„Unser Jugendmedienschutz ist verfassungswidrig“
Ein Politologe kämpft gegen Verbote und Zensur
Wer der Definition Brunners folgt, die der gängigen Rechtsmeinung entspricht, kommt tatsächlich zu dem Schluss, dass es in Deutschland keine Spiele-Zensur gibt. Denn in der Bundesrepublik gilt nur staatliche Vorzensur als Zensur. Portz sieht die Sache anders, versteht den Jugendmedienschutz als „komplexes Zensursystem“. In seinen Augen müsste auch Nachzensur verboten sein. Dies in der Doktorarbeit zu belegen, wird nicht unaufwändig. Dem Politologen hat allein die Rohfassung seiner Zensurdefinition 60 Seiten gekostet.
Entgegen der allgemeinen Auffassung hält Portz selbst Indizierungen für eine Art der Nachzensur. Der Gesetzgeber habe einen vielschichtigen Mechanismus erschaffen, der Spielehersteller zur umfassenden Selbstzensur nötige, was verfassungsrechtlich ebenfalls nicht koscher sei. „Je schwammiger zum Beispiel die Gründe für eine Freigabeverweigerung sind, desto umfangreicher fällt die Selbstzensur aus. Da entfernt man lieber etwas zu viel als zu wenig.“ Von Freiwilligkeit könne also keine Rede sein, die Formulierung „faktischer Zwang“ treffe es deutlich besser.
Kommen wir nochmals zur Medienwirkungsforschung. Dieser stellt Portz allgemein ein schlechtes Zeugnis aus, bezeichnet sie als „extrem desolat“. Auch die Entwicklungspsychologie liefere keine konkreten Kriterien, welche Inhalte auf welche Weise bei Kindern und Jugendlichen wirken. „Hier sind mehr Mutmaßungen im Spiel als gesicherte Erkenntnisse.“ Der Gesetzgeber sei zwar nicht gezwungen, sich einer wissenschaftlichen Mehrheitsauffassung anzuschließen oder zu warten, bis eindeutige Ergebnisse vorliegen. „Die Grenzen des Beurteilungsspielraums sind aber erreicht, wenn er nicht vertretbaren Erkenntnissen oder gar offensichtlich falschen Auffassungen folgt“, zitiert Portz das Hans-Bredow-Institut für Medienforschung in Hamburg. Insofern steht unser Jugendschutz nach Ansicht des Politikwissenschaftlers nicht auf wissenschaftlich fundierten Füßen.
„Mir fallen auf Anhieb keine brauchbaren Studien ein“, resümiert der 27-Jährige sogar. „Die bisherigen haben alle gravierende Defizite – das fängt bei der Wahl der Spiele an und geht weiter, wie Aggression gemessen wird.“ Hier zitiert er den Publizistikprofessor Michael Kunczik aus Mainz. Diesem zufolge sei der Aggressivitätsgrad schon mit Satzergänzungstests, Elektroschocks, Beurteilungen durch Eltern, Erzieher und Gleichaltrige und sogar Selbstangaben bestimmt worden. In einem Fall mussten Versuchspersonen Spendenbüchsen einer Wohltätigkeitsorganisation zerstören, in einem weiteren ein aufblasbares Stehaufmännchen angreifen. Bei einem Versuch drückten die Probanden lediglich auf einen Knopf, woraufhin eine Puppe einer anderen auf den Kopf schlug. „Alles nicht überzeugend“, urteilt Portz.
„Exemplarisch für den Gehalt dieser Studien ist das Experiment von Craig A. Anderson und Brad J. Bushman, die man unter Spielegegnern als Koryphäen der Mediengewaltforschung handelt.“ Der Versuch, bei dem eine Schauspielerin auf Krücken vor diversen Kinos umher humpelte, sollte die Auswirkungen von medialen Gewaltdarstellungen auf „prosoziales Verhalten“ erfassen. In den Filmpalästen liefen gewaltlose und -haltige Streifen. Als das Publikum danach auf die Straße trat, stürzte die mit Gehhilfen ausgestattete Dame. Ergebnis des Experiments: Die Kinogänger, die die harmlosen Filme gesehen hatten, ließen im Schnitt 26 Prozent weniger Zeit verstreichen, ehe sie halfen. Das klingt viel, bedeutet aber in absoluten Zahlen einen Unterschied zwischen 5,46 und 6,89 Sekunden. „Wir sprechen hier also wohlgemerkt von einer Differenz von 1,43 Sekunden. Und geholfen wurde der Frau immer, binnen maximal elf Sekunden.“
Summa summarum kann Portz wie viele Spieler grundsätzlich nicht nachvollziehen, warum Indizierungen und Beschlagnahmen nötig sind, wo in Deutschland doch ein verbindliches Altersfreigabesystem existiert und klar sein sollte: Ab-18-Spiele sind nur für Erwachsene. Man stelle sich vor, harter Alkohol wie Wodka oder Whisky & Co. könnte indiziert werden, sodass er nur in Sexshops oder über das Ausland erhältlich wäre – der Unmut wäre mutmaßlich riesig.
Wäre PEGI, das europäische Jugendschutzsystem, auch für Deutschland sinnvoll? Portz beantwortet das mit einem klaren Ja. Im Grunde, sagt der 27-Jährige, sehe er die aktuelle Situation aber wie der ehemalige Vorsitzende der USK, Klaus-Peter Gerstenberger, den er mit folgenden Worten zitiert: „Ich denke, dass eines Tages die Alterskennzeichnung digitaler Medien so absurd erscheinen wie eine Alterskennung, die wir für 80.000 neue Bücher pro Jahr einführen.“
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