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World of Goo

Krank und genial

Es dauert ein bisschen. Erst nach ein paar Leveln, spätestens aber nach dem ersten Kapitel, wird die ganze Klasse von World of Goo deutlich. Dafür dann aber richtig.

Aber fangen wir vorne an. World of Goo ist ein Puzzlespiel von dem kalifornischen Zwei-Mann Entwicklerteam 2dboy. Das Spielprinzip basiert auf Statik und Physik: In jedem Level müssen Goo-Bälle miteinander verbunden werden, damit sie größere Goo-Gebilde formen. Die losen Bälle werden mit der Maus genommen und in der Nähe eines schon gebauten Elementes platziert. Dann pappt der Ball sich automatisch an den Rest dran und erweitert so das gesamte Gebilde. Ziel ist es dabei (zumindest meistens), mit diesem entstehenden Bauwerk eine Röhre am Ende des Levels zu erreichen. Durch diese Röhre können dann die bis dahin nicht verwendeten Goos entkommen. Je weniger Bälle man also zum Bauen der Struktur braucht, um so mehr bleiben am Ende übrig.

Klingt vielleicht ein wenig komisch und wird auch selbst auf Screenshots nur bedingt deutlich. Hat man es aber einmal in Aktion gesehen, oder noch besser angespielt, springt einem das Prinzip sofort ins Gesicht. Simpel, intuitiv und fordernd. Eine solide Grundlage für ein gutes Puzzlespiel. Aber im Gegensatz zu anderen, normalen und „nur“ guten Puzzlespielen, hört es hier noch lange nicht auf. World of Goo legt jetzt erst richtig los.

Denn in den ca. 4 bis 5 Stunden Spielzeit wird sich dieses kleine, unabhängig entwickelte Meisterwerk immer weiter ergänzen. Mit jedem Level etwas ändern und sich am Ende sogar komplett neu erfinden.

World of Goo in einem Bild: über die Schlucht bauen, um zum Rohr zu kommen, das man ganz rechts erahnt.

Es kommen immer ständig neue Goo-Arten dazu. Zum Beispiel Totenköpfe, mit denen man die Bauten auf ansonsten schädliche Oberflächen setzen kann, oder Luftballons, die eher instabile Konstruktionen eine nötige Balance geben. Manche Goos lassen sich sogar wieder aus einer fertigen Struktur herausreißen und wieder verwenden, andere dagegen sind hochgradig brennbar. Alleine die pure Masse an Abwechslung ist hier atemberaubend. Kein Level, kein Rätsel gleicht dem anderen und manchmal wünscht man sich aus einzelnen, den besonders gelungenen, am liebsten gleich ein eigenständiges Spiel.

Die eigentliche Form und Art der Rätsel variiert dabei manchmal stark, sowohl in der Aufgabenstellung als auch im Schwierigkeitsgrad. Einige sind mehr Denksport und unter Umständen innerhalb von Sekunden gelöst, während an anderen Stellen zahlreiche Versuche und eher Geschicklichkeit gefordert ist. Unfair wird es allerdings nie. Mit Hilfe von kleinen Zeitfliegen kann der ganze Bau immer einen Schritt zurückgesetzt werden.

Was neben dem Spielprinzip mit seinen scheinbar unendlichen Innovationen besonders auffällt, ist die audio-visuelle Welt von World of Goo. Stilsicher, wie es selbst bei einem Vollpreisspiel nicht selbstverständlich ist, kombiniert 2dboy Tim Burton-Figuren mit Balkan-Pop Musik und abgedrehter Zeichentrickparabel. Dabei schwingt bei jedem Bildschirmtext und bei jeder Zwischensequenz ein Augenzwinkern mit, aus der sich über die vier Kapitel eine völlig abstruse und liebenswerte Geschichte zusammensetzt.

Luftballons, Wind und Windmühle. Das kann nicht gut gehen.

Alle, denen das nicht genug ist, bekommen noch eine Art Online-Modus. Mit den zusätzlich geretteten Goo-Bällen muss hier auf einer beliebig großen Fläche ein Goo-Turm errichtet werden. Ist man dabei mit dem Internet verbunden, sieht man in Echtzeit andere User und die Höhe ihrer Türme angezeigt. Der ultimative Online-Fallus-Wettkampf: Mein Turm ist höher als deiner.

Zugegeben, nicht alle Level halten das hohe Niveau und ein paar fallen in der Qualität etwas hinter dem Rest zurück. Und sitzt man nur lange genug in einem bestimmten Abschnitt fest, beginnt irgendwann sogar die sehr gute Musik etwas zu nerven. Aber das war es dann auch schon an Kritik, die dank einer Güterzugladung ansonsten brillanter Momente schnell vergessen ist. Und so ist World of Goo ein tolles Geschicklichkeitsspiel, eine bissige Globalisierungskritik und eine zeitgemäße Internetparodie auf einmal.

Nach Braid und Multiwinia kommt hier das dritte extrem gute Independent-Spiel in diesem Jahr. Man muss kein Puzzle-Profi sein, um sich mit den Goo-Bällen rumzuschlagen. Man muss sich vermutlich noch nicht mal besonders für Computerspiele interessieren. Wie anfangs gesagt, es braucht ein paar Level, bis sich das Potential voll entfaltet, dann aber richtig. So viele geniale Ideen, so perfekt durchdekliniert gab es zuletzt vielleicht noch bei den Lemmingen zu Amiga bzw. Atari ST Zeiten.

Die relativ überschaubare Spieldauer sollte dank der zahlreichen euphorischen Momente, die einem manchmal laut vor dem Monitor vor Freude aufschreien lassen, kein Hindernis sein. 2dboy schenkt der gesamten Spielewelt ein eindrucksvolles, ein radikales, ein genauso verrücktes wie innovatives Computerspiele. Danke.

World of Goo ist über 2dboy.com erhältlich und kostet umgerechnet ca. 15 Euro. Irgendwann, angeblich 2009, wird es über Steam Europa angeboten werden.

9 / 10

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