Die Eurogamer-Textwerkstatt: Anatomie eines Spieletests
Theorie, Praxis und der Spielraum dazwischen
Keine der beiden Richtungen, weder die extreme Auslegung des NGJ noch der rein objektiv-deskriptive Test, sollten am Ende auf dem Screen der eigenen Textverarbeitung erscheinen, wenn man ein Spiel testen möchte. Der erste Weg hilft dem potentiellen Käufer nicht wirklich weiter, der zweite nennt zwar Features und Techniken, lässt aber die wertende Einordnung im Detail ebenfalls weit außen vor.
Warum rede ich also so lange über diese beiden theoretischen Ansätze?
Weil jeder Test irgendwo eine Mischung dieser darstellen sollte. Ein guter Test zu einem Spiel lässt den Spaß, den das Lesen machen soll, nicht außen vor. Wertungen, thematische Bezüge im weiteren Kontext, Betrachtungen in Verbindung mit Populärkultur, all das schafft eine Nähe zwischen Spiel, Autor und Leser. Gleichzeitig muss der Test handfeste Informationen bieten, gewisse Eckdaten, an denen der Spieler abschätzen kann, was ihm gefällt und was nicht.
Wie man diese Aufteilung am Ende vollzieht, hängt immer von der Kreativität des Schreibers im Moment des Tests ab, aber auch vom Spiel selbst und dem Zeitpunkt, zu dem es getestet wird. Ein Test zu Angry Birds heute hätte eine ganze andere Ausgangslage für Überlegungen zum Erfolg dieses Spiels, während es zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung wahrscheinlich in den Augen vieler Tester - falls es einen Test gab und das Ding nicht komplett durch Mundpropaganda populär wurde - kaum das Zeug zum Pop-Phänomen gehabt haben dürfte. Ich möchte anhand dieses Beispiels einmal theoretisch verfolgen, wie ich an diesen Test herangehen würde.
Ein heutiger Test zu Angry Birds würde wahrscheinlich ein Referat über das Casual Gaming werden. Wie aber hätte ich zum Release begonnen? Nun, wahrscheinlich hätte ich mich in diesem Falle erst einmal weit in die deskriptive Ecke zurückgezogen, weil ich an dieser Stelle nicht einfach sagen kann, welches Genre das ist und jeder automatisch weiß, was er da bekommt. Neben diesem Teil wäre der Hauptaspekt meines Textes eine längere Ausführung über die Frage gewesen, warum so simple Schleuder-Physiken so viel Spaß machen und ob dabei menschliche Grundreflexe angesprochen werden. Dieser Teil würde dann wohl eher in die Ecke des NGJ passen, da es sich eher mit einem übergeordneten Phänomen von Angry Birds beschäftigt, welches das spezielle Spiel als solches eher am Rand streift. Aus beiden Teilen sollten sich dann Wertungselemente herauslesen lassen. Im ersten die Einschätzung über generelle Steuerungsaspekte, Spielmodi und Optionen, aus dem Zweiten geht die Aussage hervor, dass es monströs viel Spaß macht, Vögel auf Schweine zu schmeißen.
Es spielt noch eine weitere Überlegung hinein, warum es so wichtig ist, eine Mischung zwischen diesen beiden Elementen zu finden und keines von beiden komplett zu vernachlässigen. Neben der Notwendigkeit, über das Spiel selbst zu reden - und auch Elemente einfach nur zu beschreiben -, muss man seinen eigenen Text auch von den anderen vielen Tests da draußen absetzen. Hier ist der NGJ-Ansatz sehr hilfreich, weil man sich mit solchen abdriftenden Elementen Alleinstellungsmerkmale schafft. In meinem Beispiel mit Angry Birds wäre ich vermutlich nicht der Einzige gewesen, der den Spaß an der Physik thematisiert hätte, aber zumindest geht es über den gemeinsamen Nenner aller Tests hinaus, nämlich das konkret vorliegende Spiel . Und das sind die Teile eines Textes, an die man sich nach ein paar Tagen als Leser vielleicht noch erinnert.
Ein guter Text wird natürlich noch durch eine Vielzahl anderer Aspekte definiert. Der Schreiber sollte ein gutes Sprachgefühl mitbringen, der Wortschatz sollte nicht zu beschränkt sein, generell guter Stil und Satzbau sind auch gefragt. Aber man kann all diese Dinge mitbringen und trotzdem einen beinahe technokratisch anmutenden Text verzapfen, der sich dröge wie eine Gebrauchsanleitung für einen Staubsauger liest. Eine hervorragend geschriebene Anleitung ist immer noch eine Anleitung. Ein Text dagegen, der eine Mischung aus diesen persönlichen Eindrücken und Einflüssen führt, sich mit Ideen, die den thematischen Rahmen erweitern, bereichern kann, der doch nicht die notwendigen deskriptiven Elemente vergisst und auch noch wertende und qualifizierende Aussagen bringt... das ist ein Text, der als der definitive zu einem Spiel in Erinnerung bleiben kann.
Ratatouille hat völlig Recht, wenn die Kritikerfigur in diesem Film sagt, dass jedes bisschen kreative Schöpfung aus den Spieleschmieden unendlich mehr wert ist, als die Meinung eines Kritikers dazu. Wenn es dem Autor aber gelingt, den Rahmen simpler Kritik hinter sich zu lassen, ohne ganz das journalistische Genre zu wechseln, dann gibt es Momente, in denen ein Text selbst zu einer eigenen wertvollen Schöpfung werden kann. Diese Texte sind rar, man kann sie nicht abrufen, an den meisten Tagen zieht man sich als Spieleredakteur auf einfache Techniken zurück und belässt es dabei. Aber man sollte mit jedem Text trainieren, diesen Blick nicht zu sehr zu verengen und trotzdem nicht die Grundlagen aus den Augen zu verlieren. Es gibt keine Patentrezepte, einen guten Text zu schreiben, aber die Betrachtung der beiden Extreme des Spielejournalismus kann dabei helfen, den eigenen Stil zu entdecken und zu verfeinern.