The Witcher
Sex, Drugs & Fantasy
Auf einige Modelle trifft man immer wieder, ein wenig Abwechslung wäre deutlich besser gewesen. Dafür sind die Quests wunderschöne Kausalketten, die immer wieder durch Entscheidungen die gesamte Spielwelt beeinflussen. Verhindert man zum Beispiel zu Beginn den Klau eines Mutagens trifft man später nicht auf mörderische Genzüchtungen. Man muss aber im Gegenzug auf einen Mitstreiter verzichten.
Durch die zeitliche Distanz zu den getroffene Entscheidungen entstehen echte moralische Konflikte, die sich hervorragend in die Geschichte integrieren. Eigentlich klare Wege werden auf einmal wieder undeutlich, man hält inne und denkt wirklich darüber nach. In Kombination mit den glaubhaften Charakteren entsteht so eine enorm dichte Atmosphäre, der man auch ein paar Lücken in der Story verzeiht.
The Witcher verlangt manchmal etwas Kreativität, um den Gedankensprüngen des Autoren zu folgen. Unterstützt durch die schwache deutsche Sprachausgabe hinterlassen einige Zwischensequenzen mehr Fragen, als dass sie Antworten liefern. Doch wer sich wirklich auf die Spielwelt einlässt, kann diese Lücken recht schnell wieder mit Informationen füllen.
Während also die Hauptstory etwas unter Planlosigkeit leidet, verzücken die ganzen Nebenquests und Minispiele mit witzigen Einfällen, spannenden Charakteren und sinnvollen Aufträgen. Gleich zu Beginn gibt es zum Beispiel ein Würfelpokerspiel zu entdecken, bei dem wild Kniffel und Texas-Hold'em vermischt wird. Mit etwas Geschick kann man so sein Geld sinnvoll zum Bestechen oder das Bezahlen einer Prostituierten nutzen.
Die anderen Trophäen, äh, Damen muss man übrigens mit Gefälligkeiten und Geschenken gefügig machen, nur wenige, wie die Zauberin Triss gleich zu Beginn, geben sich einfach so dem Hexer hin. Als Belohnung gibt es dann eine verwaschene Sexszene und ein schickes Pin-Up-Bild. Eine herrlich sexistische Angelegenheit, die die Identifikation mit unserem Helden deutlich einfacher macht.
Bei der Musik gibt es keine großen Überraschungen, routinierter Orchestersound schafft die passende Grundlage für ein zünftiges Fantasy-Spektakel. Um dem Debakel der deutschen Sprachausgabe auszuweichen, kann man gleich zu Beginn auch die englische installieren. Deren Sprecher machen einen deutlich engagierteren Eindruck und auch die Lippensynchronität ist gegeben. Bei den Hardwareanforderungen sollte man einen einigermaßen aktuellen Rechner besitzen. Für die volle Grafikpracht darf es dann auch gleich eine starke Nvidia-Grafikkarte und ein Dual-Core-Rechner sein. Die alte Grafikengine ist deutlich hungriger als es anfangs den Eindruck macht.
Oblivion mag beeindruckender sein, Gothic 3 mehr Freiheiten bieten und Neverwinter Nights 2 mit vielen spielbaren Charakteren auftrumpfen. Trotzdem gebe ich dem Witcher jederzeit den Vorzug. Und das obwohl das Gameplay teilweise etwas sperrig ist und die Interaktionsmöglichkeiten insgesamt zu mager. Die Art Direktion und die fantastische Spielwelt als solche sorgt für ein glaubhaftes Erlebnis. So glaubhaft, dass man gern ein paar Mängel in Kauf nimmt. Schade nur, dass es schon nach 15 Stunden vorbei ist - allerdings gilt das nur für die, die eilig durch die Handlung hetzen. Mit den Nebenaufträgen ist man eine ganze Weile länger beschäftigt.
Lasst Euch also nicht von den Startschwierigkeiten, von denen man hier und da liest, die Laune verderben. The Witcher ist ein einmaliges Rollenspiel, das der versammelten Konkurrenz eine Lehrstunde in Sachen Atmosphäre gibt und Euch mit glaubhaften Charakteren in seinen Bann zieht. Beim nächsten mal klappt es ja auch vielleicht mit einer größeren Spielwelt und kürzeren Ladezeiten. Dann könnte Geralt vielleicht sogar den Genre-Thron erobern.
The Witcher ist seit dem 26. Oktober erhältlich. Den wichtigen Day-One-Patch sollte man direkt nach der Installation per Auto-Update herunterladen.