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Wolfenstein

Nazis im Anmarsch

Der Mann wirkt bedrohlich in seiner dunklen Uniform. Als er den Spieler bemerkt, hebt er mit einem Schrei seine Luger. Vergebens. Während die Salve aus der MP 43 in den virtuellen Soldatenkopf hämmert, platzt der wie eine reife Melone, die mit 180 Kilometer pro Stunde auf eine Steinplatte knallt. Rote Flüssigkeit spritzt. Viel rote Flüssigkeit. Meine Herren, das riecht ja förmlich nach einer Altersfreigabe für Kinder ab sechs Jahren – Scherz!

Während mir zusätzliche Obstvergleiche durch den Kopf schießen, läuft die Präsentation weiter. Steve Nix und Peter Sokal von id Software stehen vor einer Leinwand, die auch in einer Turnhalle nicht klein wirken würde. Mit einem 360-Pad steuert Nix den Spielhelden B.J. Blazkowicz und schleudert mit seiner Tesla-Kanone Blitze, während Sokal die Ereignisse kommentiert. Wolfenstein steht in den Startlöchern.

Als ich unter vorgehaltener Hand im Juli vergangenen Jahres die ersten bewegten Bilder von Wolfenstein sehen durfte, war ich schockiert. Soll das etwa alles sein? Darauf hatte ich seit 2001 gewartet? Die Grafik wirkte, als sei sie genauso alt wie mein Verlangen nach einem neuen Wolfenstein-Spiel. Enttäuschend. Alte id-Technik der Vorgängergeneration, nicht die aktuelle, die id für die kommende Action-Orgie Rage einsetzt. Trotzdem faszinierte der Ego-Shooter auf eine merkwürdige Art und Weise. Nazis, Okkultismus, Überwaffen – das hat in Spielen eben ein ganz besonderen Reiz.

Hinzu kamen noch die Versprechen des verantwortlichen Kreativdirektors Eric Biessman, dass der Spieler sich frei bewegen kann und es mehrere Lösungswege geben soll. Mittlerweile sind mehrere Monate verstrichen, die die Entwickler Raven und Co-Entwickler id Software offenbar zumindest in bessere Grafikeffekte investiert zu haben scheinen. Wie die Mutter aller Ego-Shooter sehen die Katakomben und Pflastersteinstraßen von Wolfenstein zwar immer noch nicht aus, aber immerhin doch ein ganzes Stück dynamischer. Würdiger für eine Serie, die ein ganzes Genre geprägt hat.

Diese Gegner heißen Sniffer.

Es ist dunkel. Die Deckenbeleuchtung ist ausgefallen. Stimmen. „Wo ist er?“ „Er muss hier sein!“ Verdammt, sie suchen nach Euch. Es sind viele. Zu viele? Zeit für die Veil-Sicht, eine Eurer Superkräfte. Auf Knopfdruck taucht der Raum in grünes Licht. Mit einer Welle schwappt eine andere Realität in Euer Sichtfeld. Wo vor Sekunden noch Dunkelheit herrschte, seht Ihr plötzlich scharf wie eine Katze beziehungsweise wie Sam Fisher mit seinem Nachtsichtgerät. Die feindlichen Soldaten strahlen, als ob sie ihre Uniformen mit Leuchtfarbe eingerieben hätten. Praktisch. Na, wer ist jetzt im Vorteil?

Von hinten schleicht Ihr zu dem Kerl, der Euch am nächsten gekommen ist. Bevor er auch nur ahnt, dass Ihr in seiner Nähe seid, streckt Ihr ihn mit zwei harten Schlägen Eures Gewehrkolbens nieder. Seinen Kollegen ergeht es ähnlich. Polternd sacken Eure Feinde zu Boden, verlieren ihre Helme und Waffen. Vier, fünf, sechs Gegner büßt die die Nazi-Armee ein, bis Eurer sogenannten „Veil Sight“ der Saft ausgeht. Das hat sich gelohnt. Der Weg ist frei.

Die Veil-Kräfte heben Wolfenstein von Spielen wie Medal of Honor oder Call of Duty ab; zeigen, dass die Entwickler keine historischen Schlachten des Zweiten Weltkriegs nachstellen, sondern den Spieler einfach möglichst spektakulär auf den Putz hauen lassen wollen. Das Veil ist eine Paralleldimension, mit der die virtuellen Nazis experimentieren, um neue Waffen zu kreieren. Der Traum von der Weltherrschaft ist noch nicht ausgeträumt. Mit Röntgenblick … Pardon ... der Möglichkeit, an bestimmten Stellen durch Wände zu sehen oder gar hindurch zu gehen. Oder der Option, mit der Mire-Kraft eine Zeitlupe zu aktivieren, wirkt Blazkowicz stellenweise wie Kollege Superman. Mir soll es recht sein.

Hospital-Level: Ein Nazi-Gegner im Veil.

An einer Xbox 360 darf ich endlich selbst ein Stück des Spieles ausprobieren. „Du bist verwundet, geh in Deckung“, steht nach wenigen Momenten mit roten Buchstaben auf meinem Bildschirm. Ein Rat, den Ihr beherzigen solltet, falls Ihr nicht am letzten Speicherpunkt neu starten wollt. Ich kämpfe mich durch ein Hospital. Die Nazi-Gegner agieren dabei nicht schlecht. Überall lauern sie hinter Ecken und Türen und versuchen B.J. am Vorankommen zu hindern. Als mich ein besonders fieser Glatzkopf in einem langen, grauen Mantel attackiert, aktiviere ich meinen Schild.

Richtig gehört: Das ist eine der Veil-Superkräfte, auf die Ihr nach und nach im Verlauf des Spiels zugreifen und sie ausbauen könnt. Gut, dass B.J. ein Gerät in die Hände gefallen ist, das ihm ermöglicht, diese Kräfte gegen ihre Entdecker einzusetzen. Um mich herum bildet sich eine Blase, an der die Kugeln abprallen. Wie Fliegen, die gegen eine Scheibe donnern. Sehr angenehm.

Wie sagte einst Kevin Cloud von id Software: „Wolfenstein mit einem anderen Zweiter-Weltkrieg-Shooter zu vergleichen, ist wie Jäger des Verlorenen Schatzes mit Der Soldat James Ryan auf eine Stufe zu stellen.“ Stimmt. Trotzdem: Besonders frisch wirkt der Spielablauf nicht. Stellt Euch vor, in F.E.A.R. würden dem Spieler Nazis vor die Flinte springen. Gebt jetzt noch eine Prise Frankensteins Monster hinzu und fertig ist der neue Wolfenstein-Cocktail.