Tom Clancy's H.A.W.X.
Top Gun statt Air Force
Es hätte realistisch werden können. Der Gedanke frei käuflicher und börsennotierter Söldnerkonzerne, die ganzen Staaten bei der Bewältigung immer komplexerer Verteidigungs-Fragen unter die Arme greifen und zu diesem Zweck Armeen aufbauen, die es mit allem aufnehmen können, was sonst in der Welt von Militärbudgets gestützt wird, ist nicht abwegig. Der Schritt vom Blackwater unserer Tage zu einem Konzern, der komplette Joint Forces Programme im Produkt-Angebot hat, Flugzeugträger und Panzerheere inklusive, ist wohl kein zu weiter.
Und zu Beginn funktioniert dieser Gedanke auch in Tom Clancy´s H.A.W.X. ganz gut. Ihr fliegt 2015 um die Welt, ein neuer Tag, ein neuer Vertrag, und bombt nicht im Namen des Vaterlandes, sondern des Börsenwertes. Und irgendwo in der Mitte der Kampagne packt die Glaubwürdigkeit ihre Sachen, winkt zum Abschluss und geht nach Hause. Von einem Moment auf den anderen geht es nicht mehr um ein reales Bedrohungsszenario, sondern um den irren Superbösewicht mit der Atombombe. Und mit jeder Mission sinkt das Interesse an dem teuer eingekauften Clancy-Plot.
Ich wünschte, ich könnte sagen, dass die fehlgeleitete Handlung das einzige sei, was mit der Kampagne nicht stimmt, nur leider beginnen die Probleme erst hier. Gerade mal 19 Missionen, die letzte kaum mehr als eine fünfminütige Fingerübung, reichen für etwa sechs Stunden Spielzeit, die zudem noch denkbar lieblos hingeklatscht wurde. Etwa ein halbes Dutzend der Aufträge bietet mehr als „fliegt los und ballert auf alles, was kommt“. Zwischen Radarfelder manövrieren, die Stationen finden und so den Weg für Bomber ebnen ist gut, 30 Flugzeuge über einer belanglosen Karte abballern weniger. Bei Nacht in einer F-117 durch einen engen Flugkorridor wild eine Million SAM-Raketen auszumanövrieren, dürfte der definierende Moment von H.A.W.X. sein, den ich nie vergessen werde. An die beiden Missionen davor und danach kann ich mich kaum erinnern.
Es gibt die wirklich guten Ideen für spannende Aufträge, manche überzeugen durch Spannung im Detail, andere durch die schlichte Faszination der Größe der Kämpfe. 20 Schiffe, 30 Flugzeuge, 40 Panzer und Tausend Explosionen versetzen in den gewünschten Kampfrausch. Nur wurde jede gute Idee lediglich einmal genutzt, danach vergessen und statt sie einfach noch einmal ein wenig abzuwandeln, durch Einfallslosigkeit ersetzt.
Weiter an der Atmosphäre knabbert die unmotivierte Erzählung der reaktionären Pulp-Handlung. Ein aus jedem Kontext gerissenes Filmchen führt Euch ganz zu Beginn ein. Zwischen den Missionen reduziert es sich dann auf ein kurzes Briefing, in dem Euch von immer den gleichen zwei Typen erzählt wird, wie genau die Welt sich gerade umkrempelt. Direkt zu sehen bekommt Ihr davon nichts und angesichts der weltbewegenden Ereignisse entlässt Euch das Ende, das übrigens der Einfachheit halber auf jede Art von Abspann verzichtet, zutiefst unbefriedigt zurück ins Hauptmenü.
Wenigstens gibt es die Möglichkeit, alle Missionen auch online mit Freunden – oder Fremden – zu absolvieren, was den Wiederspielwert ein wenig erhöht. Genau die gleichen Ziele und Feinde warten zwar wie zuvor auch, nur mit gezielter zu koordinierenden Angriffen und Wingman-Aktionen macht es doch mehr Laune, als mit der zwar nicht schlechten, aber kaum steuerbaren KI. Ganze zwei Befehle habt Ihr im Programm: Angriff und Verteidigung. Das war es, keine Möglichkeit zu sagen, dass das zu beschützende Objekt zu verteidigen ist, keine Details, welches Ziel genau angegangen werden soll. Da boten selbst FluSis aus den frühen 90ern schon weit mehr.
Diese warteten auch mit weit mehr Realität bei der Umsetzung der vielen Details eines Flugzeugs auf. Kurz vor dem Test unterhielt ich mich noch mit Flugzeugnerd Kristian, der unbedingt das Spiel auf die naturgetreue Umsetzung der Flugzeuge abklopfen wollte. Es wäre vergebene Liebesmühe gewesen. Die Masse der verschiedenen Jets von Mig 23 über alle gängigen F-s, bis zu Eurofighter und A-10 überwältigt, nur läuft es am Ende auf gerade mal drei Schlüsselwerte hinaus: Geschwindigkeit, Wendigkeit und Panzerung.
Eine A10-Thunderbolt ist langsam und wendig und gut gepanzert. Das wurde auch umgesetzt. Alle anderen Eigenheiten, wie ihre überdimensionierte Gattlinggun oder dass Ihr Einsatz als Joint Forces Flugzeug besondere Begleitung voraussetzt, bleibt unbeachtet. Statt Euch Begleitjäger zur Seite zu stellen, heißt es dann einfach, dass in dieser Mission keine Jäger diese Schwäche des Warzenschweins ausnutzen. Das Gefühl realer simulierter Kampfsituationen kapituliert da als erstes.
Die Fertigkeiten der F-15, Luftdominanz über 100 Kilometer und ein gleichzeitig brauchbares Bodensortiment, dafür aber nur durchschnittliche Dogfightfähigkeiten, sucht Ihr ebenso vergeblich. So etwas lässt sich mit drei Werten nur sehr bedingt abbilden. Bei den Waffen sieht es nicht viel besser aus. Auf Typenbezeichnungen verzichtet man gleich und beschränkt sich auf Funktionsbeschreibungen. Joint Forces-Raketen für alles, AA und AG-Mehrfachzielraketen, All-Aspect Raketen, Wurf-Bomben und ebenfalls genau eine Sorte Langstreckenrakete findet sich. Und für alle Flugzeuge sind es die gleichen Waffen. Selbst ganz grundsätzliche Simulationsaspekte wie die G-Kräfte blieben vor der Tür. Mit jedem Flugzeug könnt Ihr beliebig wilde Manöver, die Top-Gun-Bremse und engste Zirkel ausführen, ohne dass dem Piloten der Kopf im Helm platzen würde.