Tokyo Jungle - Test
Zwei Ansichten zu einem Spiel, in dem Katzen und Pekinesen auf Großwildjagd gehen.
Dieses Spiel konnte ich mir nicht entgehen lassen, gleichzeitig war mir klar, dass Björn der genau Richtige dafür ist. Also ergibt sich Gelegenheit für einen ein Doppeltest, der sehr gut den Zwiespalt von Tokyo Jungle widerspiegelt.
Björn Balg hüpft fröhlich durch Tokyo Jungle
Ich liebe verrückte Ideen. Selbst wenn sie gegenüber auf Hochglanz polierten Titeln viele Schwächen aufweisen, probiere ich immer alles aus, was mir neu und ungewöhnlich erscheint. Klar, greift man dabei manchmal in hässlichen und mit Designfehlern überhäuften Spielemüll, doch ohne meine Neugierde für das Verrückte, hätte ich wahrscheinlich nie etwas wie Katamari Damacy oder Gitaroo Man ausprobiert.
Tokyo Jungle hatte meine volle Aufmerksamkeit daher bereits nach der ersten Kurzbeschreibung. Ihr übernehmt die Rolle eines von zahlreichen Tieren, das in einem von der Menschheit verlassenen Tokyo um sein Überleben kämpft. Schnappt euch euer liebstes Haustier, Großwildkatze, Pferd oder Elefant und los geht es in den von Pflanzen überwachsenen Großstadtdschungel.
Zu Beginn stehen nur kleinere Tierarten zur Auswahl. Später schaltet ihr durch das Erfüllen von Aufgaben weitere Spezies frei, mit denen ihr euch auf die Jagd nach Futter begebt. Denn im Survival-Modus schaffen es nur die klügsten und stärksten Tiere, die kommenden Jahre zu überleben.
Abgesehen von den kleinen Miniaufträgen, bei denen ihr einzelne Feinde vernichten oder Gebiete einnehmen müsst, stellt man euch kein übergeordnetes Ziel. Spielt bis zum Tod, markiert eine Platzierung in der Weltrangliste und versucht es dann vielleicht mit einer komplett anderen Art erneut. Ein Story-Modus existiert zwar, für den ihr nach und nach einzelne Episoden freischaltet, doch die Ziele bleiben belanglos und die Handlung ist selbst für eine derart absurde Prämisse zu dämlich. Nach ein paar Kapiteln, in denen ihr immer ein neues Tier spielt, widmete ich mich wieder voll und ganz dem simplen Überleben. Dazu stillt ihr durch Beute euren Hunger und steigt nebenbei im Level auf, sodass ihr später auch stärkere Feinde erledigen könnt.
Die verschiedenen Tierarten unterscheiden sich hier in ihrer Spielweise. Ein Löwe kann sich ohne Probleme durch ein ganzes Hunderudel kämpfen, doch ein Reh beispielsweise ernährt sich hauptsächlich von Pflanzen und sollte nicht von anderen Vierbeinern erblickt werden, da ein direkter Kampf meist zum Tod führt. Hier fordert Tokyo Jungle ein stark defensives und auf Stealth ausgelegtes Verhalten.
Falls es mit einer Rasse schließlich zum Kampf kommt, läuft dieser bei allen relativ gleich ab. Ihr besitzt zwei Angriffe. Kratzt euren Kontrahenten entweder Wunden in ihr Fell oder beißt ihnen in den Hals. Zwar lassen sich durch strategisches Verhalten kritische Treffer erzielen, das eigentliche Kampfsystem bleibt über längeren Spielverlauf aber zu simpel und bietet keinerlei Tiefgang.
Mehr Freude habt ihr schon eher beim Kreieren eines eigenen Rudels, wozu erst einmal der passende Geschlechtspartner gefunden werden muss. Hierzu markiert ihr in den Stadtteilen Gebiete und paart euch anschließend, um für Nachwuchs zu sorgen. Dieser folgt euch nicht nur und greift von alleine Feinde an, sondern sichert euch ebenfalls eine weitere Generation, in der ihr das aktuelle Spiel fortführen könnt. So schafft ihr es über mehrere Jahrzehnte, bis irgendwann der endgültige Tod des letzten Nachkommen eintritt und es zurück an den Anfang geht.
Um das abstruse Szenario noch weiter ins Lächerliche zu führen, könnt ihr Kleidungsstücke für eure Vierbeiner finden und ihnen ulkige Kappen, Jacken und sogar Rucksäcke anziehen. So stattete ich meinen Kater Mr. Buttons mit roten Roller-Skates aus und lag beim folgenden Angriff auf ein Hunderudel vor Lachen am Boden.
Tokyo Jungle bleibt nach vielen Durchgängen ein mit Fehlern behaftetes Spiel, dessen Erfahrung ich trotzdem nicht missen möchte. Sogar die PS2-Grafik übt einen gewissen Charme auf mich aus. Es sind vielmehr der redundante Ablauf sowie eine fehlende Tiefe im Kampfsystem, die eine längere Spielzeit verhindern.
Doch in welchem Spiel kann ich schon eine Gruppe Katzen mit rosa Strickmützen auf einen meterhohen Elefanten loslassen? Im Gegensatz zu Japan, wo für dieses Erlebnis der Vollpreis im Laden verlangt wird, könnt ihr es hier für großzügige 15 Euro genießen. Und wenn ihr das Geld nicht alleine aufbringen wollt, teilt es euch mit ein paar Freunden, setzt euch einen Abend zusammen und lacht einfach über die absurden Situationen, die ihr so noch nie gesehen, geschweige denn gespielt habt.
Martin Woger kriecht fluchend durch Tokyo Jungle
Björn mag es also, damit bleibt mir wohl die Rolle des bösen Jungen. Und trotzdem, ich muss damit anfangen, dass man manche Spiele einfach genau für das, was sie darstellen, lieben muss. Nicht unbedingt dafür, was sie als Spiel können. Das würde mir im Falle von Tokyo Jungle ziemlich schwer fallen. Das ist wirklich kein gutes Spiel, so viel schon mal vorweg. Aber eines, das mir Respekt einflößte. Insbesondere für die Pekinesen, die einige Nachbarn als Haustiere halten.
Die kleinen Kläffmaschinen machen jetzt nicht den Eindruck der Killer, die sie offensichtlich eines Tages sein werden. Wenn denn dann die Menschheit über Nacht ohne jede Spur verschwand und die ehemals zahmen oder in Zoos gehaltenen Tierchen die Straßen des entvölkerten Tokyos unsicher machen. Rudel von Pekinesen, Hauskatzen, Schafen, Kaninchen und vielem, vielem mehr, bis hoch zu Giraffen, Löwen und sogar ein per DLC eingewanderter Säbelzahntiger streunen umher und bilden in den Häuserschluchten ein völlig neues Ökosystem aus Fressen und Gefressen werden.