Wargame: European Escalation - Vorschau
Kalter Krieg war gestern
Es ist die Sorte Name, die man einem Hersteller eigentlich um die Ohren hauen möchte. Wargame? Ernsthaft? Für ein auf Authentizität bedachtes Echtzeitstrategiespiel mag der Titel zwar durchaus treffend sein, einladend oder besonders kreativ klingt er allerdings nicht. Hört sich an, als wäre hier an allen Ecken und Enden gespart worden, zuallererst am Namen. Und dann ist mir der Film von 1983 eingefallen. WarGames mit Matthew Broderick. Ein John-Badham-Streifen, der so nur im Kalten Krieg passieren konnte. Und schon fand ich die Namenswahl auf einmal ausgesprochen clever.
Wargame: European Escalation, das ich erstmals im Rahmen einer Präsentation mit anschließender Anspielsitzung auf Einladung von dtp Entertainment begutachten konnte, ist zwar keine Umsetzung des Kino-Stoffes, spielt aber auch in eben dieser von nuklearer Abschreckung geprägten Epoche. Mehr noch, das Strategiespiel scheint beinahe die Frage zu stellen, wie wohl der Super-KI Joshua aus dem Film nach ihrem Heureka-Erlebnis bezüglich Atomwaffen einen Konflikt zwischen NATO und Warschauer Pakt mit konventionellem Kriegsgerät angehen würde. Als fliegendes Auge taktiert ihr euch zwischen 1975 und 1985 über europäische Schlachtfelder, nachdem an der Deutsch-Deutschen Grenze das Undenkbare passierte: Der Kalte Krieg wechselte schlagartig und brutal seinen Aggregatszustand.
Nüchtern, kühl und beinahe ein bisschen herzlos, eben fast wie durch die Linse des Pentagon-Supercomputers aus der dreifach Oscar-nominierten Hackerfantasie, habt ihr dabei auf Wunsch stets das gesamte Schlachtfeld im Blick. Prompt werden Erinnerungen an ein anderes Echtzeitstrategiespiel wach: R.U.S.E. Nicht umsonst, denn vor eineinhalb Jahren fiel damit derselbe Entwickler - Eugen Systems - unter Schirmherrschaft Ubisofts bei dem Versuch auf die Nase, mit einem Multi-Plattform-RTS in den Mainstream-Markt vorzustoßen. Spielerisch ein gelungenes Experiment, von dem leider kaum jemand etwas wissen wollte. Die Lizenz des kommerziellen Flops verblieb daraufhin beim damaligen Publisher und so konzentrieren sich die RTS-vernarrten Pariser von Eugen mit ihrem Nachfolgewerk wieder auf den harten Kern der Strategie-Zielgruppe.
Es ist vor allem dieser Paradigmenwechsel, sein Visier von der breiten Masse zurück auf den Hardcore-Markt zu schwenken, auf den ein Großteil des spröden, beinahe klinischen Vibes von Wargame zurückzuführen ist. Wo R.U.S.E. recht bunt war und in jeder Zoom-Stufe sehr übersichtlich und aufgeräumt blieb, stets darauf bedacht, Anzeigen und Interface nicht zu überladen, geht dem Strategie-Enthusiasten bei der Menge an eingeblendeten Infos und justierbaren Variablen in Wargame einfach das Herz auf. Blass, betont schmucklos und irgendwie einfach echt, zoomt und schwenkt es sich hier wahnsinnig schnell mit einem unerhört gut aussehenden Motion-Blur durch die mit Hilfe von Google-Maps nachgebildeten, realen Landschaften.
Die in ihrer Authentizität und Farbgebung schon fast langweilig echt aussehenden Einheiten setzt die hauseigene Iriszoom-Engine beinahe wie eine TV-Übertragung in Szene. Diese Bilder transportieren nicht mehr Ästhetik, als die Erbauer des Kriegsgeräts ihren Panzern, Helikoptern und Truppentransportern mit auf den Weg gaben. Durch diese unmittelbare Darstellungsform, gewürzt mit einem HUD, das angemessenes 80er Flair versprüht, wird in diesem Fall ein wirklich erstaunlicher Effekt erzeugt: Man kommt sich tatsächlich wie der Knotenpunkt einer militärischen Operation vor - als ungerührte und mit maximaler Berechnung agierende Schaltzentrale. Ob ihr euch eher als eine Art Joshua-KI seht oder als Haudegen mit drei bis vier Sternen auf jeder Schulter seht, das bleibt eurer Fantasie überlassen. In jedem Fall wird hier auch ohne inszenatorische Tricks, Dialog- oder Rendersequenzen eine ungemein dichte Atmosphäre erzeugt. Chapeau, Eugen Systems!
"Man kommt sich wie der Knotenpunkt einer realen militärischen Operation vor - als ungerührte und mit maximaler Berechnung agierende Schaltzentrale."
Der Beginn meiner Probesitzung auf einer der frühen Karten im Herzen Deutschlands ist noch von vorsichtigem Abtasten geprägt. Ich schicke einen einzelnen Aufklärer voran, um die Situation an einer der Brücken abzuwägen, über die die veralteten ostdeutschen Truppen Berichten zufolge in die Bundesrepublik einfallen. Das fahrende Auge kann weiter und besser sehen als jede meiner anderen Einheiten. Unterdessen bringe ich meine Vierer-Einheit Leopard-Panzer dahinter mit Blick auf die fragliche Brücke in Position, direkt hinter einer Baumreihe, die zwei Kornfelder voneinander trennt. Ein blauer Schimmer über den rollenden Festungen signalisiert, dass sie für den Feind nicht zu sehen sind - so lange sie nicht feuern. Zeit also, ihnen Waffenruhe zu verordnen und die Situation zu beobachten. Und siehe, der auf der Straße platzierte Aufklärer meldet zwei DDR-Panzer älteren Modells. Als diese in die Reichweite meiner Leoparden rollen, eröffnet der versteckte Panzertrupp auf mein Geheiß hin das Feuer.
Hier unterstreichen Physik und Klangkulisse dann noch einmal das Gefühl, auf einen gruselig echten Konflikt herabzublicken. Zunächst schlagen meine Geschosse qualmende Krater ringsum die übertölpelten feindlichen Einheiten. Noch bevor einer der hoffnungslos unterlegenen Invasoren mir aber seine besser gepanzerte Front zuwenden und das Feuer erwidern kann, schlägt eines meiner Projektile in seine schwache Flanke. Der gesamte Metallklotz wird unter einem ohrenbetäubenden Knall hin und her gerissen, Flammen züngeln aus ihm empor, seine dunkelgrüne Camouflage verfärbt sich ins Rußige. Sein Kollege hat zwar unwesentlich mehr Glück, kann noch einmal zurückschießen. Er ist jedoch von dieser Überraschungsattacke und durch den außer Gefecht gesetzten Kollegen dermaßen von der Rolle, dass er nicht so genau zielen kann. Als sein Gemütszustand in Panik umschlägt, versucht er, die Flucht zu ergreifen. Zu spät. Die nächste Salve verwandelt auch ihn in einen lodernden Ofen.