer Welthauptstadt mit fünf Häusern."
Irgendwelche Props für Entwickerkollegen übrig?
"Nun, mein Lieblings-Open-World-Spiel ist Fallout: New Vegas", sagt Tomaszkiewicz über die Art, wie es Quests und die Geschichte mit der offenen Welt verbindet. Es tut wahnsinnig gut, das von jemandem zu hören, der für die Missionen in Witcher 3 zuständig ist. New Vegas ist eines der wenigen nahezu absammelresistenten Beispiele für moderne RPGs, das eure Rolle in seiner Welt über Taten und Fraktionen definiert. Das keine Schubladen kennt, in die man die Bewohner Nevadas packen könnte, und sich zugunsten einer neutral die Geschehnisse erfassenden Perspektive zurücknimmt. Kurz gesagt: Der Spieler entscheidet, wer gut und böse ist, soweit diese Unterscheidung überhaupt relevant ist.
"Auch die Monster... Da waren die Minen mit diesen Biestern, die mich ständig aufgerissen haben... wie hießen die noch gleich?". Deathclaws. "Genau... schreckliche Kreaturen. Da konnte man nicht einfach durchhetzen. Oder Gothic: eine offene Welt in viel kleinerem Maßstab, ganz klar, aber sehr schöne starke Monster, kein Scaling."
Was ist mit Dragon Age: Inquisition? Dragon Age folgt inzwischen auch einer Open-World.
"Ich habe es gern durchgespielt", sagt Tomaszkiewicz, "aber ich denke..." - er überlegt, sichtlich bemüht darum, die richtigen Worte zu finden.
CD Projekt verdankt Bioware besonders als Entwicklungsstudio einiges. Damals, 2004, zeigte Bioware auf der E3 Jade Empire. CDP war in dieser Zeit noch kaum mehr als ein polnischer Vertrieb, ein Haufen Verrückter, die Probleme hatten, Interessenten für ihre noch im Frühstadium liegende The-Witcher-Demo zu finden. Bioware gab ihnen Platz am Stand und damit den nötigen Rückenwind.
Nun sitzt Mateusz Tomaszkiewicz da und denkt über Dragon Age: Inquisition nach, das neueste Spiel eines Studios, in dessen Schatten CD Projekt groß wurde. "Für meinen Geschmack hätte es mit weniger Fetch-Quests auskommen können", sagt er. "Aber es ist trotzdem ein gutes Spiel. Letztlich erhöht es die Vielfalt, was bei Rollenspielen nie verkehrt sein kann."
Dem lässt sich nur schwer widersprechen.